Rosenheim – In Deutschland steht am 23. Februar 2025 die vorgezogene Neuwahl des Deutschen Bundestages an. Aktuellen Umfragen zufolge könnte die AfD bei einer Bundestagswahl ganze 18 Prozent erreichen. Und das, obwohl die Partei eine Gefahr für die Demokratie sei, wie der Jurist und Journalist Maximilian Steinbeis sagt. Warum man jetzt den AfD-Verbotsantrag auf den Weg bringen sollte und warum konservative Parteien aufpassen sollten, nicht zu einem „autoritär-populistischen Monster“ zu werden, erklärt er im OVB-Gespräch.
Ihr neustes Buch trägt den Titel „Die verwundbare Demokratie“. Müssen wir uns aktuell Sorgen um die Demokratie in unserem Land machen?
Wir haben überhaupt keinen Anlass, uns beruhigt zurückzulehnen. Wenn man sich in der Welt umschaut, sieht man, wie viele Demokratien auf dem Weg in den Autoritarismus sind. Darunter so altehrwürdige wie die USA.
Wer ist in Deutschland eine Gefahr für die Demokratie?
Der autoritäre Populismus ist eine globale Bewegung. Überall arbeiten politische Kräfte daran, die Institutionen der Demokratie und des Rechtsstaats als Instrumente für den eigenen Machterwerb beziehungsweise Machterhalt zu missbrauchen. Der deutsche Arm dieser Bewegung ist die AfD. Es gibt aber durchaus auch andere politische Kräfte, die diese Strategie zunehmend attraktiv finden.
Zum Beispiel?
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wird man da genau beobachten müssen. Aber auch in den etablierten Parteien, in der Union, in der FDP, teilweise auch in der SPD, gibt es Einzelne, die sich offenbar vom Erfolg von Viktor Orbán und Donald Trump inspirieren lassen.
Bereitet Ihnen das Sorgen, wenn auch etablierte Parteien auf den populistischen Zug aufspringen?
Ja, total. Insbesondere auf die konservativen Parteien kommt es jetzt an. Wenn die sich dieser Strategie anschließen, dann kippt das System. Nur dann, wenn die Konservativen stehen, hat die Demokratie eine Chance, diesen Angriff zu überleben.
Wie blicken Sie da jetzt auf die Neuwahlen, wo ja immer wieder die Frage gestellt wird, ob die Brandmauer zur AfD noch steht.
Ich bin erleichtert darüber, dass noch niemand bei der Union offen über eine Koalition mit der AfD redet – oder jedenfalls nicht auf der Führungsebene. Ich hoffe, dass das auch so bleibt. Aber das ist nicht das einzige Szenario. Genauso bedenklich wäre es, wenn die Union sagen würde, wir wollen nicht mit der AfD koalieren, sondern wir wollen die AfD ersetzen. Dann gehen sie entweder den Weg der Republikaner in den USA und werden selbst zu einem autoritär-populistischen Monster. Oder sie gehen den Weg der Republikaner in Frankreich und werden pulverisiert.
Also sehen Sie auch eine Gefahr, dass Deutschland in eine Ecke abrutscht, die grundsätzlich gefährlich für die Demokratie ist?
Ja, absolut. Dafür gibt es auch genügend Anschauungsmaterial in anderen Ländern, die kein bisschen weniger solide demokratische Kultur haben als wir hier auch und bei denen man wirklich akut Angst haben muss, dass das alles den Bach runtergeht.
Haben Sie Sorge, dass in den USA jetzt „alles den Bach runtergeht“?
Ich glaube, das passiert jetzt gerade, während wir sprechen.
Was halten Sie von einem Verbot der AfD?
Ich glaube, dass wir jetzt schon viel zu lange ziellos und ergebnislos die Debatte darüber führen, ob es eine gute Sache oder schlechte Sache ist, die AfD zu verbieten. Zuallererst muss man jetzt den Verbotsantrag auf den Weg bringen, um damit auch die Verfassungsschutzbehörden zu verpflichten, jetzt mal ihre Karten auf den Tisch zu legen.
