Rosenheim – Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2024 hagelt es für den ÖPNV in Rosenheim Kritik. Beklagt wird vor allem die Häufung von kurzfristigen Ausfällen. Das war nun auch Thema beim jüngsten Treffen des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) Kreisverband Rosenheim in der Alten Druckerei der Bürgerstiftung in Rosenheim. Wie Michael Schnitker von der VCD-Vorstandschaft die Lage beurteilt und was er jetzt für den Busverkehr fordert, hat er im Gespräch mit dem OVB erzählt.
Wie haben Sie die Situation des ÖPNV seit dem Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2024 in Rosenheim erlebt?
Ich wohne seit 15 Jahren in Rosenheim und mache alle Wege mit dem Rad oder zu Fuß. Deshalb kann ich nicht zu allen Einzelheiten Stellung nehmen. Ich bin aktiv beim VCD (Verkehrsclub Deutschland) und Mitglied bei ProBahn sowie im Beirat der BRB. Wir haben in Rosenheim Einschränkungen im Busbetrieb, vor allem zu den Tagesrandzeiten. Menschen, die morgens oder abends nicht den Bus nehmen können, um zur Arbeit zu kommen, nehmen auch mittags nicht den Bus. Deshalb parken noch mehr Autos am Bahnhof. Seit Weihnachten gab es erhebliche Ausfälle an Bussen. Manchmal zwei hintereinander. Diese Unzuverlässigkeit hält Menschen vom Umstieg ab. Und weder Stadtverkehr noch Stadt oder MVV haben diese Ausfälle außerhalb der Apps bekannt gemacht.
Klagen über den ÖPNV gab es aber auch schon vor dem Fahrplanwechsel, oder?
Ja, aber jetzt gibt es besonders viele Ausfälle.
Gab es Ihrer Meinung nach überhaupt schon mal eine Zeit, in der der ÖPNV in Rosenheim gut funktioniert hat?
Bis 2020 wurde der Busverkehr in der Stadt ausschließlich durch Ticketverkauf finanziert. Ich persönlich kannte nur Kritik zum Takt und Linienführung, weniger zu Ausfällen. Danach ist die Zahl der Buskunden massiv zurückgegangen. Erst durch das 9-Euro- oder 49-Euro-Ticket stiegen die Zahlen wieder an. Bei gutem Angebot wie im Zugverkehr sind die Benutzerzahlen seit 2019 um 25 Prozent gestiegen. Auch damals war die Abstimmung zwischen den Buslinien und der Bahn schlecht. Ich habe auch nicht wahrgenommen, dass die Rosenheimer Verkehrsgesellschaft (RoVG) für den Landkreis und die Stadt wesentliche Koordinierungsaufträge wahrgenommen hat. Insbesondere fehlte die Möglichkeit, mit einem Ticket Bus oder Bahnlinien zu befahren. Mit den Bahnstationen im Aicherpark und der Hochschule ist der Nahverkehr in der Stadt erheblich verbessert worden, aber die einzelnen Busunternehmen haben hauptsächlich vor dem MVV-Beitritt Fahrgäste verloren. Es gibt 14 Tage im Jahr, an denen der ÖPNV gut läuft. In dieser Zeit fahren zusätzliche Busse in den Abendstunden in der Stadt und in die Umlandgemeinden.
Was ist Ihrer Meinung nach an den Problemen schuld?
Schuld – wenn man das so nennen will – ist die autofreundliche Politik. Die Rolle des ÖPNV hat sich verschoben. Bis in die 60er-Jahre haben die meisten Menschen den ÖPNV und das Rad genutzt. Man wohnte nah am Arbeitsplatz und es gab Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistung in der Nähe. Mit dem Auto konnten die Familien auf die Dörfer weiter weg ziehen, man baute Einfamilienhäuser, zum Einkaufen fuhr man zum Supermarkt oder Discounter, in der Stadt zum Kaufhaus. Und man nutzte das Auto auch mehr in der Freizeit. Und man forderte immer mehr Infrastruktur von der Politik. Mehr Straßen, mehr Parkplätze, mehr Parkhäuser – die Menschen verlernten den ÖPNV und das Radfahren. Den ÖPNV benutzten nur noch Schüler und wirtschaftlich schwache Menschen, oder Menschen, die aufgrund einer Verletzung oder eines Führerscheinentzugs temporär auf das Auto verzichten mussten. Außerdem diejenigen, die wegen des Umweltschutzes auf das Auto verzichteten. Diese Entwicklung gab es so ähnlich in Rosenheim.
An Verbesserungsmöglichkeiten arbeitet die Stadt zurzeit ja. Im Gespräch sind beispielsweise kleinere Busse für weniger gut frequentierte Strecken oder sogenannte Ruftaxis. Was halten Sie von der Idee?
