Rosenheim – Am 10. Februar ist der Internationale Epilepsietag – ein Anlass, um über eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen aufzuklären und das Bewusstsein für die Bedürfnisse der Betroffenen zu schärfen. Die beiden Experten Professor Dr. Joji Kuramatsu, Chefarzt der Neurologischen Klinik am Romed-Klinikum, und Oberarzt Dr. Johannes Lang, ausgewiesener Epileptologe, zertifizierter Ausbilder und Mitglied des Vorstands der deutschen Gesellschaft für Epileptologie, geben Einblicke in ihre Arbeit, aktuelle Entwicklungen und ihre Vorstellungen für die Zukunft der Epilepsiebehandlung.
Welche Rolle spielt die Epileptologie in der Neurologie?
Professor Dr. Kuramatsu: Die Epilepsie gehört zu den häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen und betrifft Menschen jeden Alters – vom Säugling bis zum Hochbetagten. Sie zeigt sich in vielfältigen Formen: von klassischen epileptischen Anfällen bis hin zu unscheinbaren Anfallsarten, die leicht übersehen werden. Unbehandelte Epilepsien können erhebliche Auswirkungen auf das soziale, private und berufliche Leben haben. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Diagnose und eine gezielte Therapie. Besonders herausfordernd ist die Abgrenzung zu anderen Erkrankungen, etwa Synkopen (kurzzeitige Ohnmachten) oder psychogenen Anfällen. Hier spielt eine genaue Diagnostik, vor allem mithilfe des Elektroenzephalogramms (EEGs), eine zentrale Rolle. Mit einer individuell abgestimmten Behandlung erreichen wir bei etwa zwei Dritteln der Patienten bereits mit dem ersten Medikament Anfallsfreiheit.
Wie hat sich die Bedeutung der Epileptologie in den letzten Jahren verändert?
Professor Dr. Kuramatsu: Der demografische Wandel hat dazu geführt, dass wir mehr Epilepsien im höheren Lebensalter sehen, zum Beispiel infolge von Schlaganfällen oder Tumorerkrankungen. Gleichzeitig ermöglichen uns moderne Technologien wie die Langzeit-EEG-Überwachung und Fortschritte in der Bildgebung eine immer präzisere Diagnostik. In den letzten Jahren sind zudem neue, wirksame und gut verträgliche Medikamente durch die Zulassung für unsere Patienten verfügbar geworden. Daneben spielen weiterhin alternative Therapieansätze wie die Vagusnerv-Stimulation, aber auch andere Stimulationsverfahren eine wichtige Rolle. Insgesamt hat die Epileptologie enorm an Bedeutung gewonnen, sowohl klinisch als auch wissenschaftlich.
Herr Dr. Lang, Sie sind seit Kurzem als Experte für Epileptologie am Romed-Klinikum. Was hat Sie dazu bewegt, sich auf dieses Gebiet zu spezialisieren?
Dr. Lang: Meine Leidenschaft für die Epileptologie wurde während meiner Forschungsaufenthalte in Oxford geweckt. Die Vielgestaltigkeit der Erkrankung und ihr enger Bezug zur Neuroanatomie haben mich von Anfang an fasziniert. Besonders der direkte Kontakt mit den Betroffenen und die Möglichkeit, durch eine spezifische Behandlung ihre Lebensqualität nachhaltig zu verbessern, motivieren mich bis heute. Nach elf Jahren am Universitätsklinikum Erlangen und meiner langjährigen Tätigkeit am dortigen Epilepsiezentrum freue ich mich darauf, meine Erfahrungen nun in Rosenheim einzubringen.
Welche Unterstützung können Betroffene in Ihrer Klinik erwarten?
Professor Dr. Kuramatsu: Unser Ziel ist es, die Versorgung von Menschen mit Epilepsie nachhaltig zu optimieren. Dazu gehören der Ausbau der Langzeit-EEG-Diagnostik und die Einführung einer gesonderten Epilepsiesprechstunde, die besonders Patienten mit höherem diagnostischem Aufwand und komplexen Krankheitsverläufen zugutekommt. Gleichzeitig möchten wir die spezialisierte ambulante Betreuung stärken, um Betroffene und ihre Familien ganzheitlich und wohnortnah zu unterstützen – medizinisch und psychosozial.
Dr. Lang: Wir legen großen Wert auf die Zusammenarbeit mit regionalen Ärzten und Kliniken, um den Patienten eine bestmögliche Behandlung anbieten zu können, und möchten als Klinikstandort die Behandlung da verbessern, wo sie ambulant an Grenzen stößt. Durch unser wachsendes Netzwerk aus Fachleuten, Kliniken und Beratungsstellen können wir auch bei unklaren Fällen, schwierig zu diagnostizierenden Epilepsieformen und komplizierten Fällen rasch und gezielt helfen. Besonders freut uns die geplante Kooperation mit dem Epilepsiezentrum der LMU München, die unseren Patienten Zugang zu weiteren fortschrittlichen Verfahren wie EEG mit Tiefenelektroden und epilepsiechirurgische Eingriffe ermöglicht.
Epilepsie ist oft mit Vorurteilen behaftet. Wie kann Aufklärung helfen?
Professor Dr. Kuramatsu: Aufklärung ist der Schlüssel, um Vorurteile abzubauen. Viele wissen nicht, dass Epilepsie in den meisten Fällen gut behandelbar ist. Trotzdem erfahren Betroffene häufig Ausgrenzung. Deshalb setzen wir auf Bildung – für Patienten, ihre Familien und die breite Öffentlichkeit. Der Internationale Epilepsietag bietet eine hervorragende Gelegenheit, diese Themen in den Fokus zu rücken und mehr Verständnis für die Herausforderungen der Erkrankung zu schaffen. In Bayern profitieren wir von einem starken Netzwerk aus Epilepsieberatungsstellen, die Betroffenen wertvolle Unterstützung bieten – weit über die medizinische Versorgung hinaus.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Epilepsiebehandlung?
Dr. Lang: Unser größter Wunsch ist es, die Diagnosestellung und Therapie weiterzuentwickeln, um Fehlbehandlungen gerade in den ersten Jahren nach Krankheitsbeginn zu vermeiden. Außerdem möchten wir dazu beitragen, die regionale Versorgung zu stärken, damit Patienten und ihre Familien schneller Zugang zu spezialisierter Hilfe erhalten. Unser Ziel ist es, dass Betroffene ein Leben ohne Einschränkungen führen können – frei von Vorurteilen und mit den besten Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Zukunft.