Mykoplasmen-Fälle beunruhigen Eltern

von Redaktion

Interview – Kinderarzt Otto Laub über die Häufung von schweren Atemwegsinfekten

Rosenheim – „Welle von Lungenentzündungen bei Kindern“: Schlagzeilen wie diese sind seit einigen Wochen häufig zu lesen. Hintergrund ist die derzeitige Verbreitung von sogenannten Mykoplasmen. Auch im Klinikum Rosenheim ist die Lage bei Atemwegsinfekten bei Kindern aktuell angespannt. Die Kinderstation im Rosenheimer Klinikum war in den vergangenen Wochen überdurchschnittlich stark belegt, weil viele Kinder mit fieberhaften Luftwegsinfekten behandelt werden mussten, zum Teil brauchen die kleinen Patienten sogar zusätzlich Sauerstoff. Ob für Eltern Grund zur Beunruhigung besteht und welches Problem es bei der Behandlung der Infektion gibt, erklärt der Rosenheimer Kinderlungenfacharzt Otto Laub im OVB-Interview. 

Von Mykoplasmen hat man bisher selten gehört. Woher kommt dieser Erreger auf einmal?

Mykoplasmen sind bakterielle Erreger, die im Laufe eines Jahres immer wieder ohne besondere Saisonalität auftauchen. Wir sehen diese Keime hier immer wieder im frühen Sommer, aber auch im Herbst.

Und dieses Jahr besonders?

Im Augenblick sehen wir in unserer Region, aber auch anderen Regionen Bayerns eine Art Endemie, das heißt ein gehäuftes Auftreten von durch Mykoplasmen verursachten Erkrankungen innerhalb einer Bevölkerung oder einer begrenzten Region, wie zum Beispiel im südöstlichen Oberbayern. Derartige Endemien sind für Mykoplasmen alle drei bis vier Jahre sehr typisch.

Warum haben wir die letzten Jahre nichts davon gehört?

Zum einen, weil es in den letzten Jahren kein derartig gehäuftes Auftreten von Mykoplasmen-Infektionen gab. Zum anderen war in dieser Zeit die Aufmerksamkeit auf anderes gerichtet: zunächst auf die Corona-Pandemie, dann stand in den letzten beiden Jahren die RSV-Welle, vor allem 2022 bis 2023, im Fokus, die ja auch beinahe die stationäre kinderärztliche Versorgung an den Rand des Zusammenbruchs geführt hat.

Ist der Anstieg der Erkrankungen ein Grund zur Beunruhigung?

Nein, das finde ich nicht. Wie schon gesagt, treten solche Infekt-Häufungen mit Mykoplasmen, wie wir sie derzeit beobachten, mit einer gewissen Regelhaftigkeit auf. Wir hatten ja auch im Frühjahr und Frühsommer eine Keuchhusten-Welle. Da hat sich kaum jemand aufgeregt, obwohl Keuchhusten für Babys und Kleinkinder, aber auch ältere Menschen durchaus gefährlich ist.

Wie zeichnen sich Mykoplasmen-Infektionen aus?

Mykoplasmen sind Bakterien, die in der Lage sind, sehr geschickt unser Immunsystem zu täuschen. Der Erreger dringt in die oberflächlichen Atemwegszellen ein und baut dabei seine eigene Zellwand in die Zellwand der befallenen Zelle ein. Mit seinen übrigen Zellbestandteilen kann der Erreger dann die Strukturen der befallenen Zelle nutzen, um sich selbst vielfach nachzubauen. Indem also die Zellwand des Bakteriums in die Zellwand der Atemwegszelle integriert wird, ist es für unser Immunsystem nicht mehr auffindbar und tritt erst wieder in Erscheinung, wenn die replizierten Bakterien nach einiger Zeit unter Zerstörung der befallenen Körperzelle freigesetzt werden.

Wie verläuft eine Infektion?

