Rosenheim – Krankenschwester Maria Müller (Name von der Redaktion geändert) ist wütend. Und dieser Wut macht sie auf einer Podiumsdiskussion der Gewerkschaft Verdi in Rosenheim Luft. Müller erzählt von 24-Stunden-Rufdiensten, in denen sie nur 1,20 Euro netto in der Stunde verdiene. Von Einsätzen, in denen um 3 Uhr nachts schwerkranke Patienten ihre Hilfe benötigen. „Wart ihr da eigentlich schon mal in einem Krankenhaus?“, fragt sie die sieben Politiker, die an dem Tag anwesend sind. „Habt ihr euch das schon mal angeschaut, unter welchen Bedingungen wir da arbeiten müssen?“ Sie fühle sich von der Politik übergangen.
Im Lokschuppen sitzen etwa 70 Menschen im Publikum, die ihr zuhören. Auf der Bühne, sieben Politiker verschiedener Parteien, vor ihnen ein Banner mit den Forderungen der Gemeinschaft Verdi. „Plus drei freie Tage“ steht da. Auch die Forderung nach einer Tariferhöhung von acht Prozent oder mindestens 350 Euro für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Weiterhin fordert die Gewerkschaft höhere Zuschläge für besonders belastende Tätigkeiten. Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 200 Euro monatlich angehoben werden.
Mehrere Stimmen melden sich aus dem Publikum, Krankenhauspersonal, Mitarbeiter der Stadtwerke und der Lebenshilfe. „Warum müssen die Kliniken privat geführt werden?“, fragt ein Mann aus dem Publikum. Seiner Ansicht nach sei die Notwendigkeit, Profit zu machen, eines der Gründe für die Probleme, die Müller und ihre Kollegen schildern.
Ates Gürpinar (Linke) sieht die sogenannte Selbstkostendeckung als Lösung. Das bedeutet, dass Kliniken nicht nur nach Patientenfall bezahlt werden. Stattdessen sollen sie nach dem finanziert werden, was benötigt wird.
Victoria Brossart (Grüne) spricht sich für eine Versicherung für das Gesundheitssystem sowie eine Reformierung der Schuldenbremse aus.
Reka Molnar (SPD) sieht dafür die Abschaffung der Zwei-Klassen-Krankenversicherung sowie eine Arbeitszeitbegrenzung als eine Lösung.
Joseph Mörtl (CSU) sieht die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser nicht als das einzige Problem. Er schlage vor, die Bürokratie innerhalb der Krankenhäuser abzubauen und mehr Fachpersonal anzustellen. Bei der Diskussion sind sich alle Politiker aber einig: Die Krankenhäuser müssen vom Staat unterstützt werden.
Der Fachkräftemangel beschäftigt einen Mann, der bei den Rosenheimer Stadtwerken arbeitet. „Warum ist es nicht Priorität, dass Krankenschwestern, speziell Alleinerziehende, gerecht bezahlt werden?“, fragt er. Er habe nicht das Gefühl, dass die Politik sich genügend um das Problem kümmere. Das Grundgehalt sollte seiner Meinung nach höher sein. „Der Fachkräftemangel im Pflegesystem ist ein sehr großes Problem. Das sollte Priorität Nummer eins sein“, sagt der Rosenheimer.
Eine Zuschauerin, die in der Lebenshilfe arbeitet, berichtet von ähnlichen Problemen wie im Krankenhaus. „Die Begleitung von Menschen mit Behinderung kann nur auf niedrigstem Level stattfinden, weil wir nicht genügend Geld haben“, sagt sie. So würde die Unterstützung beim Einkaufen oder Freizeitaktivitäten nicht gefördert werden. Sie verstehe nicht, wieso ihre Patienten und Kollegen darunter leiden müssten. „Warum ist für genau sowas kein Geld da – in einem Staat, der es sich leisten kann, die Vermögenssteuer abzuschaffen?“, fragt sie.
Eine Arzthelferin sagt: „Es heißt oft, der öffentliche Dienst ist ein Rückgrat und alles, was auf meinem Lohnzettel steht, ist eine politische Angelegenheit. Aber auf meinem Lohnzettel sind jetzt 114 Euro weniger drauf als im Dezember.“
Jeder Politiker hatte eine Minute Zeit, um auf die Fragen der Bürger und der Gewerkschaft zu reagieren. Am Ende kam die Abstimmung: Wer wird die Forderungen der Gewerkschaft unterschreiben?
Joseph Mörtl (CSU) und Sepp Hofer (FW) entscheiden sich gegen die Unterschrift. Victoria Brossart (Grüne), Reka Molnar (SPD), Ates Gürpinar (Linke), Armin Nowak (FDP) sowie Rolf Bernhardt Straudt (BSW) unterzeichneten die Forderungen symbolisch auf dem Verdi-Plakat. Cordula Wildauer