Kostenschock auf dem Christkindlmarkt

von Redaktion

29000 statt wie bisher 400 Euro: So viel muss der Wirtschaftliche Verband heuer für die Nutzungsrechte von Weihnachtsliedern auf dem Christkindlmarkt bezahlen. Der Schock darüber ist groß, das Unverständnis noch größer. Wie es jetzt weitergeht – und was auf die Besucher zukommen könnte.

Rosenheim – So richtig glauben kann es Reinhold Frey noch immer nicht. Vor einigen Tagen hat der Vorsitzende des Wirtschaftlichen Verbands (WV) Post von der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte – kurz Gema – bekommen. Eigentlich nicht verwunderlich. Denn wer auf Veranstaltungen auch musikalisch für Stimmung sorgen will, muss zahlen. Jedenfalls dann, wenn urheberrechtlich geschützte Werke öffentlich aufgeführt werden. Genau das ist in Rosenheim der Fall. An den 25 Tagen, an denen der Christkindlmarkt stattfindet, treten zahlreiche Bands, Musikkapellen und Soloartisten auf. Es gibt italienische Musik, weihnachtliche Klänge und Bläserstücke.

Urheber der Musik
verdienen über
die Gema-Umlage

Damit die Urheber der jeweils vorgetragenen Lieder nicht leer ausgehen, müssen Gebühren an die Gema bezahlt werden. Diese wurden – anders als man vielleicht meinen könnte – in letzter Zeit jedoch keinesfalls erhöht. „Der Tarif ist nicht neu, er wurde in den vergangenen Jahren auch nicht erhöht – abgesehen von leichten inflationsbedingten Anpassungen im einstelligen Prozentbereich“, bestätigt eine Sprecherin der Gema auf OVB-Anfrage.

Der Tarif wurde der Sprecherin zufolge zuletzt im Jahr 2018 mit der Bundesvereinigung der Musikveranstalter (BVMV) verhandelt. Als Berechnungsgrundlage diente ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2011. Das legte fest, dass für die gesamte Fläche des Christkindlmarktes Gebühren anfallen – und eben nicht nur für den direkt beschallten Bereich rund um die Bühne. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass sich die Musik an alle Besucher richtet, auch wenn sie sich nicht zu jeder Zeit direkt vor der Bühne befänden, sondern nur auf dem Gelände flanieren.

WV hat nur
100 Quadratmeter
Fläche angegeben

Und genau hier fangen die Probleme für Rosenheim an. Denn bisher hatte der Wirtschaftliche Verband eine Fläche von rund 100 Quadratmetern bei der Gema angegeben. Kosten für 25 Tage Christkindlmarkt: rund 400 Euro. Da die Angaben vonseiten der Gema über Jahre hinweg nicht moniert wurden, ging man beim Wirtschaftlichen Verband davon aus, dass alles seine Richtigkeit habe.

Durch Zufall überprüfte die Gema nun die angemeldete Fläche in Rosenheim durch eine Messung auf Google Maps und stellte eine deutliche Diskrepanz fest. „Uns wurde jetzt die gesamte Veranstaltungsfläche von 7000 Quadratmetern berechnet“, sagt Klaus Hertreiter, Geschäftsführer des Wirtschaftlichen Verbands. Eine größere Veranstaltungsfläche bedeutet auch höhere Gema-Gebühren.

Ein Rechenbeispiel: Für einen Weihnachtsmarkt mit einer Veranstaltungsfläche von 5000 Quadratmetern, auf dem jeden Tag Bühnenprogramm mit Live- und Hintergrundmusik stattfindet, verlangt die Gema rund 930 Euro pro Tag. In Rosenheim ist der Christkindlmarkt noch einmal deutlich größer. Zudem finden in den drei Wochen über 70 Programmpunkte statt. Heißt: Pro Tag fallen Kosten von über 1000 Euro an. Statt 400 Euro muss man für die Musik in Rosenheim also heuer 29000 Euro bezahlen. Für Klaus Hertreiter, Reinhold Frey und Tobias Tomczyk, stellvertretender Vorsitzender des WV, ein Unding. „Wir haben uns vor vielen Jahren dazu entschieden, den Christkindlmarkt nicht aktiv zu beschallen, sondern eine Bühne aufzubauen“, sagt Tomczyk. Auf dieser haben unter anderem Nachwuchskünstler die Möglichkeit, erstmals vor einem größeren Publikum aufzutreten. Ein Chor kommt extra aus Rosenheims Partnerstadt Lazise angereist, um auf dem Christkindlmarkt aufzutreten. All das könnte bald der Vergangenheit angehören.

