Rosenheim – Katinka Sailer liebt ihren Beruf. Aber die Lehrerin der Astrid-Lindgren-Grundschule macht kein Geheimnis daraus, dass der Job sie hin und wieder an ihre Grenzen bringt. Aus mehreren Gründen. „Wir haben derzeit drei erste Klassen mit jeweils 28 Kindern“, sagt sie.
Individuelle Betreuung
kaum möglich
Das Problem: Viele von ihren Schützlingen sprechen kaum Deutsch. „Wir unterrichten Kinder aus 26 Nationen“, sagt Sailer. Sie schätzt, dass es an der Schule 29 verschiedene Sprachen gibt. Es ist eine Situation, die sowohl sie als auch ihre Kollegen immer wieder vor Herausforderungen stellt. Denn aufgrund der Klassengröße ist es kaum möglich, jedes einzelne Kind individuell zu betreuen.
Das Problem hat die Stadt Rosenheim
nicht exklusiv
Ein reines Rosenheimer Problem ist das nicht. Das zeigt ein Blick auf die internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu). Sie zeigt: Viele Grundschüler können nicht richtig lesen und Texte nicht gut genug verstehen. Mit anderen Worten: Jedes vierte Kind ist schwach im Lesen. Die Mitarbeiter der Stadtbibliothek haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, diesem Trend entgegenzuwirken. Gemeinsam mit dem Rotary-Club Rosenheim haben sie das Projekt „Lesen macht stark“ ins Leben gerufen. „Das Projekt ist auf insgesamt vier Jahre angelegt“, sagt Bettina Sölch von der Stadtbibliothek. Ihr zufolge sind jeweils eine erste, zweite, dritte und vierte Klasse Projektklassen, beginnend mit dem Schuljahr 2024/25.
Halbjährliche Medienkiste mit aktuellen Büchern
Der Gedanke ist, dass jede Klasse der Astrid-Lindgren-Grundschule halbjährlich eine Medienkiste mit aktuellen Kinderbüchern erhält. Diese können beispielsweise während der Pausen gelesen werden. Jede Klasse kommt zudem einmal im Monat in die Stadtbibliothek, damit die Schüler gezielt Bücher ausleihen können. Auch thematische Klassenführungen werden gemacht. „Einige von ihnen wollen gar nicht mehr gehen“, sagt Sölch und lacht.
Neben den Ausflügen ist angedacht, dass Lesementoren die Schule besuchen. Die Idee ist, dass sich ein Mentor einmal in der Woche mit einem Kind trifft. „Sie unterstützen die Schüler ganz individuell, damit diese ihre Lesekompetenz verbessern“, sagt Christian Hlatky, Geschäftsführer der Bürgerstiftung, die sich um die Ausbildung der Lesepaten kümmert.
Schüler-Leistungen sollen sich Schritt für Schritt verbessern
Auch Vorlesepaten der Stadtbibliothek sollen regelmäßig vor Ort sein. Im Gepäck: Diverse Geschichten – ganz egal ob Bilderbuch, ein Kamishibai – japanisches Erzähltheater – oder ein Puppentheater. Geplant ist zudem ein jährliches Lesefest sowie eine Lesenacht in der Stadtbibliothek. „Das Projekt liegt mir wahnsinnig am Herzen“, sagt Katinka Sailer. Eine ähnliche Rückmeldung habe sie von ihren Kollegen erhalten. Die Hoffnung ist jetzt, dass sich auch die Leistungen der Schüler verbessern. „Wenn man nicht richtig lesen kann, entstehen Probleme in allen Fächern“, sagt Gabriela Schmidt von der Stadtbibliothek. So würde es den Kindern beispielsweise auch schwerfallen, Mathematikaufgaben richtig zu verstehen. „Das Schulsystem wartet jedoch nicht. Es geht immer weiter“, ergänzt Katinka Sailer. Und das zeigt sich: So hat es im vergangenen Schuljahr kein Viertklässler der Astrid-Lindgren-Grundschule aufs Gymnasium geschafft. Mit dem Projekt „Lesen macht stark“ soll sich das in Zukunft ändern.
Kein einziger Viertklässler schafft
es aufs Gymnasium
„Es gibt auch eine Evaluation, ob das Projekt den gewünschten Erfolg hat“, sagt Sailer. Im Rahmen eines „Lese-Screenings“ wird seitens des Kultusministeriums aktuell zweimal im Jahr die Lesekompetenz der Kinder getestet, daran können die Verbesserungen gemessen werden.