Rosenheim – Die Zahl der neu gemeldeten HIV-Fälle in Deutschland ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Doch wie ist die Situation in der Region? Und wer ist besonders betroffen? Dr. Michel Daneschnejad vom Rosenheimer Gesundheitsamt liefert im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen die wichtigsten Antworten.
Im Gesundheitsamt finden immer wieder HIV-Testungen statt.
Die staatlichen Gesundheitsämter in Bayern bieten anonyme, kostenlose HIV-Tests und Beratungen an. Bei uns in Rosenheim haben Bürger die Möglichkeit, sich dienstags und donnerstags in der Zeit von 8.30 bis 11 Uhr sowie von 14 bis 15 Uhr anonym testen zu lassen. Eine Anmeldung ist nicht nötig.
Wie wird das Angebot angenommen?
Wir führen in der Regel zwei bis drei HIV-Testungen pro Woche durch. Pro Jahr sind das rund 150 Testungen, bei denen nie mehr als zwei Tests positiv ausfallen.
Sind das mehr positive Fälle als sonst?
Nein, bei uns im Gesundheitsamt haben wir keinen Anstieg der HIV-Infektionen feststellen können. Auch die Zahl der Testungen hat nicht zugenommen. Die Nachfrage hält sich eher in Grenzen. Viele wissen wahrscheinlich nicht, dass wir im Gesundheitsamt überhaupt kostenlose und anonyme HIV-Tests anbieten.
Die Tests sind anonym. Muss man also gar nichts von sich preisgeben?
Wir fragen nach dem Anlass, wollen also wissen, ob beispielsweise ungeschützter Geschlechtsverkehr stattgefunden hat oder Drogen intravenös konsumiert wurden. Zudem weisen wir darauf hin, dass mindestens sechs Wochen seit dem letzten Risikokontakt vergangen sein müssen, damit das Testergebnis aussagekräftig ist. Erst dann sind die Antikörper und/oder Virusbestandteile bei einer Ansteckung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Blut nachweisbar beziehungsweise bei fehlendem Nachweis kann eine Ansteckung mit sehr hoher Sicherheit ausgeschlossen werden. Kommt der Proband vier Wochen nach einem Risikokontakt zu uns und der Test fällt negativ aus, könnte es sich um einen falsch-negativen Test handeln. Der Betroffene würde sich also in falscher Sicherheit wiegen.
Wie lange dauert es, bis man das Testergebnis in den Händen hält?
Das geht meistens innerhalb einer Woche. Während die Probanden bisher zu uns ins Gesundheitsamt kommen mussten, um die Ergebnisse zu erhalten, können wir diese auch mit Einverständnis der Getesteten jetzt auch telefonisch mitteilen. Sie rufen uns an, da wir keine Daten von ihnen haben. Das klappt sehr gut.
Wie geht es dann weiter?
Wenn das Testergebnis negativ ist, hat sich die Sache erledigt. Wir sprechen mit den Probanden dann darüber, wie sich solche Risiken zukünftig vermeiden lassen. Bei einem positiven Test bieten wir den Betroffenen ein Beratungsgespräch bei uns im Gesundheitsamt an und es sollte ein Bestätigungstest zum Ausschluss einer Probenverwechslung durchgeführt werden. Zur weiteren Abklärung verweisen wir die Probanden mit einem positiven Test an eine HIV-Schwerpunktpraxis. Im Rahmen der Aufklärung fragen wir auch nach möglichen Symptomen. Diese treten meist zwei Wochen nach dem Risikokontakt auf.
Um welche Symptome geht es?
Fieber, Halsschmerzen, Abgeschlagenheit, Nachtschweiß, Schwellung der Lymphknoten, Unwohlsein oder Gliederschmerzen. Also zu Beginn durchaus vergleichbar mit einer Grippe. Danach bleibt die Infektion oft lange symptomlos, obwohl HIV den Körper unbehandelt weiter schädigt. Das ist auch der Grund, warum man in der Regel zum Arzt geht, aber aufgrund der unspezifischen Symptome vorerst häufig unentdeckt bleibt.
HIV ist aufgrund guter Therapiemöglichkeiten kein Todesurteil mehr.
