„Prostitution ist Gewalt an Frauen“

von Redaktion

Interview Pastor Klaus Engelmohr fordert ein Sexkaufverbot in Deutschland

Rosenheim – Die Situation ist ernst. Zumindest, wenn man bei Pastor Klaus Engelmohr nachfragt. Er ist der Vorsitzende des Vereins „AugsburgerInnen gegen Menschenhandel“, setzt sich dafür ein, dass Männer, die Sex kaufen, bestraft werden. Warum das wichtig ist und wie man Prostituierten helfen kann, beantwortet er vor seinem Fachvortrag in Rosenheim im Interview.

Dass ein Pfarrer Sex mit Prostituierten verbieten will, ist zunächst wenig überraschend. Geht es Ihnen nur um die Moral?

Nein. 2011 habe ich mich zum ersten Mal intensiv mit dem Thema beschäftigt. Ich war damals bei einer Veranstaltung in Augsburg. Es ging um Menschenhandel in der Prostitution. Den Vortrag haben sich, mich und die beiden Referenten eingeschlossen, nur fünf Menschen angehört. In meinen Augen ein Skandal, denn die Referenten sprachen darüber, dass 80 Prozent der schätzungsweise 250000 Prostituierten in Deutschland nicht freiwillig in der Prostitution sind. Eigentlich hätte die gesamte Stadt an der Veranstaltung teilnehmen müssen. Also habe ich beschlossen, alles daranzusetzen, eine Veranstaltung zum gleichen Thema zu organisieren, an der deutlich mehr Menschen teilnehmen. Ich konnte nicht tatenlos dabei zusehen, dass Menschenrechte in Deutschland scheinbar legal mit Füßen getreten werden.

Was hat sich seit 2011 mit Blick auf das Thema verändert?

Aus unserer Arbeitsgruppe ist mittlerweile ein eigener Verein geworden. Unser Ziel ist es, die Menschen über das Unrecht, das passiert, zu informieren. Wir veranstalten Podiumsgespräche, Filmabende, Autorenlesungen, Fachtage, Ausstellungen und so weiter.

Wir arbeiten dabei eng mit der Frauenhilfsorganisation Solwodi und der Polizei zusammen, die uns von Anfang an sehr gut unterstützen. Außerdem arbeiten wir politisch für die Veränderung unserer Prostitutionsgesetzgebung.

Schweden gilt als einer der Vorreiter, wenn es um den Umgang mit Prostitution geht. Was sind die größten Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden?

In Schweden gibt es das Nordische Modell. Die Freier machen sich in Schweden, anders als in Deutschland, strafbar, wenn sie sexuelle Handlungen kaufen, während die Anbietenden, also meist die Frauen in der Prostitution, straffrei bleiben. Das mag im ersten Moment komisch klingen: Frauen dürfen sich prostituieren, Männer dürfen den Sex aber nicht kaufen. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass die schwedische Regierung der Meinung ist, dass Prostitution gut und nur das, was der Mann macht, schlecht ist. Die Regierung ist davon überzeugt, dass Prostitution Gewalt an Frauen ist, deshalb machen sich auch die Profiteure, also die Bordellbetreiber und Zuhälter, strafbar. Frauen, die sich in den meisten Fällen prostituieren müssen, sollten nicht auch noch kriminalisiert werden. 

Warum prostituieren sich Frauen überhaupt?

Weil Männer die Nachfrage schaffen. Durch das Nordische Modell wird versucht, die Nachfrage zu reduzieren, indem man den Sexkauf verbietet und die Männer bestraft.

Und das geht?

Ja. Sowohl für die deutsche, als auch die schwedische Polizei ist es im Moment relativ einfach, die Frauen in der Prostitution aufzuspüren – die Freier schaffen es ja auch. Wird in Schweden ein Freier auf frischer Tat ertappt, wird er festgenommen und ihm werden seine Rechte erklärt. Die Mindeststrafe liegt bei einer Bewährungsstrafe, verbunden mit einer Geldstrafe. Beim zweiten Mal geht der Freier ins Gefängnis.

Nur, weil die Dinge verboten sind, heißt es nicht, dass sie nicht gemacht werden.

Zumindest in Schweden funktioniert es. Dort ist die Prostitution nachweislich zurückgegangen. Hinzu kommt, dass die Preise für die Prostitution deutlich gestiegen sind. Während man in Deutschland für eine Viertelstunde gerade einmal 15 Euro bezahlen muss, kostet der Sex in Schweden um die 100 Euro und mehr. Und damit sage ich nicht, dass Prostitution besser wäre, wenn sie besser bezahlt ist. Aber zumindest wäre die Situation für die Frauen nicht mehr so prekär. Wenn der Kühlschrank zu Hause aber leer ist und ich dringend Geld benötige, dann haben die Frauen oft keine andere Wahl.

Also landen Frauen oft aus Notsituationen heraus in der Prostitution?

Ja und weil es augenscheinlich so aussieht, als ob man dort einfach Geld verdienen könnte. Würde kein Mann Sex kaufen wollen, wäre das Risiko, dass vulnerable Frauen in die Prostitution geraten, gar nicht erst gegeben. Die Not bei den Frauen kann sehr unterschiedlich aussehen. Sie können arbeitslos sein, wissen nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Es kann aber auch sein, dass sie in den Job „hineingelogen“ worden sind. Ist man erst einmal in der Prostitution drin, ist es oft schwer, wieder rauszukommen.

