Rosenheim – Auf der Liste von Seelsorgerin Hannelore Maurer stehen sieben Namen. Leise liest sie die Namen vor. Da wäre Maximilian aus der Schießstattstraße, Margerita aus der Aventinstraße oder Matthias aus der Pernauerstraße. Sie alle sind in den vergangenen Monaten verstorben. Alleine. Einige von ihnen haben die letzten Monate ihres Lebens im Pflegeheim verbracht, andere auf der Straße oder vereinsamt in ihrer Wohnung.
„Wir kennen die Lebensgeschichte der Menschen nicht“, sagt Hannelore Maurer. Was sie weiß, ist, dass es niemanden gibt, der sie auf ihrem letzten Weg begleitet. Aus diesem Grund hatte Pfarrerin Rosemarie Rother bereits im Jahr 2011 angeregt, dafür zu sorgen, dass die Verstorbenen würdig verabschiedet werden. Mit einem ökumenischen Gottesdienst. Musik. Blumen. Und einer Rede.
„Hinter jeder Urne steht ein Mensch. Wir kennen sie nicht, aber Gott kennt sie“, sagt Hannelore Maurer. Es ist eine Aussage, die sie während des Gesprächs immer wieder wiederholt. Und die sie wohl auch im Rahmen der Trauerfeier sagen wird, die am heutigen Mittwoch stattfindet. Dann, wenn die Namen der sieben Menschen noch einmal laut ausgesprochen werden.
In der Aussegnungshalle werden dann neben Hannelore Maurer auch Vertreter der evangelischen Kirche stehen. Zudem Bestatter, Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung, aber auch Menschen aus den jeweiligen Pfarrgemeinden. „Sie kommen, ohne die Verstorbenen gekannt zu haben“, sagt Maurer. Hin und wieder komme es vor, dass auch Freunde, Bekannte oder Angehörige der Verstorbenen kommen.
„Die Vereinsamung
nimmt zu“
Stirbt beispielsweise ein Bewohner der städtischen Obdachlosenunterkünfte, nehmen oft andere Wohnungslose an dem Gottesdienst teil. „Sie trauern um den Menschen, wissen aber auch, dass die letzte Station ihres Lebens ähnlich aussehen könnte“, sagt Hannelore Maurer. Hin und wieder komme sie mit den Besuchern ins Gespräch und erfahre dadurch doch noch ein paar Einzelheiten über die Verstorbenen.
Einige waren Mitglieder im Trachtenverein, andere liebten das Radfahren. Es gab diejenigen, die alle zum Lachen brachten und die, die eher besonnen waren, immer da waren, wenn sie gebraucht wurden. Sie mussten Schicksalsschläge hinnehmen, haben getrauert und gefeiert. Einige waren erfolgreich in ihrem Job, andere sind durch die Welt gereist. Es gibt Gläubige, Familienmenschen und diejenigen, die alleine durch die Welt gegangen sind. Warum sie am Ende ihres Lebens ganz alleine waren, ist in den meisten Fällen nicht bekannt. „Die Vereinsamung nimmt zu. Es handelt sich um Menschen, die in Vergessenheit geraten sind“, sagt Hannelore Maurer.
Auch deshalb sei es ihr ein Anliegen, sich zu kümmern. Um diejenigen, die eine Sozialbestattung in Anspruch nehmen müssen. „Die Stadt kümmert sich durchschnittlich um 15 Sozialbestattungen pro Jahr, wobei die Zahlen relativ konstant bleiben“, sagt Pressesprecher Christian Baab. Sozialbestattungen würden dann fällig, wenn die Person in Rosenheim wohnhaft war oder im Krankenhaus, beziehungsweise im Altenheim verstarb.
Sozialbestattungen finden statt, wenn keine entsprechende Vorsorge getroffen wurde, es keine Angehörigen gibt, diese nicht ausfindig gemacht werden konnten oder, wenn sie sich weigern, die Kosten für die Bestattung zu übernehmen. „Sofern innerhalb der Bestattungsfrist von acht Tagen keine Angehörigen ermittelt oder kontaktiert werden können, wird in der Regel zunächst ein Feuerbestattungsauftrag erteilt und die Urne an den Friedhof gesandt“, erklärt Baab.
Anschließend wird die Urne bei der nächsten Sozialbestattung im Sozialgrab beigesetzt. „Die finden zweimal im Jahr statt, im Frühling und im Herbst“, sagt Baab. Wenn es zeitlich möglich ist, nehmen Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung und des Ordnungsamtes an der rund einstündigen Zeremonie teil. „Sie wollen der verstorbenen Person das letzte Geleit geben“, fügt der Pressesprecher hinzu.
Und genau das liegt auch Hannelore Maurer und dem Pfarrer-Ehepaar Rosemarie und Bernd Rother am Herzen. „Es ist so wichtig, dass die Menschen gut bestattet werden“, sagt Maurer. Das unterstreicht auch Michael Hartl, Geschäftsführer des Friedhofs-Kompetenz-Zentrums in Rosenheim.
Starker Anstieg von
Sozialbestattungen
Auch er weiß, dass die Zahl der Sozialbestattungen und Bestattungen von Amts wegen – also dann, wenn die Verstorbenen keine Angehörigen haben – in den vergangenen zehn Jahren „extrem gestiegen sind“. Vereinsamung sei ein Grund, aber auch die Tatsache, dass viele Menschen auch im hohen Alter alleine leben und in der Stadt oft anonym bleiben – ob nun gewollt oder ungewollt. Doch diese Entwicklung stellt Hartl und seine Kollegen immer wieder vor Probleme. Nicht nur werden die Urnen teils monatelang nicht beigesetzt, auch müssen die Bestatter mit sämtlichen Kosten zunächst in Vorleistung gehen.
Zwar kommen die Sozialämter für Bestattungen bei bedürftigen Hinterbliebenen auf, doch die Bearbeitungszeit der einzelnen Anträge dauert Hartl zufolge oft mehrere Monate. „Das stellt uns zum Teil vor große Probleme und ist mit sehr viel Bürokratie verbunden“, sagt Michael Hartl.
Maximilian aus der Schießstattstraße, Margerita aus der Aventinstraße und Matthias aus der Pernauerstraße bekommen davon nichts mehr mit. Sie werden am heutigen Mittwoch um 11 Uhr in der Aussegnungshalle des städtischen Friedhofs bestattet. Es wird Musik erklingen, überall werden Blumen stehen. Die Pfarrer werden vor Ort sein, möglicherweise einige Besucher und Mitarbeiter der Verwaltung.
Sie alle werden auf die Urnen schauen, sich fragen, wer die sieben Menschen sind, die begraben werden. Nach der Zeremonie kommen die sieben Urnen ins Sozialgrab der Stadt Rosenheim. Auf einer Platte wird ihr Name eingraviert sein, dahinter das Jahr, in dem sie gestorben sind. „Menschen stellen immer wieder Kerzen und Blumen vor dem Grab ab“, sagt Hannelore Maurer. Ganz in Vergessenheit geraten sind die Toten also doch nicht.