Rosenheims Glücksbringer vom Dienst

von Redaktion

Kaminkehrer gelten seit dem Mittelalter nicht nur als Glücksbringer, sondern brauchten früher auch selbst Glück. Denn ihr Handwerk war mitunter gefährlich. Einer, der weiß, warum das so ist, ist der Rosenheimer Adelbert Schömer.

Rosenheim – Adelbert Schömer war erst 14 Jahre alt, als er in der Oberpfalz seine Lehre zum Kaminkehrer-Gesellen angetreten hat. „Am Freitag kam ich aus der Schule heraus und am Montag darauf ging es dann auch schon für mich los“, erinnert sich der 73-Jährige zurück. Er trat mit dieser Tätigkeit in die Fußstapfen seines Onkels, der zu dieser Zeit Bezirkskaminkehrer war. Drei Jahre dauerte die Ausbildung zum Gesellen.

Bei der Abschlussprüfung musste Adelbert „Adi“ Schömer nicht nur Schornsteine besteigen oder kehren sowie Öl-Kokszentralheizungen säubern, sondern vor den Prüfern auch seine Fähigkeiten im Binden eines Reisigbesens unter Beweis stellen, welche zum Kehren von besteigbaren Kaminen – sogenannte Deutsche Kamine – verwendet werden. Danach war er drei Jahre in Stadt und Landkreis Rosenheim als Kaminkehrer-Geselle tätig. Dann ging es für ihn zur Bundeswehr, wo er sich bei einer Übung unverschuldet mit einer Handgranate eine schwere Verletzung an der rechten Hand zuzog. Schömer besuchte nach seiner zwölfjährigen Dienstzeit bei den Gebirgspionieren in Brannenburg und an der Pionierschule München die Kaminkehrer-Meisterschule, musste aber verletzungsbedingt nach mehreren Operationen den Beruf aufgeben. Danach besuchte er die Bundeswehrfachschule in Bad Reichenhall und die Bundeswehrfachoberschule in München, um die Voraussetzungen für den Eintritt in den Staatsdienst zu schaffen. Schömer wurde am Finanzamt Rosenheim verbeamtet. „Somit habe ich die Schwarzarbeit als Kaminkehrer aus zwei verschiedenen Betrachtungen heraus erlebt“, lacht Schömer. Nach wie vor erinnert er sich gerne an seine Zeit auf hohen Dächern. „Bei dieser Tätigkeit gibt es keinen Chef, der ständig hinter einem steht und sagt, was man tun und lassen soll. Und wenn man dann allein auf einem Dach steht und durch die Fenster hindurch andere Menschen hinter ihren Schreibtischen sitzen sieht oder welche, die voller Hektik durch die Straßen hasten, dann fühlt man sich unendlich frei“. Dabei war das Handwerk vor 60 Jahren alles andere als einfach. Schömers „Dienstfahrzeug“ war ein Fahrrad. Damit legte er selbst bei Schnee und Eis weite Strecken zurück. „Meine längste Strecke war 16 Kilometer. Dabei musste ich sogar noch eine lange Leiter mit dem Radl mitbefördern. Bis ich da am Ziel angekommen bin, war ich an heißen Sommertagen manchmal ganz schön durchgeschwitzt.“ Dennoch freute sich Schömer immer auf Einsätze in den Dörfern außerhalb der Stadt. Denn dort gab es zu dieser Zeit bei den Bauernhöfen noch einen besonderen Brauch. Die Bauern beschenken die Kaminkehrer mit einem rohen Ei. „Dieses verstauten sie dann in ihrem Zylinder. Am Tag kamen so zwischen fünf bis acht Eier zusammen. Eigentlich war das überhaupt der Sinn unserer Zylinder. In den Städten trugen wir diese nämlich nur bei offiziellen Anlässen, niemals bei der Arbeit“, sagt Schömer.