Also ist so etwas wie freiwillige Prostitution ein Mythos?

Ja. Viele Frauen, die angeben, die Arbeit freiwillig zu machen, wurden als Kind missbraucht. Die Erfahrung, nicht selbst über den eigenen Körper bestimmen zu können, oder eine Traumatisierung führen dazu, dass sie vielleicht leichter ihren Körper verkaufen, als es eine Frau tun würde, die ein gutes Selbstwertgefühl hat. Und da stelle ich mir schon die Frage, wie freiwillig es ist, wenn eine Frau als Kind Gewalt erlebt hat und Prostitution als Lösung sieht.

Wie gelingt es, diese Frauen zu unterstützen? Viele von ihnen haben ja sicherlich auch keinen Schul- oder Uniabschluss.

Für viele Frauen ist der Grund, warum sie in der Prostitution bleiben, weil sie keinen anderen Weg sehen. Sie kommen aus dem Ausland, haben keine Bildung und zum Teil noch nicht einmal die Grundschule besucht. Sie haben intellektuell keine Möglichkeit, sich zu wehren und sind deshalb leichte Opfer. Vonseiten der Zuhälter bekommen die Frauen oft vermittelt, dass ja alles legal ist und sie kein Opfer sind.

Was also tun?

Man muss den Frauen deutlich machen, dass sie sich nicht prostituieren müssen. Viele Frauen denken, dass es für sie nichts anderes gibt. Teilweise werden Frauen bewusst von ihrer Familie in die Prostitution geschickt. Sie prostituieren sich also, weil sie glauben, so ihre Familie unterstützen zu können. Ziel muss es sein, diesen Frauen eine Perspektive zu bieten. Wir müssen ihnen dabei helfen, anders Geld zu verdienen und eine Ausbildung zu machen. Parallel dazu müssen viele Frauen eine Therapie machen, weil sie oft mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen haben. Aber das Wichtigste ist und bleibt ein stabiles Umfeld. 

Wie schafft man es denn, an die Frauen heranzukommen. Ist das nicht schon die erste Hürde?

Das gelingt durch die aufsuchende Arbeit. Es dauert aber sehr lange, bis das Vertrauen aufgebaut ist. Diese Frauen kommen in der Regel aus Ländern, in denen man auch der Polizei nicht trauen kann. Man ist gegenüber jeder Hilfsorganisation skeptisch. Eine Sozialarbeiterin muss also immer und immer wieder vorbeischauen. Und irgendwann melden sich die Frauen bei ihr, weil sie sich erinnern, dass ihnen einmal Hilfe angeboten worden ist. Dann kommt oftmals aber auch noch die Sprachbarriere hinzu.

Es braucht also ein klares Sexkaufverbot?

Ja, daran führt in meinen Augen kein Weg vorbei. Nur so kann es gelingen, die Nachfrage zu reduzieren. Im Rahmen einer Umfrage haben wir zahlreiche Freier befragt, ob sie immer noch Sex kaufen würden, wenn es verboten wäre. Ein Großteil hat die Frage mit Nein beantwortet.

Wäre ein Sexkaufverbot die Lösung für alles?

Natürlich nicht. Auch in Schweden gibt es nach wie vor Prostitution. Ein Sexkaufverbot alleine reicht nicht aus. Neben der Kriminalisierung der Freier braucht es auch härtere Strafen für Zuhälter und all diejenigen, die daraus Profit ziehen. Also beispielsweise diejenigen, die Zimmer zur Verfügung stellen. Zudem müssen die Frauen komplett entkriminalisiert werden. In Deutschland kann es trotz legalisierter Prostitution passieren, dass Frauen, die sich zum Beispiel im Sperrgebiet prostituieren, hohe Strafen bezahlen müssen. Was es außerdem braucht, sind umfassende Hilfsangebote, um den Frauen einen Ausstieg überhaupt ermöglichen zu können. Auch die Aufklärung ist unheimlich wichtig. Und selbst, wenn wir das alles hätten, würden sich die Probleme nicht in Luft auflösen. Aber wir hätten zumindest eine Handhabe, um Frauen zu helfen und Männern klarzumachen, dass es nicht in Ordnung ist, was sie tun. 

Ein guter Punkt.

Wenn in Deutschland 70 Prozent der Bevölkerung meinen, dass Prostitution Gewalt an Frauen ist, hätten wir schon viel erreicht. Im Moment sind wir noch auf dem Stand, dass viele davon überzeugt sind, dass Prostitution etwas ganz Normales ist, da es erlaubt ist.

Ist das Thema bereits in der Politik angekommen?

Ja, aber es ist noch viel Luft nach oben. Aber die CDU fordert ganz klar das Nordische Modell. Wir hoffen, dass es auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen wird. Gut ist, dass es in fast jeder Partei Menschen gibt, die sich für das Nordische Modell einsetzen.

Die Stadt Rosenheim gilt als Hochburg der Prostitution. Ist es Zufall, dass Sie für einen Vortrag in der Stadt sind?

Tatsächlich ja. Aber ich würde mich freuen, wenn zahlreiche Menschen, die sich engagieren wollen, zu meinem Vortrag kommen. Aber auch diejenigen, die sich Gedanken darüber machen, ob es nicht andere Gesetze beziehungsweise das Nordische Modell braucht.

Interview: Anna Heise

Fakten zum Thema Prostitution und dem sogenannten „Nordischen Modell“

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