Rosenheim – „Ich mache zwei Wochen Urlaub im Grünen“, sagte Fabian Artmann Anfang August zu seinen Freunden. Dass der Rosenheimer damit eine Ausbildung bei der Bundeswehr meint, damit hätte wohl niemand gerechnet. In nur wenigen Wochen zum Soldaten? Ja, das geht. Ungediente können sich über die „Allgemeine Streitkräftegemeinsame Soldatische Ausbildung“ (ASSA) zum Reservisten ausbilden lassen.
Artmann, Geschäftsführer bei der Rosenheimer innFactory AI Consulting, hat sich dieser Herausforderung gestellt und seinen Schreibtisch gegen Schießstand, Sturmgewehr und Stube getauscht. Was ihn dazu bewogen hat, wo er an seine Grenzen gelangt ist und ob er jetzt auf den Ernstfall vorbereitet ist, verrät er im OVB-Interview.
Wie kamen Sie auf die Idee, sich als Reservist ausbilden zu lassen?
Mit meinem Freund Jonah Werner war ich kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine-Hilfe tätig. Im Februar 2022 haben wir dann Hilfsgüter an die ukrainische Grenze gefahren. Auf der langen Autofahrt haben wir uns sehr intensiv darüber unterhalten, was wir denn in einer solchen Situation tun würden.
Darüber musste sich die junge Generation bisher ja glücklicherweise keine Gedanken machen.
Ja. Wir sind in einer sehr wohlstandsverwöhnten Gesellschaft aufgewachsen. Da habe ich das erste Mal bemerkt, was es heißt, wenn man von einem auf den anderen Tag seine Sachen packen muss. Mich hat das fasziniert, dass die Männer in der Ukraine ihr Land wehrhaft verteidigen. Ich habe mir darüber noch lange Gedanken gemacht und bin dann durch Zufall auf das Programm „Ausbildung für Ungediente“ bei der Bundeswehr gestoßen.
Die Bundeswehr wird auch oft in ein schlechtes Licht gerückt. Hatten Sie Sorge vor den Reaktionen aus dem privaten Umfeld?
Bedingt. Aber das hat sich dann in Folge vieler positiver Reaktionen auf die Ausbildung schnell geändert. Außerdem habe ich die Bundeswehr als sehr vielfältig kennengelernt. Sie ist Teil einer wehrhaften Demokratie und nichts, wofür man sich schämen muss.
Wie lief der Bewerbungsprozess ab?
Im August 2023 habe ich mich beworben und ein Jahr später war ich dann dabei. Man durchläuft das klassische Prozedere: also ärztliche Untersuchung, psychologisches Gespräch, Computertest und Überprüfung durch den militärischen Abschirmdienst.
Und dann ging es ein Jahr später in die Kaserne?
Genau. Dort legt man dann ziemlich schnell sein ziviles Leben ab. Spätestens, wenn man die Uniform anhat, weiß man: Es wird ernst.
Wie war die Unterbringung vor Ort?
Ich habe gemeinsam mit meinem Stubenkameraden auf sehr engem Raum gelebt. Ich hatte riesiges Glück, denn wir haben uns von Anfang an super verstanden. Man ist ja ständig aufeinander angewiesen. Die Bundeswehr hat zum Beispiel unglaublich viele Abkürzungen und Begriffe, die man so einfach noch nicht kennt. Da ist es schon gut, wenn man einander aushelfen kann, oder auch wenn einen jemand darauf hinweist, wenn die Uniform noch nicht ganz sitzt.
Wie kann man sich einen Tag in der Ausbildung vorstellen?
Um 4.45 Uhr wurden wir geweckt. Da wurde an die Tür geklopft und geschrien: „ASSA 2024, aufstehen!“ Wir waren dann sofort wach. Schlummern gibt es nicht, denn wenn man das Frühstück verpennt, hat man keine Kraft für den Tag – und das wäre blöd. Der restliche Tag ist sehr unterschiedlich. Man hat viel Theorie, aber auch Praxis. Man wird an der Pistole P8 und am G36 ausgebildet. Es geht alles Schlag auf Schlag.
