50 Jahre „Herz-Ass“ – nach wildem Start

von Redaktion

Von Anfang an war es umstritten: Im Oktober vor 50 Jahren, 1974, setzte sich der Bauausschuss von Rosenheim erstmals mit Plänen für, was damals noch „Haus mit roter Laterne“ oder „Dirnenheim“ genannt wurde, in der Innstraße 76 auseinander. Wir zeichnen die damaligen Diskussionen nach.

Rosenheim – „Ich mache ausdrücklich aufmerksam, dass es sich hier um ein Haus mit roter Laterne handelt“, zitiert das Oberbayerische Volksblatt am 7. Oktober 1974 Oberbürgermeister Dr. Steinbeißer, als er in der Sitzung des Stadtplanungs- und Bauausschusses des Stadtrats ein Gesuch zum Um- und Ausbau des Hauses Rosenheim, Innstraße 76, vorlegte. Das Stadtbauamt empfahl die Genehmigung des Bauvorhabens unter einigen Auflagen, weil zur Ablehnung keine Rechtsgründe vorliegen würden. „Im Gegensatz zu Dr. Steinbeißer, nach dessen Ausführungen die Stadträte nur die Frage der bauaufsichtlichen Genehmigung zu prüfen haben, empfahl Bürgermeister Dr. Stöcker, durch die Regierung ein Sperrgebiet für gewerbsmäßige Unzucht ausweisen zu lassen.“

Streit um Einrichtung
des „Dirnenheims“

Dr. Steinbeißer räumte einem solchen Vorhaben keine Chance auf Genehmigung ein. „Stadtrat Hauser war gegen die Einrichtung eines Dirnenheims, weil diese erfahrungsgemäß ein Herd für Kriminalität seien. Die Polizei sage das Gegenteil, meinte Dr. Steinbeißer. Erfahrungsgemäß seien derartige Etablissements besser zu überwachen als unkontrollierbare Orte der Begegnung. Ein Ablehnungsbeschluss des Stadtrats werde mit großer Wahrscheinlichkeit von der Regierung aufgehoben, weil keine Rechtsgrundlage dafür bestehe.“ Am Ende wurde mit fünf Stimmen von CSU und UP gegenüber vier von SPD und Oberbürgermeister der Bauantrag abgelehnt.

Unterdessen nahm aber offenbar die Diskussion in der Bevölkerung Fahrt auf. Einerseits erreichte beispielsweise am 10. Oktober ein Leserbrief die Redaktion, in welchem dessen Verfasser sich eher über die Entscheidung lustig machte, aber gleichzeitig argumentierte: „,Gespielt‘ wird immer und überall – bekanntlich auch in Rosenheim. Und dass ein solches Spiel ‚in Grenzen‘ leichter überschaubar ist, als die Gespielinnen und deren Hintermänner bei einem ‚ohne Grenzen‘, ist eine Binsenweisheit aller Kriminaler ‚von der Sitte‘ der großen Städte.“ – womit er sich der Argumentation Steinbeißers anschloss.

Kurz darauf beklagte am 2. November in einem Schreiben die ehemalige Eigentümerin, sie werde zu Unrecht in der öffentlichen Diskussion als „Fördererin des Dirnenwesens“ angeklagt. Sie sei vielmehr eine „Geschäftsfrau und ehrbare Bürgerin der Stadt Rosenheim“, die schlicht nicht gewusst habe, was der neue Eigentümer mit der Immobilie vorhabe.

Ex-Hauseignerin sieht
„Verleumdung“

„Hätte der Käufer von vornherein mit offenen Karten gespielt und sein Vorhaben angegeben, wäre niemals ein Vertrag zustande gekommen. Rosenheim hätte einen Skandal weniger aufzuweisen, und mir wäre eine Verleumdung als Mithelferin und Dulderin des horizontalen Gewerbes erspart geblieben.“

Schon in der Bauausschusssitzung hatte es auch Witze gegeben und in der nächsten Faschings-Saison fand das Ganze dann auch einen Niederschlag, wie man einem Bericht am 29. Januar 1975 über den Rotkreuzball in Schloßberg entnehmen kann: „Für das älteste Kolonnenmitglied gab es einen Ehrentanz. Als ‚Debütantinnen‘ stellten sich drei ‚Damen‘ des Gunstgewerbes mit einem Ballett vor. Die ‚Liebesdienerinnen‘ warten bereits auf die Eröffnung des ‚Hauses mit der roten Laterne in Rosenheim‘. Vom Schloßberg aus, so ließen sie verlauten, könnten sie die Vorgänge bei dem Haus an der Innbrücke am besten beobachten und sich rechtzeitig einsatzbereit halten.“

Zur Jahresmitte musste sich der Stadtrat dann wieder mit dem Thema befassen, wie wir aus einem Artikel vom 20. Juni 1975 erfahren: „Die Regierung von Oberbayern hat nun diesen Rosenheimer Zwiespalt insofern gelöst, als sie, ohne sich auf das Baurecht zu beziehen, den Antrag auf Einrichtung eines Bordells in Rosenheim aus Ordnungs- und Sicherheitsgründen ablehnte.“ Der Käufer des Hauses wiederum habe nun einen Tekturplan eingereicht. „Er will dort zwölf Appartements einrichten. An wen er sie vermieten will, hat er nicht mitgeteilt. Er braucht das auch nicht, denn er kann vermieten, an wen er will. Beispielsweise könnte er auch an Damen des ‚leichten Gewerbes“ vermieten, denen dann Herrenbesuch durchaus nicht versagt werden könnte.“

