Rosenheim – Wie schnell es gehen kann, hat Jonas Taxer schon oft erlebt. Der Schülersprecher des Sebastian-Finsterwalder-Gymnasiums ist selbst in einigen Gruppenchats auf Whatsapp, in denen die Stimmung plötzlich gekippt ist. Die Nachrichten gehen dann auch mal weit unter die Gürtellinie – und manchmal gegen Lehrer oder Mitschüler. Zum Beispiel sei einmal ein unvorteilhaftes Foto eines Lehrers als Sticker – kleines Bild, um in Chats direkt auf Nachrichten zu reagieren – erstellt worden, erzählt Zwölftklässlerin Vesarta Kryeziv. „Da steckt nicht mal Absicht dahinter, viele denken sich da gar nichts dabei“, sagt sie. Einzelfälle sind es aber nicht.
14600 jugendliche
Tatverdächtige
Immer wieder kommt es vor, dass Hassnachrichten, Gewaltvideos, Hakenkreuze oder kinderpornografische Bilder auf Smartphones von Kindern und Jugendlichen auftauchen – Tendenz steigend, teilt das bayerische Justizministerium mit. So habe es im Bereich der Kinderpornografie vor sechs Jahren rund 1400 jugendliche Tatverdächtige gegeben. 2023 waren es fast 14600. Um dagegen etwas zu unternehmen, wurde zusammen mit dem Kultusministerium die Kampagne „Mach dein Handy nicht zur Waffe!“ ins Leben gerufen. Die wurde jetzt am Sebastian-Finsterwalder-Gymnasium vorgestellt.
Mit dieser will man die Kinder und Jugendlichen für das Thema sensibilisieren. Denn: „Die Schüler sind sich oft gar nicht bewusst, wie schnell sie sich strafbar machen können und was die Folgen sind“, sagt der bayerische Justizminister Georg Eisenreich. Viele seien oft nur „ein paar Klicks von richtig großem Ärger entfernt“. Auf der anderen Seite wolle man Schüler davor schützen, selbst Opfer zu werden. „Hinter jedem Hasskommentar steht auch immer ein Mensch, der verletzt wird“, betont Kultusministerin Anna Stolz. Auch das sei oft nicht in den Köpfen der Jugendlichen, wenn ein anzügliches Bild oder eine beleidigende Nachricht abgeschickt wird.
Auch, weil man im Internet sein Gegenüber nicht sieht und keine Reaktion fürchten muss, sagt Rose Oelbermann, Richterin am Amtsgericht Augsburg. Sie machte den Schülern mit einigen abschreckenden Fällen klar, worauf sie besser Acht geben sollten. Zum Beispiel, wenn im Klassenchat irgendjemand ein kinderpornografisches Bild teilt. „Wenn man sich das anschaut und es automatisch am Handy gespeichert wird, kann man sich schon wegen des Besitzes strafbar gemacht haben“, sagt die Richterin. Ohne selbst irgendwas getan zu haben.
Schwierigkeiten könne es auch geben, wenn sich beispielsweise ein 14-Jähriger und eine 13-Jährige intime Fotos schicken. Selbst dann, wenn beide einverstanden sind oder in einer Beziehung sind. „In beiden Fällen macht sich der Jugendliche strafbar – einmal wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern oder wegen des Besitzes des Bildes“, erklärt die Richterin. Da sei nicht nur eine Jugendstrafe möglich, sondern solche Taten landen auch im Führungszeugnis. So könne derjenige später im Leben – unter anderem bei Bewerbungen – ein Problem bekommen.
Daher rät Oelbermann, komplett darauf zu verzichten, Nacktfotos herumzuschicken. „Das Internet vergisst nicht, was einmal drin ist, wird dort lange Zeit bleiben“, betont die Richterin. Bevor auf Instagram, Whatsapp, Snapchat oder TikTok etwas gepostet wird, solle man zwei Kontrollfragen beachten: „Möchte ich das, dass so was über mich gepostet wird und würde ich das jemandem auch ins Gesicht sagen?“ Wenn das nicht der Fall ist, dann sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Post strafbar ist.
Vesarta Kryeziv und Jonas Taxer machen sich inzwischen Gedanken darüber, was sie ins Netz stellen. „Wir werden dafür in der Schule aber auch geschult“, sagt Taxer. Entweder mit Workshops mit der Polizei oder nun dem Besuch der beiden Staatsminister. Für beide Schüler sei das auch wichtig, schließlich ist das Handy nicht mehr wegzudenken. „Eigentlich schon seit der 5. Klasse nicht mehr“, sagt Kryeziv.
Australien
als Vorreiter?
Auch deswegen wird immer wieder mal über ein Verbot von sozialen Medien für Jugendliche unter 16 Jahren diskutiert. In Australien wurde dafür in den vergangenen Tagen ein Gesetz verabschiedet. In Bayern aber nicht denkbar, sagt Georg Eisenreich auf OVB-Nachfrage. „Uns ist wichtig, dass die Schüler einen verantwortungsvollen Umgang mit den Handys lernen“, betont der Minister. Und genau aus diesem Grund gebe es die Kampagne – anstelle eines Verbots.