Rosenheim – Neben einer Vielzahl von Heiligen zum Jahresbeginn gedenkt die katholische Kirche seit dem Jahr 354 am 20. Januar besonders der heiligen Märtyrer Sebastian und Fabian. Sebastian, geboren im französischen Narbonne, diente als Offizier in der Garde unter Kaiser Diokletian. Er bekannte sich zum christlichen Glauben und wurde auf Befehl des Kaisers von Bogenschützen erschossen. Die christliche Witwe Irene wollte den für tot Geglaubten heimlich ehrenvoll bestatten, traf den Blutzeugen aber noch lebend an. Sie versteckte und pflegte ihn gesund.
Sebastian trat erneut vor den Kaiser und hielt ihm mutig das Unrecht vor, das er den Christen antat. Daraufhin ließ Diokletian ihn mit Keulen erschlagen und seine Leiche in die „Cloaca Maxima“ in Rom werfen. Als Todestag verzeichnet der Heiligen-Kalender den 20. Januar 288.
Auf dem linken Seitenaltar der Kirche in Heilig Blut in Rosenheim findet sich eine Darstellung der Marterwerkzeuge Pfeil, Bogen und Keulen. Als erste unterirdische Begräbnisstätte von Sebastian wurde der Platz zu Füßen von Petrus und Paulus genannt. Dieser Ort an der Via Appia in Rom ist angeblich auch die erste Begräbnisstätte der beiden Apostelfürsten. Die jetzige Grabstätte des heiligen Petrus befindet sich unter dem Hauptaltar der Vatikanischen Basilika, diejenige des heiligen Paulus in Sankt Paul vor den Mauern in Rom. Das Grab des heiligen Sebastian verblieb aber in der Basilica San Sebastiano Fuori le Mura in Rom an der Via Appia Antica.
Im Spätmittelalter erlebte der Kult um Sebastian eine große Blüte, da er der Pfeile wegen als Pestpatron verehrt wurde. Zur Anrufung in der großen Not der Pest kam später noch der heilige Rochus (1275 bis 1379) hinzu. Sebastians Beziehung zur Pest beruht auf der Verbindung zwischen seinem Martyrium und der Ursache der Pest, die in der mittelalterlichen Vorstellung durch „Pestengel“ mittels tödlicher Pfeile unter die Menschen geriet.
Die großen Maler des Mittelalters wie zum Beispiel Albrecht Dürer, Hans Holbein der Ältere, Tizian und Peter Paul Rubens schufen beeindruckende Gemälde des Heiligen. Auch in der Neuzeit haben sich Künstler der Figur und des Leidens des heiligen Sebastian angenommen. So auch Rolf Märkl, dessen Bronzearbeit „St. Sebastian 1962“ heute an der Westseite der Städtischen Galerie an der Reichenbachstraße steht.
Dargestellt als Soldat oder junger Mann, mit Baumstumpf und Pfeilen oder an einen Baum gebunden und von Pfeilen durchbohrt, mit den Keulen als Marterwerkzeug, gilt er unter anderem als Patron der Pestkranken, Schützen, Soldaten, Jäger, Raketenmacher, Leichenträger, Gerber, Büchsenmacher, Zinngießer, Kreuzritter und Kriegsinvaliden. Ab Mai 1957 wurde der heilige Sebastian durch die Proklamation von Papst Pius XII. auch zum Schutzpatron der italienischen Verkehrspolizei erkoren.
Sebastian wurde Patron zahlreicher Bruderschaften, die sich als religiös-caritativ-soziale Vereinigungen der Pflege und Bestattung Pestkranker widmeten. Ebenso wählten ihn Schützenbruderschaften mit Vorliebe zu ihrem Patron. In Berchtesgaden wurde bereits 1535 eine Sebastiani-Bruderschaft mit dem Ziel gegründet, „ein beständiges löbliches Mittel zur Förderung der Ehre Gottes und der allgemeinen Wohlfahrt zu sein“.
