Rosenheim – Ein Fahrradhelm kann Leben retten. Davon ist Prof. Dr. Christian Zeckey überzeugt. Im OVB-Interview spricht er darüber, warum eine Helmpflicht sinnvoll wäre und wie oft es vorkommt, dass verletzte Radfahrer zu ihm ins Klinikum kommen.
Wie oft kommt es vor, dass Menschen ins Krankenhaus kommen, die einen Radunfall hatten?
Es kommen fast täglich Patienten zu uns, die mit dem Rad gestürzt sind. Nicht immer sind sie so schwer verletzt, dass sie bei uns im Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie aufgenommen werden. Am Traumaregister nahmen im vergangenen Jahr 699 Kliniken teil. Es handelt sich um ein sehr weitreichendes Register mit 627 Kliniken aus Deutschland, 16 Kliniken aus Österreich, 33 aus Belgien und neun aus der Schweiz. Es beteiligen sich ferner Kliniken aus acht weiteren Ländern an dem Register. Laut den Daten des Statistischen Bundesamtes haben wir jährlich zwischen 80000 und 90000 Patienten in Deutschland, die nach Radunfällen ins Krankenhaus kommen. 440 davon sind aufgrund ihrer Verletzungen verstorben.
Was sind die häufigsten Verletzungen bei Radunfällen?
Das ist davon abhängig, welche Person wir vor uns haben. Es ist der Freizeitpendler, Sportfahrer oder jemand aus dem Bikepark. Je schneller der Radfahrer unterwegs war, umso größer ist das Verletzungsrisiko. Die meisten Patienten kommen mit Verletzungen an den Händen oder am Oberkörper zu uns. Denn oft können Radfahrer den Sturz trotz der Geschwindigkeit abfangen. Das ist anders als beispielsweise beim Motorrad.
Oder beim E-Bike…
Das ist ein guter Punkt. Wir haben deutlich mehr Patienten in einem höheren Lebensalter, die, nachdem sie mit dem Rad gestürzt sind, mit schlimmeren Verletzungen zu uns kommen. Das liegt zum einen daran, dass sich immer mehr ältere Menschen überhaupt mit dem Fahrrad fortbewegen und zum anderen daran, dass sie mit ihrem E-Bike jetzt auch Bergtouren machen und auf Strecken unterwegs sind, auf denen sie vorher noch nicht waren. Aufgrund dieser Entwicklung werden E-Bike-Unfälle jetzt auch in unserem Traumaregister aufgenommen, da stehen wir aber noch ganz am Anfang mit den Zahlen.
Wie ist die Situation in der Region?
Dafür kann man den Bericht des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd mit den Traumaregisterdaten für unsere Klinik in Rosenheim vergleichen. Im vergangenen Jahr gab es ungefähr 2200 verunfallte Radfahrer nach der Verkehrsunfallbilanz. Was an der Statistik unserer Daten des Traumaregisters bemerkenswert ist: Mehr als 14 Prozent aller bei uns versorgten schwerverletzten Patienten resultieren aus Radunfällen. Damit liegen wir höher als der Bundesdurchschnitt. Das zeigt, dass das Thema Radfahren bei uns eine deutlich größere Rolle spielt als anderswo.
Zurück zum typischen Verletzungsbild.
Neben Handverletzungen und Blessuren am Oberkörper sehen wir auch Verletzungen am Ellenbogen oder am Schlüsselbein. Gelingt es den Radfahrern nicht, den Sturz abzufangen, kann es zu Brustkorbverletzungen, Rippenfrakturen oder dem Aufprall des Kopfes kommen.
Was besonders ohne Helm schlimme Konsequenzen haben könnte.
Ein Radfahrer ohne Helm hat ein deutlich höheres Risiko für eine schwere Verletzung als jemand, der mit Helm unterwegs ist.
Und trotzdem sieht man in der Stadt zahlreiche Radfahrer ohne Helm.
Die Quote derjenigen, die einen Helm tragen, liegt zwischen 20 und 30 Prozent. Je älter die Menschen sind, umso weniger Helm tragen sie. So zumindest die Beobachtung. Kinder tragen meistens einen Helm, das ist selbstverständlich und da wird darauf geachtet. Die Empörung wäre groß, wenn man ein Kind sieht, das ohne Helm unterwegs ist. Bei Erwachsenen ist diese Sensibilität teils nicht gegeben.
Wie schützt der Helm überhaupt?
Wer einen Helm trägt und stürzt, senkt das Risiko eines Schädel-Hirn-Traumas um 70 Prozent. Anders gesagt: Durch einen Helm lassen sich 70 Prozent aller schweren Verletzungen verhindern. Je schwerer der Unfall, umso größer ist die Wirkung des Helms. Radfahren ohne Helm geht eigentlich nicht. Zumal es auch keine Gründe dafür gibt, keinen Helm zu tragen.
Hört sich an, als ob Sie für eine Helmpflicht sind.
Grundsätzlich und aus medizinisch belegbaren Daten wäre das äußerst sinnvoll. Aus Fachkreisen wird jedoch die Umsetzbarkeit und Machbarkeit der Kontrolle hinterfragt. Schaut man aber zum Beispiel auf das Skifahren, hat sich ebenso ein starker Wandel hin zum Helm vollzogen.
Spielt es eine Rolle, was ich für einen Helm trage?
Es zählt erst einmal, überhaupt einen Helm aufzuhaben. Aber ich würde sehr dazu raten, ein Fachgeschäft aufzusuchen, um sich beim Kauf des Helms beraten zu lassen. Es ist wichtig, dass der Helm gut passt, denn nur so entsteht die größte Schutzfunktion.
Wie verhalte ich mich dem Verletzten gegenüber bei einem Radunfall?
In Deutschland gibt es zu wenig geschulte Ersthelfer und teils auch Vorbehalte aus Sorge, etwas falsch machen zu können. Wenn Sie also einen Unfall beobachten, leisten Sie Erste Hilfe und Beistand. Sie setzen den Notruf ab, verschaffen sich einen Überblick über die Situation. Ist der Patient bewusstlos, müssen Sie eingreifen und handeln – und in einigen Fällen kann das auch bedeuten, dass Sie den Fahrradhelm abnehmen müssen. Das ist aber abhängig von der Situation.
Interview: Anna Heise