Drängende Fragen:
Muss das Programm abgesagt werden?

„Natürlich haben wir uns die Frage gestellt, ob wir das Programm sofort absagen“, sagt Frey. So geschehen beispielsweise im fränkischen Coburg. Dort wurde die Hälfte aller Weihnachtsmarkt-Auftritte abgesagt. Ganz still ist es in Regensburg. In anderen Städten setzt man ausschließlich auf Weihnachts-Klassiker wie „Stille Nacht“ oder „O Tannenbaum“, deren Verfasser seit mindestens 70 Jahren nicht mehr leben und ihre Werke somit gebührenfrei sind.

In Rosenheim will man – zumindest vorerst – am Bühnenprogramm festhalten. „Finanziell ist das für uns natürlich ein erheblicher Verlust. Das Geld fehlt jetzt an einer anderen Stelle“, sagt Reinhold Frey. Wie es in den kommenden Jahren weitergehen soll, können die Verantwortlichen im Moment noch nicht beantworten. Es gebe einige Christkindlmärkte, die Eintritt verlangen. Das sei in Rosenheim jedoch rein praktisch schon nicht umsetzbar. Andere würden beispielsweise ihre Glühweinpreise erhöhen, um die Gema-Gebühren wieder in die Kasse zu spülen. Auch davon will man in Rosenheim – mit Blick auf die Familienfreundlichkeit – eigentlich absehen.

Die Hoffnung ist jetzt, dass die Gema vielleicht doch noch einmal mit sich reden lässt. Auch deshalb haben Hertreiter, Frey und Tomczyk am Donnerstagnachmittag zu einem Termin bei Oberbürgermeister Andreas März eingeladen. Sie wollen auf die Situation aufmerksam machen, plädieren dafür, dass auch politisch etwas passieren muss. „Den größten Schaden nimmt die Kultur. Ihr wird im schlimmsten Fall die Plattform entzogen“, heißt es im Gespräch im Rathaus.

Dass ein Christkindlmarkt ohne Live-Konzerte und Musik „Quatsch“ wäre, weiß auch Tobias Kirschner von dem Kabarett-Duo „Hund & Hoibe“. Die Band tritt am Samstag, 21. Dezember, auf dem Christkindlmarkt auf. Vor jeder Veranstaltung müssen sie ihre Setlist an die Gema schicken. „Der Aufwand hält sich in Grenzen“, sagt Kirschner. Er und sein Bandkollege Elias hätten die Diskussionen um die Gema-Gebühren verfolgt und das Thema im vergangenen Jahr sogar in ihrem Kabarett aufgegriffen. Er würde sich wünschen, dass Veranstalter und Gema miteinander ins Gespräch kommen, sodass es möglicherweise gelingt, einen Kompromiss zu finden.

Abgaben pro Gast
liegen im einstelligen Cent-Bereich

Doch zumindest die Gema scheint an ihren Prinzipien festhalten zu wollen. „Rechnet man die Gema-Lizenzgebühr auf Dauer des Marktes, Einnahmen und Besucher um, so bewegt sich die Abgabe für Musik pro Besuch im einstelligen Cent-Bereich“, teilt die Sprecherin auf OVB-Anfrage mit. Bei nahezu jedem Besuch auf den Christkindlmärkten werden ihr zufolge entweder Glühwein oder Speisen konsumiert. Die musikalische Begleitung des Marktes sorge wesentlich für die weihnachtliche Stimmung und ist „ein relevanter Umsatzfaktor“.

„Genutzt werden dafür Songs und Musikwerke, die wiederum von Menschen komponiert, getextet, also durch Leistung erschaffen werden. Daher fragen wir: Ist die Leistung der Komponisten und Textdichter nichts wert, sollen die Urheberinnen und Urheber ihr geistiges Eigentum verschenken?“, heißt es.

In Rosenheim zumindest scheint man nichts dagegen zu haben, für die Musik zu bezahlen – aber eben nur für den Bereich, wo man die Musik von der Bühne auch hören kann.

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