Als Kaminkehrer kam der 73-Jährige hörte und erlebte er vieles. „Das Schöne an diesem Beruf ist natürlich auch, dass sich die Leute freuen, wenn sie einen sehen, schließlich gilt man als Glücksbote“, betont Schömer. Er weiß auch, warum das so ist: „Da der Kaminkehrer den Kamin von Schmutz befreit, verhindert er Brände. Bevor es den Handwerksberuf Kaminkehrer gab, kam es zu verheerenden Bränden, die manchmal sogar ganze Städte vernichteten“.  Vor 60 Jahren war es für Kaminkehrer sogar noch Pflicht, nebenbei ehrenamtlich in der Feuerwehr zu dienen. „Das hatte einen guten Grund. Schließlich kannte niemand sonst die Häuser so gut, wie wir“, erklärt Schömer, der seit 58 Jahren der freiwilligen Feuerwehr  angehört. In den vergangenen Jahren hat sich der Beruf verändert. Auch zum Glück für die Kaminkehrer selbst. Denn früher war ihre Tätigkeit um einiges beschwerlicher. Viele Kamine mussten von unten nach oben bestiegen werden. Gerade 40 mal 40 Zentimeter groß war der Kaminquerschnitt eines besteigbaren Kamins, in dem sich auch Adelbert Schömer zurechtfinden musste.

Teils ging es in völliger Dunkelheit über mehrere Stockwerke hinweg steil hinauf, mal gerade, mal schräg oder sogar in sich verdreht. „Man keilte sich beim Weg nach oben mit Füßen und Händen an die Ecken der Kaminwände ein und hielt dabei wegen des Rußes die ganze Zeit die Augen geschlossen“, schildert Adelbert Schömer die harten Arbeitsbedingungen, die noch härter wurden, wenn während der Winterzeit geheizt wurde. „Da musste man den Schornstein erst mal von unten gut lüften, um überhaupt einsteigen zu können. Und dann musste man schauen, dass man ganz schnell nach oben kam, ansonsten wäre es ganz schön heiß geworden.“

Unfälle gehören
zum Berufsrisiko

Unfälle passierten trotzdem. Der Rosenheimer erinnert sich an einen Kollegen, der aufgrund einer Verpuffung aus einem Schornstein herauskatapultiert wurde. „Zum Glück landete er unten auf einem Misthaufen und zog sich nur leichte Verbrennungen an den unteren Waden zu“, erinnert sich Schömer. Er selbst hatte auch einmal Riesenglück, als er in Rosenheim auf einem schneebedeckten Dach unterwegs war und plötzlich ein Teil des Schnees abbrach. „Ich konnte mich gerade noch so mit einer Hand am Dachfenster festhalten, ansonsten wäre ich in die Tiefe gestürzt. Ein Pfarrer schaute mir  vom Pfarrhaus heraus zu und bekreuzigte sich immer wieder.“

Im Einsatz war er immer von 6.30 Uhr bis 17.30 Uhr. Wobei er die letzte halbe Stunde damit verbrachte, sich so gut wie möglich vom Ruß zu befreien. Von der täglichen Arbeitszeit bei einer 45-Stunden-Woche, wurden 30 Minuten Waschzeit als Arbeitszeit berechnet. In Erinnerung geblieben sind viele lustige und schöne Erlebnisse. Am Neujahrstag 1969 wirkte Schömer sogar bei einer Fernseh-Reportage mit. „Ich stand auf einem Dach auf dem Max-Josefs-Platz und sprach von dort aus meinen Neujahrsgruß. Der damalige Landrat und eine Fernsehmoderatorin wurden mittels Feuerwehrkorb zu mir hochgefahren, um auch mit auf dem Bild zu sein“, erzählt er.

Unvergessen sind seine Einsätze in Kaminen, die nicht nur zum Abzug des Rauchs, sondern auch zum Räuchern von Wurst- und Fleischwaren genutzt wurden: „Heutzutage ist das nicht mehr erlaubt. Aber zu dieser Zeit war das auf den Dörfern oft der Fall und einmal, als so ein geräuchertes Stück Fleisch vor mir baumelte, habe ich mir mit dem Taschenmesser ein kleines Stück abgeschnitten und probiert. Dem Besitzer habe ich dann verkündet, dass das Geräucherte ruhig noch ein paar Tage länger in Kamin verbringen darf“.

Falls ein Rauchrohr oder ein Ofen einer älteren Person, die wenig Rente hatte, einmal nicht mehr gut funktionierte, so kehrte man auch schon mal kostenlos. „Der meistens angebotene Kaffee wurde dann auch zu einem kurzen Gespräch genutzt“, erzählt Schömer.

Doch auch, wenn sich in den vergangenen Jahrzehnten vieles verändert hat, steht für Adelbert Schömer fest: „Kaminkehrer ist ein Handwerk mit langer Tradition, das auch in Zeiten von Wärmepumpen und anderen neuen Techniken eine Zukunft hat. Damit bleiben die Kaminkehrer den Menschen auch weiter als Glücksbringer erhalten.“

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