Dies sei auch den Mitgliedern des Bauausschusses klar gewesen. „Auf diesbezügliche Anfragen erwiderte Oberbürgermeister Dr. Steinbeißer, dass alles Risiko beim Bauherrn läge, wenn die künftige Nutzung des Hauses gewerberechtlich oder sicherheitsrechtlich Ärger verursachen würde. Ärger könnte es zum Beispiel geben, wenn die Nachbarschaft sich gestört fühlt. Insofern wandte sich das Stadtoberhaupt jedoch nur vorsorglich an den Antragsteller, dem bisher nicht die Absicht unterstellt werden kann, auf Schleichwegen die von der Stadtratsmehrheit unerwünschte Unmoral in Rosenheim einzuführen. Der Tekturplan wurde mit 7:1 Stimmen genehmigt. Ob über das Anwesen Innstraße 76 deshalb auch schon das letzte Wort gesprochen und geschrieben worden ist, wird die Zukunft erweisen.“

„Attentate“ in
den 1970er-Jahren

Danach nahm das Haus dann unter seinem heutigen Namen den Betrieb auf. Beispielsweise findet sich am 25. Februar 1976 eine Anzeige für den Betrieb als „Herz- Ass“: „Das ‚außergewöhnliche Lokal in einem besonderen Haus“. Gleichermaßen taucht der Name auch sogleich synonym für einen Rotlichtbetrieb in der gleichen Ausgabe auf, wenn über einen Faschingsball gescherzt wird: „Unmaskierte wären aufgefallen wie ein Dominikanerpater im Herz-Ass“.

Dass es vielleicht noch Widerstände gab, lässt ein Bericht vom 6. April 1976 zumindest vermuten: „Dreimal verübten innerhalb von einigen Wochen unbekannte Täter ein ‚Attentat‘ auf das Haus mit dem Namen ‚Herz-Ass‘ in der Innstraße in Rosenheim. Mit Steinen warfen sie die herzförmige Leuchtreklame ein. Rund 2000 Mark mussten für die Reparaturarbeiten ausgegeben werden. Einmal wurde die 30-jährige Geschäftsführerin beinahe von einem Stein getroffen, als sie im ersten Stock neben einem Fenster auf der Couch lag. Ein Stein von der Größe eines Kinderkopfes flog durch die Scheibe. Die Polizei wurde verständigt. Von den Tätern fehlt jede Spur.“ Doch ansonsten finden sich keine weiteren Berichte über größere Diskussionen und Debatten.

Es sollte unterdessen nicht der einzige Betrieb seiner Art bleiben. 2011 berichteten die OVB-Heimatzeitungen ausführlich darüber, dass Anwohnern, wie auch der Stadtverwaltung die Zahl ähnlicher Etablissements allmählich überhandnahm. Ein Branchenverband zeichnete unterdessen das „Herz Ass“, welches zwischenzeitlich zu einer Art Traditionsbetrieb geworden war, 2017 mit einem Gütesiegel der Prostitutionsbranche aus. Gleichzeitig gibt es auch Kritik und Widerstand: Zwar ist die Anzahl der Bordelle in Rosenheim in den vergangenen Jahren leicht gesunken, trotzdem sorgt das Thema nach wie vor für Diskussionsstoff. Die Rosenheimerin Dr. Margot Kreuzer kämpft schon seit Jahren für ein Sexkauf-Verbot. Wieso daran in ihren Augen kein Weg vorbeiführt.

„Rosenheim ist eine Hochburg der Prostitution“, beklagte sie im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen, „Es gibt aus meiner Sicht keine wirklich freiwillige Prostitution. Studien belegen, dass über 90 Prozent der Frauen am liebsten aussteigen würden, wenn sie denn könnten. Schon die Vorstellung, bis zu zehn Männer pro Tag in sich eindringen zu lassen oder anderswie sexuell zu befriedigen, ist für die meisten Frauen undenkbar.“ Auch Birgit Gottwald vom Verein „Hagar Ministry“ schließt sich diesen Forderungen gegenüber dem OVB an.

„Kaum freiwillige
Prostituierte“

„Freiwillig arbeitende Prostituierte gibt es kaum. Über 90 Prozent der Frauen machen diese Arbeit nicht freiwillig. Zudem muss definiert werden, was man unter Freiwilligkeit versteht. Viele Prostituierte wurden selbst bereits als Kinder vergewaltigt oder missbraucht“, so auch Gottwald, „Ihr Körper ist ihnen nichts mehr wert, der Weg in die Prostitution ist mit so einer Biografie leicht. Ist das eine freiwillige Entscheidung? Oder wenn die Frauen so arm sind, dass sie keinen anderen Ausweg sehen. Kann man dann von Freiwilligkeit sprechen? Ich denke nicht.“

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