Diagnose Krebs – Was nun?

von Redaktion

Rosenheimer Berater verraten, worauf es nach dem ersten Schock ankommt Interview

Rosenheim – Darmkrebs, Lungenkrebs, Hautkrebs – das sind drei von bisher mehr als 300 entdeckten Krebsarten. Früher bedeutete die Diagnose Krebs ein fast sicheres Todesurteil. Heute ist die Überlebensrate deutlich besser. Trotzdem kann eine Krebsdiagnose ein einschneidendes Erlebnis sein und die Patienten erst mal überfordern. Deswegen bieten Andreas Schüll und Donata Kamm in der Krebsberatungsstelle Rosenheim Hilfe an.

Welche Momente sind Ihnen bei Ihrer Arbeit in der Krebsberatung in Erinnerung geblieben?

Schüll: Es gibt viele traurige, aber auch schöne Momente. Am schönsten ist es, wenn ein Patient sein Leben wieder in die eigene Hand nimmt. Ich hatte beispielsweise einen Patienten, der zurückgezogen in seiner Wohnung lebte. Er hatte keine Freunde und keinen Job. Nach der Krebsbehandlung hat er sich aufgerafft, ist mehr unter Leute gegangen und hat schließlich einen Job angenommen. Mir bleiben auch die kleinen schönen Momente im Kopf. Etwa eine Patientin, die nach der Behandlung wieder Haare auf dem Kopf hat und sich darüber freut. Oder ein Patient, der zum ersten Mal seit Langem wieder lachen kann.

Kamm: Eine Szene, die mich sehr berührt hat, war, als wir mit den Patienten zum Advent Sterne gebastelt haben. Ich habe gesehen, wie viel Freude die Patienten bei so etwas Banalem wie dem Sternebasteln hatten. Man muss diese Momente zu schätzen lernen. Denn der Krebs ist tückisch und wie eine Achterbahnfahrt. In einem Moment ist eine Person sehr glücklich und ihr scheint es gutzugehen. Am nächsten Tag kann es wieder ganz anders aussehen.

Wer besucht in der Regel die Beratungsstelle?

Kamm: Das wird immer gemischter über die Jahre. Momentan haben wir aber noch mehr Frauen. Die Patienten sind in jedem Alter, von 18 bis 80 Jahre ist alles dabei.

Wie läuft eine Behandlungssitzung ab?

Schüll: Ganz wichtig ist die freundliche Begrüßung am Anfang. Ohne die persönliche Bindung zum Patienten geht nämlich gar nichts. Das versuchen wir auch mit unserer Inneneinrichtung zu unterstützen. Wir halten alles hell und freundlich. Wir wollen einladend wirken, nicht einschüchternd.

Kamm: Die meisten Menschen gehen verständlicherweise nicht gern zur Krebsberatungsstelle. Wir versuchen, den Patienten diese Anspannung zu nehmen. Es gibt hier keine Erwartungen an die Patienten und auch keinen festgelegten Ablauf der Beratung. Dieser kommt auf die genaue Diagnose an, das Anliegen, den Leidensdruck. Wichtig ist nur, dass der Klient im Fokus ist. Wir arbeiten dabei sehr lösungsorientiert und fokussieren uns auf das, was der Person am meisten Probleme bereitet.

Welche Sorgen und Ängste haben die Betroffenen?

Kamm: Die meisten Patienten haben Angst davor, dass der Krebs weiter fortschreitet oder wiederkommt. Andere Sorgen drehen sich um Geldfragen oder um die Beziehung zu anderen Menschen. Das Familienleben hat sich oft verändert, Freunde wenden sich ab. Auch das Arbeitsleben leidet. Viele fragen sich, wie es jetzt mit dem Job weitergeht und wie sie den Wiedereinstieg nach gelungener Behandlung schaffen sollen.

Und wie sieht es bei den Angehörigen aus?

Schüll: Die beraten wir auch. Das Wichtigste ist Normalität. Die kann viele Ängste und Sorgen des Erkrankten lindern. Natürlich gehen diese Gefühle nicht weg, aber ein routinierter Alltag kann helfen, damit sie nicht überhandnehmen. Gleichzeitig müssen auch die Angehörigen ihre Ressourcen nutzen, um selbst nicht zu verzweifeln.

Kamm: Es kommt natürlich auch auf die Person drauf an. Manche Patienten wollen gern umsorgt werden, andere wollen ihre Ruhe haben.

Was sollte man nach der Diagnose als Erstes tun?

Schüll: Das kommt auf die Diagnose drauf an. Denn Diagnose heißt oft auch Prognose. Was aber helfen kann, ist, darüber zu reden. Und sich selbst Zeit zu geben. Nach der Diagnose ist man vielleicht erst mal emotional. Dann trifft man meist nicht die besten Entscheidungen.

Kamm: Ich glaube, das Schlimmste ist, wenn man alles mit sich selbst ausmachen will. Ein anderer Mensch kann eventuell andere Perspektiven mit einbringen. Wer die Familie nicht belasten will, der kann sich gerne an uns wenden, um zu reden. Und wer erst mal gar nicht reden will, sondern Zeit braucht, um die Diagnose zu verarbeiten, soll sich diese Zeit bitte auch nehmen.

Welche Schwierigkeiten können auf die Patienten zukommen?

Schüll: Ein häufiges Problem ist, dass viele Menschen nach Behandlungserfolg meinen, man sei komplett geheilt und so belastbar wie früher. Das muss aber nicht so sein. Wer den Krebs überlebt, trägt meist bleibende Veränderungen davon. Etwa bei überstandenem Brustkrebs wird danach eine Brust fehlen. Das kann Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein, die Partnerschaft, die Sexualität haben. In der Akutphase der Krankheit prasselt viel in kurzer Zeit auf einen ein.

Doch auch nach Behandlungserfolg kann es noch mal schwierig werden für manche Menschen. Und wenn das Umfeld dann denkt, dass der Mensch ja jetzt gesund ist und wieder so leben kann, wie vorher, kann das die Patienten schnell überfordern.

Was kann man dagegen tun?

Kamm: Mehr kommunizieren, wie es einem geht. Und als Angehöriger auch die Perspektive wechseln und sich fragen „wie würde es mir damit gehen?“

Waren Sie selbst schon mal Angehöriger oder Betroffener?

Schüll: Ja, ein Familienangehöriger ist an Krebs erkrankt. Damals hatten wir nach einer Anlaufstelle gesucht und keine gefunden. Das war der Grund, weshalb ich diese Krebsberatungsstelle 2022 aufgebaut habe.

Kamm: Bei mir war das ähnlich. Ein Familienmitglied erkrankte und keiner wusste, was nun? Deshalb habe ich mich 2023 der Beratungsstelle angeschlossen, um anderen Menschen das zu geben, was meine Familie damals gebraucht hätte.

Gibt es etwas bezüglich Krebserkrankungen, wo Sie sich noch mehr Aufklärung wünschen?

Schüll: Ich finde es wichtig, über die Krebsvorsorge aufzuklären. Gerade jetzt, wo die Zahlen der Krebsdiagnose steigen. Auch die Patienten selbst werden immer jünger. Eine Untersuchung kann Krebs im frühen Stadium entdecken. Da ist er noch gut behandelbar.

Interview: Cordula Wildauer

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