Rosenheim – Kunst hatte für Abigail Neubeck schon immer eine besondere Bedeutung. Im Alter von zwölf Jahren fing sie damit an. Zunächst mit einfachen Bleistiftzeichnungen, dann entdeckte sie Pastellkreiden und Ölfarben für sich. „Derzeit gefallen mir Aquarellfarben und alle Techniken, die mit Wasser zu tun haben“, sagt Neubeck. Und das aus einem bestimmten Grund.
Knubbel an den Lymphknoten
Im vergangenen Jahr bekam Neubeck die Diagnose Krebs. „Als mir gesagt wurde, dass es ein Follikuläres Lymphom ist, war das ein Schock“, sagt sie. Sie spürte an ihren Lymphknoten einen kleinen Knubbel. Er sei schnell gewachsen, weshalb Neubeck sich sicher war, dass er bösartig ist. Damit hatte sie recht.
Schnell wurde der Lymphknoten entfernt. Die Operation lief jedoch nicht reibungslos ab. „Es musste nochmal nachoperiert werden und das war nicht so schön“, sagt die 51-jährige Frau aus Halfing.
Aufgrund der Krebserkrankung und einer posttraumatischen Belastungsstörung muss Abigail Neubeck fast den ganzen Tag im Bett liegen. Doch das hielt sie von ihrer Leidenschaft nicht ab. Mit Kreide und Aquarellfarben könne sie gut im Bett malen. „Für mich ist das Besondere an diesem Material, dass es fließt“, sagt Neubeck. Die Farben würden im Grunde machen, was sie wollen. Die Aquarellfarben bahnen sich ihren eigenen Weg auf dem Papier. Anhand ihrer Spuren überlegt sich Neubeck dann, was sie daraus malen kann. „Das Fließen der Farben und das Wasser sind für mich sehr beruhigend“, sagt sie.
Der Farbkasten hilft,
wenn alles zu viel wird
Generell sind die unterschiedlichen Farben für Abigail Neubeck ein außergewöhnliches Hilfsmittel geworden. Wenn ihr mal alles zu viel wird, dann schlägt sie ihren Farbkasten auf, legt sich ein Blatt Papier hin und verschwindet so in ihre eigene Welt. In dieser Zeit kann sie alles um sich herum vergessen. Die Gedanken kreisen dann nicht mehr um ihre Erkrankung. In dem Moment, in dem sie malt, dringt von außen nichts zu ihr durch. „Für mich ist das Malen auch eine Methode, um etwas auszudrücken, was ich mit Worten nicht kann“, sagt die 51-Jährige.
Viele ihrer Bilder sind abstrakt oder bilden organische Formen ab. Ein Motiv, das immer wiederkehrt, sind Bäume in tausend verschiedenen Gestalten. „Ich liebe Bäume, sie sind für mich wie Freunde“, sagt Neubeck. Sie wuchs in einem kleinen Dorf auf, welches von einem Wald umgeben ist. Nach der Schule habe sie sich gerne dort aufgehalten und kletterte auf den Bäumen herum, erzählt sie. Nun malt sie dieses Motiv immer wieder, um sich wohl auch ein wenig an die unbeschwerte Zeit von damals zu erinnern. Solche Bilder zieren auch aktuell die Wände in der psychosozialen Krebsberatungsstelle Rosenheim.
Bilder sollen
Klienten beruhigen
Seit zwei Jahren gibt es diese Beratungsstelle. Schon zu Beginn entstand die Idee, Bilder von Krebspatienten an den Wänden aufzuhängen. Wie die Psychologin Donata Kamm erklärt, soll dadurch die Atmosphäre in den Beratungsräumen aufgehellt werden. „Die Bilder sind für uns wichtig, da wir über sie ins Gespräch mit den Klienten kommen“, sagt sie. Denn oft würden die Patienten nach ihrer Diagnose mit Ängsten, Belastungen und sonstigen Problemen kämpfen. Die hellen Bilder würden bei den Gesprächen oft beruhigend wirken.
Anderen Patienten
Mut machen
Die ersten Kunstausstellungen kamen von Krebspatienten aus aller Welt. Abigail Neubeck ist die erste Rosenheimerin, die ihre Werke bei der Krebsberatungsstelle ausstellen darf. „Wir sind natürlich sehr stolz darauf, dass von unserer Klientin nun Bilder an den Wänden hängen“, sagt Kamm. Stolz ist auch die Künstlerin. 34 Bilder können vor Ort betrachtet werden. „Ich bin begeistert, dass ich das alles hinbekommen habe“, sagt Neubeck.
Mit ihren Werken will sie auch anderen Krebspatienten Mut machen. Deshalb bietet sie Führungen an, bei denen sie ihre Geschichte erzählt. Wenn es ihr besser geht, will sie wieder einen Malkurs anbieten. Sie möchte, dass die Menschen ihrer Kreativität freien Lauf lassen. „Denn mir hat das geholfen, aus der Hilflosigkeit und zeitweisen Depressivität herauszukommen“, sagt Neubeck. Der Farbkasten und der Block sind für sie „eine lebensnotwendige Medizin“ geworden.