Rosenheim – In der Städtischen Galerie Rosenheim verschmolzen passenderweise vor der Kulisse der neuen Ausstellung „Poesie der Buchstaben“ über das Werk des Druckers Josua Reichert (1937 bis 2020) Worte und Klänge zu einem eindrucksvollen Abend.
Alexandra Senfft und Romeo Franz lasen aus ihrem Buch „Großonkel Pauls Geigenbogen“. Organisiert wurde der Abend vom Stadtarchiv Rosenheim und der Initiative für Erinnerungskultur und Stolpersteine in Rosenheim. Die Organisatoren, Dr. Thomas Nowotny und Dr. Christian Höschler, führten in den historischen Kontext des Völkermords an den Sinti und Roma ein.
Erster Sinto im
Europaparlament
„Großonkel Pauls Geigenbogen“ berichtet über das Leben von Romeo Franz – ein Musiker, Bürgerrechtler und der erste Sinto, der als Abgeordneter ins Europaparlament gewählt wurde. Schon als Schulkind erfuhr Franz Diskriminierungen seitens der Mitschüler und seiner Lehrer.
Wenn er am Klavier spielte, waren jedoch plötzlich alle begeistert, „da erfüllte ich das Vorurteil des musikalischen Zigeuners“. Franz nennt es das „Z-Wort“, ein Unwort, das die größte Minderheit Europas als herabwürdigend empfindet. Gleichgültig, wie gut er musizierte, im Alltag blieb er dann doch oft ausgegrenzt, einzig, weil die Klischees über seine Minderheit weiterhin unhinterfragt im Umlauf sind.
Das Buch erzählt vor allem aber auch die Geschichte seiner Vorfahren, Sinti, die in Pommern und Berlin fest ansässig waren. Sie wurden dort geboren, getauft, gingen zur Schule und zur Ausbildung, trugen als Musiker und Händler erfolgreich zur Volkswirtschaft und Kultur bei. Die väterlichen Ahnen spielten in den feinen Häusern an der Ostseeküste und waren so beliebt, dass sie sogar bei der Hochzeit des Automobilherstellers Adam Opel auftraten. Die seinerzeit berühmte Stummfilmschauspielerin Lil Dagover reiste der „Kapelle Franzens“ hinterher und himmelte die Musiker an.
Franz und Senfft vermittelten bei ihrem Vortrag, im Wechsel spannungsreich lesend, wie die Angehörigen von Franz in den 1930er-Jahren zunehmend aus der Gesellschaft gedrängt und schließlich verfolgt wurden. Sie flohen aus diesem Grund auf turbulenten Wegen ins Ausland, bis nach Odessa, immer auf der Hut, nicht als Sinti entdeckt zu werden. Die meisten überlebten diese Tortur, sechs Familienmitglieder jedoch nicht. Ein Schmerz, der bis heute nicht verheilt ist: „Die Toten leben weiter in uns“, so Romeo Franz.
Auch sein Großonkel Paul Franz wurde im KZ Auschwitz ermordet. Dessen Brüder konnten aber den wertvollen Geigenbogen bewahren, der den roten Faden in diesem berührenden und aufklärenden Buch darstellt. Mit diesem Geigenbogen spielte Romeo Franz die Musik für das Denkmal der ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin ein. Das war ein sehr bewegender Moment in seinem Leben. Sein Sohn Sunny wird diesen Geigenbogen später erben.
Sunny Franz trat mit dem Münchner Gitarristen Elias Prinz auf. Sie spielten nachdenklich machende, heitere und melancholische Stücke des Sinti-Jazz und des Bossa Nova, darunter von der Sinto-Legende Django Reinhardt und von George Gershwin. Sie begeisterten das Publikum und rundeten die Lesung stimmig ab.
Nach der Lesung folgte eine lebhafte Diskussion. Einige anwesende Sinti berichteten von fortgesetzter Diskriminierung und ihrem Widerstand dagegen. Es sei eine Schande, dass es Menschen dieser Minderheit oft unmöglich sei, eine Arbeit zu finden, wenn sie nicht ihre Herkunft verschwiegen. Die Buchautorin Alexandra Senfft berichtete, dass auch viele Berühmtheiten wie Yul Brunner, Charlie Chaplin oder Rita Hayworth ihre Abstammung von Roma lange geheim hielten, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Es werde meist nur die Seite von Armut und Bildungsferne wahrgenommen, nicht aber die von Normalität oder Erfolg, weshalb Klischees weiterverbreitet würden.
Minderheiten
akzeptiert
Doch es gab auch hoffnungsvolle Berichte. Durch beharrliche Vermittlung gelingt es etwa, bei der Betreuung geflüchteter Roma aus der Ukraine viele Vorurteile bei den Behörden zu beseitigen. Romeo Franz betonte, dass der unvoreingenommene Dialog zwischen Menschen der Mehrheitsgesellschaft und der Minderheit zur Akzeptanz und einem friedlichen Miteinander beitrage.
Zwei gute Beispiele dafür: Die wunderbare Interpretation traditioneller Musik seines Sohnes, des Sinto Sunny Franz, mit dem Gitarristen Elias Prinz, der aus der Mehrheitsgesellschaft stammt. Und die Zusammenarbeit von Romeo Franz und Alexandra Senfft.