Das stimmt. HIV wird in der Regel mit Medikamenten behandelt. Die Krankheit ist zwar nicht heilbar, aber die Lebenserwartung von Menschen, die mit HIV infiziert sind, ist ähnlich hoch, wie bei nicht infizierten Menschen, wenn die HIV-Infektion frühzeitig erkannt wird.
Trotzdem muss die Nachricht von einer Infektion für die Betroffenen niederschmetternd sein.
Natürlich. HIV ist für viele Menschen eine schockierende Diagnose, da sie leider immer noch mit einer gesellschaftlichen Stigmatisierung verbunden ist. Manche Menschen verdrängen es, für andere bricht eine Welt zusammen. Aber: Eine Infizierung ist, wie bereits gesagt, aufgrund der guten Behandlungsmöglichkeiten kein Todesurteil mehr.
Sind die Menschen deshalb unvorsichtiger geworden?
Das ist schwierig zu beantworten. Die Fallzahlen lassen diesen Schluss zumindest nicht zu. In den vergangenen 20 Jahren zeigte sich ein relativ stabiler Verlauf der Neuinfektionen mit einem leichten Abfall während der Corona-Pandemie, was sehr wahrscheinlich auf weniger Testungen zurückzuführen ist.
Sie haben von mehreren Gründen gesprochen.
Bei Drogenkonsumenten, die die Nadeln nicht wechseln, konnte ein deutlicher Anstieg festgestellt werden. Wohingegen bei Männern, die Sex mit anderen Männern haben, ein Rückgang der Neuinfektionen zu verzeichnen ist. Das ist das Ergebnis der Aufklärungsarbeit – die bei Drogenkonsumenten aber nicht ankommt.
Wie äußert es sich, wenn das Virus ausbricht?
Das finale Stadium der HIV-Infektion wird auch als AIDS-Erkrankung bezeichnet und ist durch deutlichen Gewichtsverlust, bestimmte Krebsarten, wie zum Beispiel Lymphdrüsenkrebs und Hauttumore sowie durch opportunistische Infektionskrankheiten, wie zum Beispiel Pilzerkrankungen gekennzeichnet. Heutzutage sieht man AIDS-Erkrankungen vergleichsweise selten, da die HIV-Infektionen in der Regel früher erkannt werden.
Trotz der Aufklärungsarbeit bleiben sexuell übertragbare Krankheiten ein Tabuthema.
Das stimmt. HIV wurde lange Zeit mit einer Homosexualität bei Männern verbunden. Sexuell übertragbare Krankheiten sind nach wie vor mit Scham verbunden. Generell stelle ich fest, dass immer noch sehr verhalten über das Thema Sex gesprochen wird.
Wer kommt in der Regel zu Ihnen ins Gesundheitsamt für HIV-Tests?
Das ist bunt gemischt. Wir bieten beispielsweise auch Menschen, die im Sexkauf arbeiten an, sich bei uns testen zu lassen. Aufgrund des Prostituiertenschutzgesetzes sind Personen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, verpflichtet, einmal im Jahr eine gesundheitliche Beratung nach Paragraf 10 des Prostituiertenschutzgesetzes wahrzunehmen. Diese erfolgt bei uns im Gesundheitsamt. Im vergangenen Jahr haben 190 Personen, welche angaben, in der Stadt Rosenheim im Sexkauf tätig zu werden, dieses Angebot wahrgenommen. In dieser Beratung wurde ihnen immer die Möglichkeit zur anonymen HIV-Testung am Gesundheitsamt angeboten.
HIV ist auch über Blut übertragbar. Wie gefährlich ist Ihre Arbeit?
Wenn man als Arzt oder Krankenschwester Blut abnimmt, sind zur Prophylaxe Einmalhandschuhe zu tragen. Wenn man sich durch eine Nadelstichverletzung mutmaßlich mit HIV infiziert hat, gibt es die Möglichkeit einer Postexpositionsprophylaxe. Die muss innerhalb von 48 Stunden nach dem Kontakt eingenommen werden, um zu verhindern, dass sich das HI-Virus im Körper festsetzt.
Kommt so etwas häufig vor?
Bei uns im Gesundheitsamt ist es noch nicht vorgekommen. Aber in Kliniken oder in Krankenhäusern gibt es immer mal wieder Einzelfälle.
Interview: Anna Heise