Rosenheim – Das weiß lackierte Rad fällt sofort ins Auge. Es steht an der Äußeren Münchener Straße in Rosenheim, auf Höhe der Firma Krones. Auf den Gepäckträgern stehen frische Blumen, im Rahmen hängt ein Schild. „Wir vermissen dich“, steht dort in schwarzer Schrift. Darunter: „Unseren Vater, Opa, Lebenspartner, Freund, Bergkameraden und Herrchen“.
„Ghostbike“-Idee
stammt aus den USA
Bei dem Fahrrad handelt es sich um ein sogenanntes „Ghostbike“, also ein Geisterrad. Die Idee stammt aus den USA und hat mittlerweile in vielen europäischen Städten Nachahmer gefunden. Die Räder werden an Stellen im öffentlichen Raum aufgestellt, an denen ein Radfahrer schwer verletzt oder getötet wurde. Sie dienen als Gedenkstätte für die Verstorbenen, sollen aber auch auf gefährliche Verkehrspunkte hinweisen und für mehr Sensibilität werben – sowohl bei Radlern als auch bei Autofahrern.
Aus diesem Grund hat sich auch die Familie des 84-jährigen Radfahrers entschieden, ein solches Mahnrad aufzustellen. Zur Erinnerung an Dieter Stahl, der nach einer Kollision mit einem Auto schwer stürzte und später im Krankenhaus verstarb. Einen Helm trug er nicht. „Die behandelten Ärzte haben uns gesagt, dass er sonst wahrscheinlich noch am Leben wäre“, sagt sein Sohn Holger. Denn der Aufprall seines Kopfes auf der Straße führte zu einer Hirnblutung. „Statistisch führt diese nach Unfällen bei circa 40 Prozent der Betroffenen innerhalb von 30 Tagen zum Tod“, fügt er hinzu.
Dieter Stahl starb am 11. August – knapp drei Wochen nach dem Unfall. „Er hatte ein sehr erfülltes Leben“, sagt sein Sohn Holger am Telefon. Er war fit, nur selten beim Arzt. In den Bergen fühlte er sich am wohlsten. Dort war er regelmäßig unterwegs – mit seinem Gleitschirm, Mountainbike, Tourenski oder zum Klettern. Am liebsten sei er auf die Hochries gewandert, um anschließend wieder ins Tal hinunterzufliegen. In der Gleitschirm- und Kletterszene war Dieter Stahl „bekannt wie ein bunter Hund“ und sehr beliebt, sagt sein Sohn.
Viele Jahre lang arbeitete er als Hochschulprofessor in München, unterrichtete dort angehende Ingenieure. Die Zeit, die er nicht im Hörsaal oder auf dem Berg verbrachte, nutzte er für die Menschen, die ihm wichtig waren. Seine Frau Helga, die gemeinsamen vier Kinder, elf Enkel, später als Witwer seine Lebensgefährtin Helen und die zahlreichen Freunde. Sie beschrieben ihren Dieter als fürsorglichen Mann, der immer offen für Besuche, tolle Urlaube, spannende Ausflüge und neue Herausforderungen war.
So kaufte er sich noch mit über 70 ein Akkordeon, um das Spielen seines ersten Instruments zu erlernen und fuhr bis zuletzt auf seinem Stand-up-Paddle-Board auf dem Happinger See, der Mangfall und dem Inn. Immer dabei: Seine geliebte Hündin Lissi. Für sie nähte er sogar eine Tasche, in die er seinen Vierbeiner packte, wenn er mit dem Roller in die Berge fuhr oder mit dem Gleitschirm durch die Lüfte segelte. Autark sei er gewesen, Probleme waren für ihn als Ingenieur nur Herausforderungen und er suchte mit großem Engagement nach Lösungen.
„Du warst ein unendlich lieber Lebensgefährte und der allerbeste Freund für verrückte Freizeitaktivitäten“, heißt es in der Traueranzeige seiner Familie. 84 Jahre lang wanderte, kletterte und flog Dieter Stahl durchs Leben. Jetzt ist er tot. „Wir hoffen, dass das Geisterrad dazu beiträgt, dass die Menschen im Verkehr mehr Rücksicht aufeinander nehmen und Radfahrer konsequent einen Helm tragen“, sagt Holger Stahl. Dadurch könnten einige Leben gerettet werden.