Rosenheim – Schon als kleiner Junge war Gerald Klamer (57) stundenlang im Wald und in der Natur unterwegs. Im Alter von 17 Jahren startete er seine erste große Tour: Mit einem Freund trampte er zum Nordkap in Norwegen. 2021 begann dann eine besondere Reise. Nur mit dem Nötigsten im Gepäck wanderte er 6000 Kilometer durch die deutschen Wälder.
Klamer stammt aus Niedersachsen, hat aber den größten Teil seines Berufslebens in der Nähe von Marburg verbracht. „Dort war ich 25 Jahre als Förster tätig“, erklärt der 57-Jährige. Im Februar 2021 kündigte Klamer seinen Job und seine Wohnung. Damit gab er auch sein Zuhause auf. Nur mit einem Schlafsack und einer Plane ausgerüstet, wollte er in neun Monaten den Zustand der Wälder dokumentieren. Und der war gar nicht mal so gut.
„Der Wald hat sich seit 2018 so verändert, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte“, betont er. Durch die Dürre von 2018 bis 2020 seien deutschlandweit ungefähr fünf Prozent der Wälder abgestorben. „Bayern ist mit einem blauen Auge davon gekommen. In Teilen von Nordrhein-Westfalen oder dem Harz sieht das anders aus“, berichtet Klamer. Da gebe es regelrechte Katastrophengebiete.
Tierische Treffen
und echte Angst
Seine Route führte ihn vor allem an den deutschen Außengrenzen entlang. „Dort liegen die meisten großen Waldgebiete“, erklärt er. Aber auch die verschiedenen Gesprächspartner, die er auf seiner Reise getroffen hat, bestimmten den Weg. „Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die mit dem Thema Wald verbunden sind. Förster, Aktivisten, Politiker und auch Wissenschaftler.“ Insgesamt habe er über 50 Termine gehabt.
Dazwischen wanderte er größtenteils alleine durch die Natur. Da Zelten im deutschen Wald bis auf wenige Ausnahmen verboten ist, schlief er unter freiem Himmel. „Wenn es geregnet hat, habe ich einfach meine Plane aufgespannt“, erinnert er sich. Manchmal konnte er auch bei gastfreundlichen Menschen, in Schutzhütten, oder selten in Hotels oder Pensionen übernachten. Die meisten davon blieben 2021 aufgrund von Corona geschlossen.
Bei Übernachtungen im Wald waren Tierbegegnungen programmiert. „Ich habe oft Besuche in meinen Nachtlagern erhalten“, erinnert sich der Waldliebhaber. Einmal habe in der Brunftzeit ein Hirsch direkt neben seinem Schlafsack gebrüllt. „Für mich war das nicht schlimm, ich kannte das ja“, sagt Klamer. Trotzdem sei es ein eindrucksvolles Erlebnis gewesen. Auch das Geheul von Wölfen habe er einmal gehört. „Die Tiere selbst habe ich zwar nicht gesehen, aber das Geheule war bereits beeindruckend.“
Die Begegnungen mit Menschen seien nur positiv gewesen. „Ich hatte keine beängstigende Situation“, betont Klamer. Obwohl er eine durchaus kritische Sicht auf die bisherige und auch aktuelle Art der Waldbewirtschaftung hat, bekam er auf seiner Reise wenig Gegenwind. „Die Unterhaltung mit Kollegen war trotz meiner Kritik immer sehr sachlich“, erinnert er sich.
Da Klamer keinen Gaskocher dabei hatte, gab es hauptsächlich kalte Küche. „Haferflocken, Erdnüsse, Käse oder auch Schokolade standen dann auf dem Speiseplan“, erzählt Klamer. „Wichtig war vor allem, dass es kalorienreich ist.“ Durch das viele Wandern – im Schnitt 30 Kilometer am Tag – brauche der Körper bis zu 4000 Kalorien.
Ganz ohne Probleme ging es allerdings nicht. So war Klamer zwar auf die Witterung eingestellt, konnte aber nicht mit allem rechnen. „Wettervorhersagen hin oder her, wenn man nachts im Fichtenwald von einem Gewittersturm geweckt wird, bekommt man es schon mit der Angst zu tun“, sagt Klamer. Vor allem da Fichten gerne auch mal umfallen, wie er weiß.
„Der Wald hat große
Bedeutung für alle“
Mit der Reise brachte er seine beiden großen Leidenschaften zusammen. Die für das Wandern und die für Wald und Natur. „Der Wald war mein erster Spielplatz“, erinnert sich Klamer. Er wuchs in einem kleinen Dorf in Niedersachsen auf. Dabei entwickelte sich seine Verbundenheit zu Wald und Natur wie von selbst.
Aber nicht nur für ihn persönlich ist der Wald wichtig. „Er hat für uns alle eine große Bedeutung“, bekräftigt Klamer. Er weiß, dass der Wald zum Beispiel im Umgang mit dem Klimawandel eine wichtige Rolle spielt. Aktuell sei der Wald aber vor allem eines: Rohstofflieferant. „Das ist natürlich eine wichtige Funktion, die möchte ich auch nicht kleinreden“, so Klamer.
In der aktuellen Waldkrise gehe es ihm aber vor allem darum, den Wald als solchen zu erhalten. Dazu könne jeder Einzelne etwas beitragen. „Papier zu sparen ist ganz wichtig“, betont der 57-Jährige. Im Zweifelsfall müsse sich aber auch die Bewirtschaftung verändern.
Dass er eine so große Wandertour macht, kam für seine Familie nicht überraschend. „Meine Tochter war es schon gewohnt, dass ich Auszeiten nehme und über längere Zeit Touren mache“, sagt Klamer. Sein Vater habe ihn allerdings mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiedet.
„Man macht sich natürlich Sorgen, wenn der eigene Sohn seinen sicheren Beruf aufgibt“, sagt er. Er habe volles Verständnis dafür. Insgesamt ist er sich aber sicher: „Wer mich kannte, hatte genug Vertrauen, dass das alles funktioniert.“
Die Tour durch Deutschlands Wälder ist übrigens nicht Klamers letzte geblieben. 2022 machte sich der Waldwanderer auf den Weg in die Karpaten, in die letzten Urwälder Europas. Mit seiner Freundin durchquerte er außerdem die Wüsten Nordamerikas und berichtet in Vorträgen über seine Erlebnisse. Ein Ende ist noch nicht in Sicht – Gerald Klamer ist für eine Wanderung immer zu haben.