In Mühldorf scheitert gerade die Umstellung des Stadtverkehrs von festen Linien auf Kleinbusse im On-demand-Verkehr. In einem attraktiven Mix spielen Systeme wie das Anruf-Sammel-Taxi (AST) aber eine Rolle. Kleinbusse haben den Vorteil, dass die Anforderungen an die Führerscheine geringer sind und man einfacher an Personal kommt, zum Beispiel Studenten oder Frührentner in Teilzeit. Kurzfristig muss sich in der Kommunikation etwas ändern.
Vorhersehbare Änderungen und Ausfälle müssen frühzeitig über die Medien und Social Media bekannt gemacht werden und in die Apps eingepflegt werden. Organisatorisch muss dafür gesorgt werden, dass Anschlüsse von Bahn auf die Busse erreicht werden. Wenn die Busse nur einmal in der Stunde fahren, ist auch genug Zeit im Fahrplan, um fünf Minuten auf einen verspäteten Zug zu warten.
Was müsste sich noch verändern, um den ÖPNV in Rosenheim attraktiver zu machen?
Über diese Frage haben wir viel mit Vertretern der Stadt diskutiert. Dort gab es viele Vorschläge. Durch den demografischen Wandel gibt es neue Herausforderungen. Wir würden diese Diskussion gerne im Rahmen eines runden Tisches oder Beirates mit den Verantwortlichen aus Stadt, Land und MVV weiter diskutieren. Und mit Fahrgästen, besonders Schülern und Älteren, Vertretern der Verkehrsunternehmen und ihren Beschäftigten, Radfahrern, dem Einzelhandel, der Gastronomie, dem Fremdenverkehr, der Verkehrswacht und auch dem ADAC. Und wie beim Radentscheid braucht es feste Ziele und Angebote hinsichtlich des ÖPNV. Beispiele hierfür sind mehr Busse in der Stadt, eine Linienführung nach Nachfrage (bessere Einbindung des AST), ein einheitliches AST-Angebot, das mit allen Nachbarkommunen und dem Landkreis koordiniert ist.
Auch die Förderung des Umstiegs auf ÖPNV durch Bezuschussung der Monatstickets für Beschäftigte in Behörden und Firmen, eine ehrliche Bewertung der Kosten für Parkplätze in der Stadt und nicht nur des ÖPNV sowie Werbung für den ÖPNV auch im Freizeitverkehr kann helfen. Um den Umstieg vom Auto attraktiver zu machen, brauchen wir außerdem bessere und sichere Radwege, Car-sharing als Alternative zum eigenen Pkw und mehr Mietangebote für Fahrräder und Lastenfahrräder.
Das ist natürlich mit Kosten verbunden – und Geld ist derzeit überall knapp. Außerdem gibt es dann auch noch einen akuten Fahrermangel. Lässt sich in dieser Situation etwas zum Positiven ändern?
Die Verantwortlichen in der Stadt müssen Verkehr ganzheitlich denken. Elf Millionen Euro für eine vierspurige Brücke entsprechen den Ausgaben für fünf Jahre ÖPNV. Das bezahlte Parken auf der Loretowiese bringt zusätzliche Einnahmen. Durch das einheitliche Monatsticket im Schülerverkehr und die Subventionierung des D-Tickets durch Bund und Länder sparen sich Landkreis und Stadt erhebliche Mittel.
Der Landkreis schätzt die Einsparungen meines Wissens auf rund eine Million Euro im Jahr. Es gibt Geld, man muss es nur anders einsetzen. Der Beruf des Busfahrers muss attraktiv sein. Man muss selbst ausbilden, Teilzeitangebote schaffen und es muss Toiletten für die Fahrer und Fahrgäste an den Bahnhöfen und Endhaltestellen geben.
Im Dezember 2023 ist Rosenheim dem MVV beigetreten. Was hat sich damit für Rosenheim verändert?
Das 9-Euro-Ticket und dann das 49-Euro-Ticket haben den Weg gezeigt, wie man ÖPNV schnell und einfach attraktiv macht. Mit dem Beitritt zum MVV wurde das auch für Kunden mit Einzeltickets einfacher. Ein Ticket für den ganzen Raum, egal wie weit und oft man umsteigen muss. Und für die meisten wurde es billiger. Ich hoffe, dass der MVV auch noch stärker für eine Vereinheitlichung sorgt. Zum Beispiel eine App zum Buchen und Fahrtenplanen, einheitliche Beschilderungen an den Bushaltestellen, einheitliche elektronische Anzeigen an den wichtigen Umsteigehaltestellen und Bahnhöfen.
Was ist aktuell Ihre dringlichste Forderung an die Stadt und den MVV?
Die Sicherstellung des Verkehrs im bisherigen Umfang, das Einpflegen aller Verbindungen in die App (Bayernfahrplan), das Sicherstellen der Umsteigerelationen zwischen Bahn und Bus sowie die ehrliche und rechtzeitige Kommunikation von Problemen.
Interview: Karin Wunsam