Mykoplasma pneumoniae wird typischerweise in den Atemwegen gefunden. Der Erreger kann eine tage- bis wochenlange Erkrankung mit eingeschränktem Allgemeinbefinden, Kopfschmerzen, wiederkehrendem Fieber und einem hartnäckigen bis keuchhustenartigen Husten aufgrund einer Tracheobronchitis oder Pneumonie verursachen. Manifestationen, die auf die oberen Atemwege begrenzt sind, oder Mittelohrentzündungen werden hierbei seltener gesehen. Neben Atemwegsinfektionen kommen auch weitere Manifestationen durchaus nicht selten vor, wie zum Beispiel Hautausschläge oder ein Nesselausschlag. Nicht selten sehen wir aber auch eher subklinische Verläufe.

Das heißt?

Subklinisch meint „leicht verlaufend“ und ist klinisch oft schwerer erkennbar, aber halt auch ansteckend. Die Erkrankung ist aber – wenn erkannt – durchweg gut behandelbar.

Aber in der Regel ist Antibiotikum wirksam?

Das ist richtig. Allerdings haben wir hier auch in diesem Jahr im Moment ein großes Problem, weil es nicht gelingt, die notwendigen modernen Antibiotika in der benötigten Menge zur Verfügung zu stellen. Wie das auch im dritten Jahr nach Corona noch immer möglich ist und warum dieses Missmanagement nicht abgestellt werden kann, das müsste in Berlin bei Gesundheitsminister Lauterbach nachgefragt werden.

Das heißt, das Problem existiert schon länger?

Seit circa zwei bis drei Wochen sind Roxithromycin und Clarithromycin, die Protagonisten von sogenannten Makrolidantibiotika, die bei Mykoplasmeninfektionen zum Einsatz kommen, in unserer Region, aber wohl auch überregional, nicht erhältlich. Wir versuchen, auf ältere Medikamente zurückzugreifen, die noch verfügbar sind. Das bedeutet aber – wie schon in den letzten beiden Jahren –, dass Ärzte und unsere medizinischen Fachangestellten sich hinter das Telefon klemmen und die nächstgelegenen Apotheken abtelefonieren müssen. Das bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Zeitaufwand.

Was müssen Eltern jetzt wissen?

Ein krankes Kind gehört nicht in Kinderkrippe, Kindergarten, Schule oder Hort. Genauso wenig wie Kinder mit akutem Husten – trocken oder produktiv. Ein wenig zur Besonnenheit möchte ich aber an dieser Stelle schon aufrufen: Nicht jedes Kind in einer Kindertageseinrichtung wird sich anstecken, vor allem, wenn regelmäßig gelüftet wird oder die Kinder sich viel im Freien bewegen. Und es macht sicher wenig Sinn, jedes Kind, das im Augenblick ohne besondere weitere Krankheitssymptome bei eigentlich abklingendem Infekt noch vereinzelt hustet, sofort wieder nach Hause zu schicken. Auch ist die Gefahr einer Ansteckung mit Mykoplasmen nicht so zu verstehen, dass da in schöner Regelmäßigkeit ganze Gruppen oder Klassen infiziert werden. Es braucht schon einen relativ engen und länger andauernden „Haushaltskontakt“. Das Bakterium wird übrigens vor allem auch in der Familien übertragen.

Kann man sich irgendwie vor einer Infektion schützen?

Einen wirksamen Impfschutz gibt es leider nicht. Normalerweise sind Isolierungen von Patienten nicht nötig. Das kann allerdings in Ausbruchssituationen, wie wir sie im Augenblick bei uns sehen, auch ein wenig anders sein. Dann sind milde Isolationsmaßnahmen von Patienten bei erfolgter Diagnose durchaus sinnvoll und wichtig. Grundsätzlich zu empfehlen ist sicher, dass sich Kinder auch im Herbst und Winter viel bewegen, vorzugsweise im Freien – und das bei jedem Wetter. Kälteresistenz meint, dass Kinder ihre Infektabwehr durch Erhöhung ihrer Widerstandsfähigkeit gegen niedrige Außentemperaturen vermehren. Dazu dann noch eine vernünftige Ernährung, dann ist schon sehr viel getan.

Interview: Patricia Huber

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