Rosenheim – Rainer Maria Schießler ist ein katholischer Pfarrer, der seinen eigenen Weg geht. Er hält jedes Jahr eine „Viecherl-Messe“, bei welcher er Tiere segnet. Trotz seines Zölibats lebt er mit einer Frau zusammen. Außerdem setzt Schießler sich für die gleichgeschlechtliche Ehe ein. 2023 wurde ihm der Bayerische Verfassungsorden verliehen. Am 7. Dezember kommt Schießler nach Rosenheim, um aus Ludwig Thomas „Heilige Nacht“ vorzulesen. Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen verrät er, was ihm zu Weihnachten wichtig ist, warum er zu seiner liberalen Haltung steht und wieso der katholischen Kirche mehr Freiheit guttun würde.
Wann waren Sie das letzte Mal sauer auf Gott?
Was kann denn Gott dafür, wenn etwas nicht gut läuft? Wenn ich sauer bin, dann auf die Sache und nicht auf den lieben Gott. Außerdem bringt es nichts, zu schimpfen, das macht die Welt nicht wieder gut. Ich bin stattdessen dankbar, dass der liebe Gott da ist.
Weihnachten hat viel mit Dankbarkeit und Frieden zu tun. Wie feiern Sie Weihnachten?
Ich bin entweder beschäftigt oder allein. Aber das Alleinsein macht mir nichts aus. Im Gegenteil. Ich nutze die Zeit zum Nachdenken über mich und die Welt. Ich mag es ansonsten gern, Zeit mit anderen zu verbringen. Beispielsweise gehe ich am ersten Weihnachtstag gern mit anderen Leuten essen. An Heiligabend selbst brauche ich aber Ruhe.
Waren Sie in den vergangenen Jahren schon auf dem Rosenheimer Christkindlmarkt?
Ja klar, ich war von 1987 bis 1991 Kaplan in Rosenheim und von daher kenne ich mich in der Stadt gut aus. Für mich ist Rosenheim eine Heimat. Damals habe ich auf dem Christkindlmarkt jeden Bratwurststand durchprobiert. Ich liebe Bratwürste, leider gibt es die Metzgerei von damals nicht mehr. Aber ich werde mir auch dieses Jahr wieder eine Bratwurst gönnen.
Sie werden am 7. Dezember in Rosenheim eine Lesung von Ludwig Thomas „Die Heilige Nacht“ geben. Warum gerade diese Geschichte?
Das hab ich mir nicht selbst ausgewählt. Ich wurde gefragt, ob ich zur Verfügung stehe. Liegt wahrscheinlich auch am bairischen Dialekt in dem Stück. Und es ist wichtig, dass der richtig vorgelesen wird. Bairisch vorzulesen ist nicht einfach, eine richtige Herausforderung.
Was ist Ihre Lieblingsszene aus dem Stück?
Eine Stelle bringt mich zum Dahinschmelzen. In dieser sagt Maria zu Josef „Schau, wir sind nicht allein. Wir haben doch schon das größte Geschenk! Uns geht es doch gut, wir können uns glücklich schätzen.“ Sie sehen, ich kann es auswendig zitieren. Ich möchte bei dieser Szene den Zuhörern am liebsten zurufen „Du, der gerade irgendeinen Ärger hast, in der Partnerschaft, im Beruf, mit den Kindern. Lass dich nicht verärgern. Lass dich nicht unterkriegen. Wir haben alles.“ Man muss auf das sehen, was der Herr uns gegeben hat.
Apropos, nicht unterkriegen lassen: Man hört immer wieder von Skandalen in der Kirche. Was müsste die Kirche Ihrer Meinung nach tun, um solche Fälle zu verhindern und ihren Ruf zu verbessern?
Ganz einfach: Solche Skandale dürfen nicht passieren. Die Kirche muss ihre eigenen Regeln beachten und diese Regeln sind im Evangelium. Ich vertrete eine liberale Auslegung des Evangeliums und das ist sehr gut darin begründet, dass das in der Schöpfung festgelegt ist. Glaube ist Freiheit. Glaube ohne Freiheit gibt es nicht. Ohne Freiheit gibt es keine Aufklärung, keinen Fortschritt. Die Skandale sind auch nur deswegen aufgedeckt worden, weil ein Pfarrer sich weigerte, die Kirche weiterhin zu schützen. Er hat frei und richtig gehandelt. Es muss alles offen gelegt und hinterfragt werden.
Also sehen Sie den Schlüssel in der liberalen Auslegung des Evangeliums?
Ja, absolut. Nicht nur, dass die Wahrheit frei macht, mehr noch: Nur wer wirklich frei ist, kann auch von der Wahrheit Zeugnis ablegen und ist am Ende auch überzeugend glaubwürdig.
Wird Ihre liberale Auslegung auch in Ihrer Lesung eine Rolle spielen?
Ja, in dem Sinne, dass bei allem Ernst des ganzen Stücks auch das Lachen und die Freude nicht zu kurz kommen darf. An einer Stelle geht es sogar um eine Flasche Schnaps, die am Ende einer der Zuschauer bekommt, genauso wie wir zwei meiner Weihnachtsbücher unter den Zuschauern verschenken. Ich mag es nicht, dass spirituelle Lesungen oft so niederdrückend und so depressiv herüberkommen. Da kommen Menschen, die an diesem Tag vielleicht Geburtstag oder ihren Hochzeitstag feiern. Darauf kann man doch eingehen! Es ist so schön, wenn die Leute nach der Veranstaltung lachend und freudestrahlend nach Hause gehen. Immerhin gibt es doch einen Grund: Der Heiland ist gerade geboren worden!
Interview: Cordula Wildauer