Man hört ja auch häufiger, man könne die AfD jetzt nicht verbieten, da die Partei so viele Wähler hat und bereits so stark ist. Wie bewerten Sie dieses Argument?
Das Bundesverfassungsgericht hat uns 2017 gesagt, dass wir eine Partei, die gefährlich für die Verfassung ist, nicht verbieten können, wenn sie zu schwach ist, um wirklich gefährlich zu sein. Wenn sie so stark ist, dann ist es umso dringlicher, sie zu verbieten. Wenn dieses Instrument zu irgendwas gut sein soll, dann um eine wirklich dringliche Gefahr abzuwenden.
Nachdem Donald Trump 2020 die US-Wahl verloren hatte, stürmten seine Anhänger das Kapitol. Muss man mit so etwas auch rechnen, wenn man die AfD verbietet?
Das würde ich vermuten. So wie für Trump ist auch für die AfD kennzeichnend, dass sie behauptet, für das „wahre Volk“ zu sprechen und das wahre Volk als ihresgleichen zu definieren. Wenn demokratische oder rechtsstaatliche Verfahren ein anderes Ergebnis hervorbringen, dann weigern sie sich, es als legitim anzuerkennen, und glauben sich berechtigt, sich dagegen zu wehren.
Der CDU-Politiker Gundolf Siebeke hatte kürzlich in einem sozialen Netzwerk das Frauenwahlrecht infrage gestellt, wenn Frauen „den politischen Heiratsschwindler Robert Habeck ins Kanzleramt hieven“. Solche Aussagen stellen auch unsere demokratischen Grundprinzipien infrage.
Ich glaube, 99 Prozent aller Unionspolitiker und Anhänger finden das genauso grotesk wie wir beide. Aber trotzdem zeigt das, dass gerade ein Klima herrscht, in dem sich Menschen mit solchen Positionen an die Öffentlichkeit trauen. Man muss offenbar nicht von vornherein befürchten, sich für alle Zeiten unmöglich zu machen – und das besagt ja auch schon etwas.
Es gibt auch hier in der Region teils große Wahlerfolge der AfD, aber auch eine große Reichsbürger- und Querdenker-Szene. Wie erklären Sie sich, dass sich hier viele solcher Menschen sammeln?
Die erste Wahl, an der ich nach meinem 18. Geburtstag teilnehmen durfte, war die Europawahl 1989. Bei dieser Wahl feierten die Republikaner in Bayern große Erfolge – besonders in Rosenheim. Also irgendwie scheint es hier schon immer besonders viele Leute gegeben zu haben, die anfällig für völkisches Denken sind. Eine Erklärung habe ich dafür aber nicht.
Wie kann man die Demokratie wieder stabilisieren?
Ich glaube, das Wichtigste ist, sich über die Strategie der autoritären Populisten klar zu werden, über das Spiel, das da gespielt wird, und sich darauf vorzubereiten. Das betrifft ganz verschiedene Menschen, auf ganz verschiedene Arten und Weisen.
Inwiefern?
Wenn ich als Lehrerin in der Schule arbeite und plötzlich eine autoritär-populistische Bildungsministerin vorgesetzt kriege, die mir sagt, was ich in meinem Geschichtsunterricht zu unterrichten habe, bin ich in einer anderen Situation, als wenn ich als Polizist plötzlich eine friedliche Protestdemonstration von Regierungsgegnern gewaltsam auflösen muss. Es ist wichtig, sich über die Szenarien, die möglicherweise auf uns zukommen, vorzubereiten. Wir müssen Strukturen schaffen und Solidarität organisieren, solange die Spielräume noch da sind.
Also nicht Scheuklappen auf und hoffen, dass alles gut geht.
Genau. Nicht normalisieren, nicht sich blind machen, nicht sich abschotten. Sondern jetzt schauen, dass man sich für den Moment stärkt, wo man die Dinge benötigt.
Interview: Patricia Huber