Zum bedeutendsten Gnadenort des Heiligen in Bayern zählt Ebersberg. Dort wird seit 931 seine Hirnschale verehrt, die der erste Ebersberger Augustinerprobst Hunfried von einer Reise aus Rom mitbrachte. Aber auch die Wallfahrt „zum Heilig Blut nächst Rosenheim“ nahm nach einem Rückschlag im 16. Jahrhundert in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts neuen Aufschwung und kam zugleich zum Höhepunkt. Durch die Übertragung der alten Sebastiani-Bruderschaft aus der Pfarrkirche in Pang nach Heilig Blut im Jahr 1654 erlangte das Gotteshaus weitere Bedeutung. Die auf den neuerrichteten Bruderschaftsaltar übertragene „Bruderschaft des heiligen Märtyrers Sebastian … um ein seliges Ende und Abwendung aller Übel des Leibes und der Seele, besonders der verheerenden Pest“ feierte alljährlich seit diesem Jahr unter großer Anteilnahme der Bevölkerung ihr Hauptfest am Fest desheiligen Sebastian. Die Wirren der Aufklärung und der Säkularisation brachten die Wallfahrt zum Erliegen. Trotzdem wurden bis in die 1960er-Jahre immer wieder Mitglieder in die Bruderschaft aufgenommen.
Als die Pest 1634 auch in Rosenheim grausam wütete, gelobte die Rosenheimer Bürgerschaft den Bau der Sebastianskirche. Otto Titan von Hefner schreibt dazu in seiner „Chronik von Rosenheim“: „Dieselbe verdankte ihre Entstehung einem Gelübde der gesamten Bürgerschaft Rosenheims als im Jahre 1634 die Pest so grausam wütete, dass man sein Heil nicht mehr in menschlicher Vorkehrung, sondern nur mehr in einem Wunder des Himmels fand. Es soll damals der dritte Teil der Einwohnerschaft dem Würgeengel zum Opfer gefallen sein…“
Die Tafel an der Pestsäule in Pfraundorf erinnert daran, dass 1633/34/35 in Pfraundorf nur sieben Menschen die Pest überlebt haben sollen. Die Nachforschungen von Hans Demberger aus Pang im Diözesan- und im Pfarrarchiv ergaben, dass in den vorhandenen Büchern der Pfarrei Pang von 1674 bis 1730 die verstorbenen Mitglieder der Bruderschaft verzeichnet sind. Dabei zeigt sich, dass die Mehrzahl der Mitglieder nicht vom Wasen, sondern aus der ganzen Umgebung stammte, zum Beispiel aus Rosenheim, Halfing, Nußdorf, Aibling, Auer Pfarrei, Riedering, Brudtinger Pfarrei, Vogtareuth, Samerberg, Miesbach, Sochtenauer Pfarrei, Frasdorf, Peyern, Rohrdorf, Alten Peyern, Antwort, Lauterbach, Flinzbacher Pfarrei, Stephanskirchen, Neubeuern, Audorf, Holzhausen, Griesstätt, Fürstätt, Lampferding, Litzldorf, Söllhuben, Schechen, Poing.
Neben den Berichten über die Herkunft der Wallfahrer wird in den Aufzeichnungen manchmal das Wetter erwähnt: „nur ein wenig Schnee, ganz windstill und ziemlich warm“ (1699) oder „nicht kalt“ (1716) und einmal „bei großer Kälte“ (1729).
Die Gebirgsschützenkompanie Rosenheim hat sich im Jahr 1992 dieser alten Wallfahrtstradition angenommen. So ziehen die Schützen mit benachbarten Gebirgsschützenkompanien, dem Schützenverein Wasen-Happing, politischen Mandatsträgern und Gläubigen auch in diesem Jahr vom Kirchplatz in Happing ab 19 Uhr zur Pfarr- und Wallfahrtskirche Heilig Blut, um dort um 19.30 Uhr mit Monsignore Domkapitular Thomas Schlichting, den Wallfahrtsgottesdienst zu feiern. Auch die Gläubigen aus Pang kommen in einer eigenen Wallfahrt, um am Wallfahrtsgottesdienst zu Ehren des heiligen Sebastian teilzunehmen. Wie es in Bayern nach alter Wallfahrertradition üblich ist, kehren die Wallfahrer anschließend zum gemütlichen Teil in den Happinger Hof ein. Günter Reichelt