Werbeverbot für Bier und Schnaps?

von Redaktion

Interview Neon-Geschäftsführer über Alkohol, Regulierungen und die Politik

Rosenheim – Leberschäden, Demenz, Brustkrebs: Alkohol wird von Experten mit rund 200 Erkrankungen in Verbindung gebracht. Um den Konsum zu senken, wollte die Ampelkoalition strengere Regeln für Alkoholwerbung einführen. Passiert ist kaum etwas. Zum Unverständnis von Benjamin Grünbichler, Geschäftsführer der Präventions- und Suchthilfeeinrichtung „neon“.

Ich falle gleich mit der Tür ins Haus: Braucht es ein Werbeverbot für Alkohol?

Es gibt in der Prävention zwei Wege, wie man Menschen von einem riskanten Konsum ein Stück weit abhalten kann. Auf der einen Seite gibt es die verhaltenspräventiven Maßnahmen wie Workshops für Schülerinnen und Schüler oder Infoveranstaltungen für Eltern. Auf der anderen Seite gibt es die verhältnispräventiven Maßnahmen, also Zugangsbeschränkungen, höhere Preise oder eben Werbeverbote.

Ein Blick in andere Länder zeigt, dass das durchaus funktionieren kann.

Das stimmt, es ist eine wirksame Strategie, um den riskanten Alkoholkonsum zu reduzieren und den Einstieg bei jungen Menschen zu verzögern.

Wie könnten Werbeverbote Ihrer Meinung nach aussehen?

Ähnlich wie bei der Cannabis-Legalisierung. Erwachsene können sich – wenn auch unter teils großen Hürden – Marihuana aus einer relativ sicheren Quelle besorgen. Gleichzeitig werden die Jugendlichen nicht rund um die Uhr mit dem Thema konfrontiert, anders als beim Alkohol und beim Tabak. Wenn Produkte nicht beworben werden, haben wir sie auch weniger auf dem Schirm und sie sind weniger erstrebenswert.

Klingt logisch.

Ab 14 Jahren dürfen Jugendliche im Beisein ihrer Eltern Alkohol trinken. Das suggeriert, dass man bereits als Jugendlicher verantwortungsvoll konsumieren kann. Wir bei „neon“ sind nicht gegen den Konsum von psychoaktiven Substanzen. Aber wir wollen darauf aufmerksam machen, dass auch der moderate Alkoholkonsum schädlich ist. Wissenschaftlich gesehen gibt es also keinen plausiblen Grund, warum Marihuana so stark eingeschränkt und Alkohol so liberal gehandhabt wird.

Also sollte mit Alkohol ähnlich umgegangen werden wie mit Cannabis?

Ich finde, man sieht anhand der Cannabis-Legalisierung, wie sinnvoll Einschränkungen und Regulierungen sein können. Gleichzeitig zeigt es aber auch auf, wie schlecht und unglaubwürdig die Suchtpolitik in anderen Bereichen ist.

Bei dem Wort „Verbot“ werden bei vielen Menschen die Alarmglocken schrillen.

Eine Werbeeinschränkung ist keine Prohibition. Fest steht, dass die Bundesregierung eine Studie in Auftrag gegeben hat, ob es einen Effekt hat, wenn das Marketing rund um den Alkoholkonsum eingeschränkt wird. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass man Alkoholwerbung vollständig verbieten müsste. Ein Fachartikel zur Studie wurde anschließend auf der Seite der Bundesregierung verlinkt – und zwar nur die englische Originalversion. Der politische Wille, wissenschaftliche Erkenntnisse zu publizieren und umzusetzen, scheint beim Thema Alkohol nicht gegeben zu sein.

Hängt es nicht auch damit zusammen, dass der Staat durch den Verkauf von Alkohol Geld verdient?

Die Steuereinnahmen betragen rund drei Milliarden Euro. Das steht aber in keiner Relation zu den 57 Milliarden Euro an Ausgaben, welche durch die Folgen des Alkoholkonsums entstehen, sei es durch Arbeitsausfälle, Krankheitsbehandlungen oder Klinikaufenthalte.

Würden Warnhinweise auf Alkoholflaschen helfen? In etwa so, wie man sie auf Zigarettenschachteln findet?

Es würde sicherlich einen Unterschied machen, wenn Alkohol als Risikoprodukt gekennzeichnet und als solches in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Wir wissen, dass Alkohol für viele Krankheiten verantwortlich ist. Wo ist also der Warnhinweis? Streiten lässt sich beispielsweise auch darüber, ob Alkohol im Supermarkt oder in der Tankstelle verkauft werden muss. Wäre es nicht zielführender, dass es dafür – ähnlich wie es bei Cannabis geplant war – eigene Fachgeschäfte gibt?

Das würde sicherlich auch vielen Suchtkranken das Leben erleichtern.

Definitiv. Jedes Mal, wenn meine Klienten in den Supermarkt zum Einkaufen gehen, müssen sie am Weinregal vorbei. Einige von ihnen triggert das. Mit Blick auf die Rückfallprävention ist das auf jeden Fall nicht förderlich. Wir haben in Deutschland viele alkoholkranke Menschen. Ich finde, dass wir es den Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer, für die Abstinenz entschieden haben, möglichst einfach machen sollten.

Ist eine Besserung in Sicht?

Ich bin optimistisch, auch weil der Pro-Kopf-Alkoholkonsum in Deutschland abnimmt. In unserer Gesellschaft gibt es einen Wandel hin zu gesünderen Lebensstilen. Auch gibt es Brauereien, die mittlerweile auf alkoholfreies Bier setzen und damit gut fahren. Die größte Verantwortung bei der Umsetzung wirksamer Präventionsstrategien liegt allerdings eindeutig bei der Politik. Interview: Anna Heise

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