Rosenheim – Carmen Naß steht vor einem Problem. Seit fast 40 Jahren betreibt sie die Kunstgalerie „Frames and Pictures“ in der Rathausstraße. Dazu gehört auch, dass entweder sie oder ihre Kunden kiloschwere Gegenstände wie gerahmte Bilder oder Teppiche hinter Glas aus oder in das Geschäft tragen müssen. Bislang sei das auch immer gut möglich gewesen. Denn direkt vor der Ladentüre gab es Halteflächen für Autos zum Be- und Entladen – bis jetzt.
Kritik an der „Nacht-
und Nebelaktion“
„Seit einigen Monaten gilt hier absolutes Halteverbot“, sagt Naß. Sie steht auf dem Gehsteig vor ihrer Galerie, die sich zwischen der Einmündung zur Münchener Straße und Am Anger befindet. Die Inhaberin deutet auf die Stelle, wo der Gehweg ein bisschen breiter ist und dann an den Radweg auf der Straße angrenzt. „Da durfte man bisher immer schnell stehenbleiben“, erklärt sie. Allerdings – sie zeigt auf ein Halteverbot-Schild an einer Laterne – ist seit einiger Zeit selbst das kurze Anhalten komplett verboten.
Die neue Regel sei Naß und vielen ihrer Kunden in den ersten Wochen gar nicht aufgefallen. Weder die Galerie-Inhaberin, ihre Vermieterin noch die anderen Anlieger seien Naß zufolge über die bevorstehende Änderung informiert worden. Der Wegfall der Be- und Entladezone sei eine „Nacht- und Nebelaktion“ gewesen. „Erst als eine Kundin mit einem Strafzettel in Höhe von 55 Euro kam, ist uns das bewusst geworden“, sagt die Galerie-Inhaberin. Ihr sei es ein Rätsel, dass man eine solche Entscheidung treffen kann, ohne mit den Betroffenen zu sprechen.
Seither muss sich Carmen Naß immer wieder über die neue Regel ärgern. „Wir sind auf die Haltemöglichkeit direkt vor dem Geschäft angewiesen“, sagt die Galerie-Inhaberin. Sei es für die Anlieferung von Waren oder damit ihre Kunden keine weiten Wege mit den manchmal sensiblen Kunstwerken – insbesondere bei Regen und Schnee – zurücklegen müssen.
Galeristin sieht
Belastung für Kunden
Inzwischen müssen einige Kunden allerdings die „Sachen quer durch die Stadt tragen“, wenn sie etwas aus der Galerie abholen oder dort vorbeibringen wollen. Auch, weil die Alternativen zum Ein- und Ausladen in der Nähe für Naß keine wirklichen Alternativen sind. „Die Stadt hat mir vorgeschlagen, dass wir oder die Kunden auf der gegenüberliegenden Straßenseite, Am Anger oder im weiteren Verlauf der Rathausstraße in Richtung Brixstraße stehenbleiben können“, sagt sie. Denn dort gibt es – im Gegensatz zum Abschnitt vor der Galerie – nach wie vor Be- und Entlademöglichkeiten. Auch wenn es an sich kein weiter Weg ist, sei das Halten dort trotzdem keine Option, findet Carmen Naß. „Wir transportieren ja nicht nur Bleistifte, sondern oft Gegenstände, die mehr als 40 Kilogramm wiegen“, sagt sie. Oder Bilder mit einer Größe von 1,80 auf zwei Meter. Und damit seien selbst die wenigen Meter über die viel befahrene Rathausstraße kaum innerhalb der erlaubten drei Minuten – danach zählt das Halten als Parken – zu schaffen. „Wie soll ein Kunde, der vielleicht sogar noch alleine kommt, die Sachen in der Zeit hin und her tragen?“, kritisiert die Galerie-Inhaberin.
Einige der Kunden hätten sie bereits auf die schwierige Situation vor der Galerie angesprochen – und ihren Unmut geäußert. „Da hieß es dann, dass sie genervt sind und sich etwas anderes suchen, wenn man dort nicht mehr stehenbleiben kann“, sagt Naß. Auch von einigen anderen Geschäften in der Stadt habe sie gehört, dass die Be- und Entladezonen weggefallen sind. Daher fürchte Naß, dass noch mehr Menschen lieber im Internet schauen, bevor sie in die Innenstadt kommen. Ob das wirtschaftliche Folgen für ihre Galerie hat, will die Inhaberin nicht ausschließen. Für sie steht fest: „Die momentane Situation ist für das erfolgreiche Betreiben meines Geschäftes unakzeptabel.“
Verständnis
bei der Verwaltung
Bei der Verwaltung kann man den Ärger von Carmen Naß verstehen, teilt Pressesprecher Christian Baab mit. Allerdings habe der Wegfall der Be- und Entladeflächen, der bereits Mitte Juli umgesetzt wurde, einen wichtigen Grund: „Im Innenstadtbereich geht die Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer vor“, sagt Baab auf OVB-Anfrage. An der Stelle der Rathausstraße sei der Gehweg nur 3,30 Meter und der Radweg – der sich direkt an der Straße befindet – nur rund 1,30 Meter breit. So sei es immer wieder vorgekommen, dass die Autos auf den Halteflächen auch den Radweg blockierten. Vor allem, wenn die Fahrzeuge rangieren mussten, habe es teilweise zu „brandgefährlichen“ Situationen geführt.
Da auch am Gehweg mit den haltenden Autos deutlich weniger Platz für die Fußgänger war, habe man sich aus Gründen der Verkehrssicherheit für ein absolutes Halteverbot entschieden. Warum nur der Teil zwischen der Münchener Straße und Am Anger betroffen ist, kann Christian Baab ebenfalls erklären. „Auf der anderen Straßenseite ist der Gehweg wesentlich breiter. Im Bereich von der Einmündung Am Anger bis zur Brixstraße verläuft der Radweg zwischen dem Gehweg und den Be- und Entladeflächen und damit nicht unmittelbar am fließenden Verkehr vorbei“, betont der Pressesprecher.
Hoffnung auf
einen Kompromiss
Carmen Naß kann diese Argumente zwar nachvollziehen, allerdings nicht in jedem Punkt. Denn im Bereich der Rathausstraße gebe es für Radfahrer nach wie vor großes Gefahrenpotenzial – zum Beispiel beim Rechtsabbiegen in die Straße Am Anger.
Genauso müssten Radfahrer auf die Straße ausweichen, wenn Autos an der Stelle in die Rathausstraße einbiegen wollen und dabei den Radweg blockieren. Darum werde sich aber im Gegensatz zur Stelle vor ihrem Geschäft nicht gekümmert. Dennoch hofft die Galerie-Inhaberin nach wie vor auf einen Kompromiss. „Ein Platz zum Ent- und Beladen würde uns vollkommen reichen.“