„Jeder Einzelne zählt“

von Redaktion

Drei neue Rosenheimer Gedenkzeichen erinnern an NS-Opfer

Rosenheim – Die Tätergeneration der NS-Zeit ist in Deutschland – fast – ausgestorben. Mittlerweile ist es wieder möglich, frei über die Vergangenheit nachzudenken und bei Gedenkveranstaltungen öffentlich darüber zu sprechen.

Die Anziehungskraft solcher Veranstaltungen ist allerdings scheinbar deutlich geringer als die von Vergnügungsveranstaltungen wie etwa dem Rosenheimer Herbstfest.

So dominierten leere Stühle den großen Sitzungssaal im Rathaus, als Oberbürgermeister Andreas März am Freitagnachmittag eine Gedenkveranstaltung zu Ehren von Opfern des Nationalsozialismus eröffnete. Nur gut 30 Besucher waren gekommen, um sich über das Schicksal von NS-Opfern informieren zu lassen, zu denen nicht nur Juden gehörten. Auch Sinti und Roma sowie Zwangsarbeiter waren von der Gewaltherrschaft betroffen.

„Memory Walk“
durch die Stadt

In einem „Memory Walk“ zogen Vertreter der Stadt und des Stadtarchivs anschließend mit ihren Gästen durch die Stadt zu den drei neuen Erinnerungsschleifen, die an Bäumen im ehemaligen Umfeld von NS-Opfern befestigt sind. Musikalisch auf der Gitarre begleitet von Benno Panhans, einem Schüler des Ignaz-Günther-Gymnasiums, legten die Teilnehmer an den neuen Gedenkstätten weiße Rosen ab.

Ihren ersten Halt machte die kleine Karawane auf dem Platz vor der Stadtbibliothek. Dort erinnert eine Schleife an Johann Reinhardt, über dessen Leben Marcella Reinhardt, die stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands Bayern im Verband Deutscher Sinti und Roma, berichtete.

Der Musiker Reinhardt lebte ab 1939 in Rosenheim. Unter einem Vorwand wurde er in die Strafanstalt Bernau eingewiesen und über Auschwitz und Buchenwald ins Konzentrationslager Dachau gebracht, wo mit ihm medizinische Experimente gemacht wurden, die er zum Glück überlebte.

Vom 5. März 1945 gibt es noch einen Beleg, aus dem hervorgeht, dass er als „Freiwilliger für den Heeresdienst“ eingesetzt wurde. Danach verliert sich seine Spur. Seine Frau Magdalena und seine Tochter Rosa Katharina wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet. Auch sein Bruder Robert kam in einem Konzentrationslager um.

Die Karawane zog weiter. An der Gillitzerstraße wurde der jüdischen Familie Obernbreit gedacht, über deren Geschichte Dr. Thomas Nowotny berichtete. Der in Preßburg geborene Kaufmann Samuel Obernbreit lebte und arbeitete mit seiner Frau Rosalie und den Kindern Adele und Leopold in Rosenheim. Das Bekleidungsgeschäft der Familie wurde in der Reichspogromnacht 1938 von der SA verwüstet und geplündert. In Folge dessen musste Obernbreit das Geschäft aufgeben.

Ein Jahr später verstarb er. Seine Frau Rosalie und seine Tochter Adele wurden 1942 in die „Judensiedlung Milbertshofen“ verschleppt und später in Konzentrationslagern ermordet. Nur Leopold überlebte den staatlich organisierten Massenmord an etwa sechs Millionen Juden.

Die Karawane zog weiter. Am Südtiroler Platz ist die dritte der drei neuen Schleifen. Sie erinnert an die Zeit, die der aus den Niederlanden stammende und heute in Alter von 96 Jahren in Neuseeland lebende Karel Hobo als einer von 25 Millionen Zwangsarbeitern in Rosenheim verbracht hat.

Das Denkmal befindet sich an einem Baum vor dem Bahnhof, wo Hobo an der Reparatur der durch Luftangriffe beschädigten Bahnanlagen arbeiten musste. Mit seinem Tagebuch, das auch ins Deutsche übersetzt wurde, hat er ein wichtiges Dokument jener Zeit geliefert. Er und seine Angehörigen konnten die Veranstaltung live über das Internet miterleben.

Der Leiter des Stadtarchivs, Dr. Christian Höschler, ist zufrieden mit dem Besuch der Veranstaltung. Dass nicht mehr Bürger teilgenommen haben, führt er auf das schlechte Wetter – es regnete leicht – zurück. Im Vordergrund stehe nicht die Anzahl der Teilnehmer – „jeder Einzelne zählt“, so der Archivar. Wichtig sei, zu verhindern, dass die Geschichte in Vergessenheit gerät. als

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