Man läuft also nicht nur mit Flecktarn, Gefechtshelm und Farbe im Gesicht durch den Wald?
Nein, gar nicht. Es ist immer eine Mischung. Wenn man Sport hatte, hatte man oft danach Theorieunterricht. Da ist auch der ein oder andere mal eingeschlafen (lacht).
Kann man auch durchfallen oder rausgeworfen werden?
Jein. Man kann natürlich jederzeit selbst aufhören. Und die Ausbilder können es einem auch nahelegen, aufzuhören.
Haben Sie jemals ans Aufgeben gedacht?
Nein, das kam für mich nicht infrage. Auch, wenn ich manchmal an meine Grenzen gestoßen bin.
Wobei?
Einmal bin ich emotional an meine Grenzen gestoßen und einmal körperlich. Am Ende der ersten Woche hatten wir zwei Tage lang Sanitätsausbildung. Dort wurde uns erklärt, dass die militärische Sanitätsausbildung deutlich mehr ist, als stabile Seitenlage und einen Notruf absetzen. Am Ende geht es darum, Leben zu retten, Kameraden zu schützen und im Ernstfall füreinander einzustehen. Es wurden uns Fotos gezeigt von Schuss- und Sprengverletzungen. Von fehlenden Gliedmaßen. Da musste ich auch wirklich mal wegschauen. Da wurde einem noch mal klar, dass Waffen einfach schlimme Verletzungen verursachen. Wir haben auch noch abends auf der Stube wahnsinnig viel darüber geredet. Das war mental wirklich eine Herausforderung.
Und wann war Ihre körperliche Grenze erreicht?
Die habe ich beim Soldaten-Grundfitness-Tool (SGT) erreicht. An dem Tag hatte es um die 30 bis 35 Grad. Am Vormittag hatten wir Schwimm-Training, heißt wir waren alle schon ein wenig ausgepowert. Aufgrund der Hitze haben wir die vier Disziplinen in Gruppen absolviert. Jeder hat einen Teil der Aufgaben „Bewegen im Gelände“, „Ziehen von Lasten“, „Tragen von Lasten” und „Heben und Absetzen von Lasten“ übernommen.
Klingt eigentlich noch machbar.
War es auch. Man war zwar sehr fertig, aber ein paar von uns hatten dann noch Lust, an ihre Grenzen zu gehen. Und so haben fünf der 36 Kameraden den Test noch einmal alleine gemacht. Ich wollte es auch unbedingt im grünen Bereich, also in unter drei Minuten schaffen. Am Ende habe ich es tatsächlich in zwei Minuten und 32 Sekunden geschafft. Das Gefühl war schon geil.
Wie war das Gefühl, an der Waffe ausgebildet zu werden?
Ich hatte zuvor nie Berührungspunkte mit Waffen. Es war nicht mulmig oder so. Man führt einfach Befehle aus. Da bleibt nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Aber natürlich war es am Anfang ungewohnt. Ich wusste ja am Anfang nicht mal, wie schwer so ein G36 zum Beispiel ist. Und natürlich ist es krass. Am Ende marschiert man mit einer echten Waffe. Das ist kein Spielzeug. Wovon ich allerdings fasziniert war: Wie simpel und unkaputtbar Waffen eigentlich sind – und wie einfach sie zu bedienen sind.
Würde jetzt ein Ernstfall eintreten, was wäre Ihre Aufgabe?
Zuallererst: Ich bin immer noch Jäger und noch kein Gefreiter. Nächstes Jahr im August absolviere ich dann den zweiten Teil der Ausbildung. Dann kann ich an Wehrübungen teilnehmen und für den Ernstfall kann man sich in einer Heimatschutzkompanie beordern lassen.
Ist man denn nach vier Wochen Ausbildung auch schon bereit für den Ernstfall?
Natürlich ist man dann nicht gleich beim KSK (Anm. d. Red.: Kommando Spezialkräfte) oder so was (lacht). Aber man wird – wie es auch versprochen wird – zum Soldaten ausgebildet. Man kann schießen, man kennt die Befehle und seine Rechte und Pflichten.
Interview: Patricia Huber