Bildung als Luxusgut?

von Redaktion

VHS-Kurse könnten aufgrund einer Änderung bei der Umsatzsteuer teurer werden

Rosenheim – Die Nachricht hat für Aufregung gesorgt: Künftig sollen nur noch die VHS-Kurse von einer Umsatzsteuer befreit bleiben, die einen unmittelbaren Bezug zum Beruf oder zur Berufswahl haben. Alle anderen Angebote sollen teurer werden. Dies betrifft den Englischkurs ebenso wie die Rückenschule und das Powerpoint-Seminar. Welche Folgen das für die Volkshochschule Rosenheim-Inntal haben könnte, erklären Leiterin Bianca Stein-Steffan und Wolfgang Hauck, Leiter des Kulturamts.  

Der Bund plant eine Umsatzsteuer für Volkshochschulen. Die Nachricht hat für viel Ärger gesorgt.

Bianca Stein-Steffan:

Es wird schon sehr lange darüber diskutiert, ob die Kurse an den Volkshochschulen umsatzsteuerpflichtig sein sollen. Bisher ist es so, dass in der Erwachsenenbildung, auch auf der politischen Ebene, kein Unterschied gemacht wurde zwischen den Begriffen Bildung und Freizeit. Man geht davon aus, dass der Mensch ein lernendes Wesen ist und nicht automatisch aufhört zu lernen, sobald er die Schule verlässt. Das Bayerische Erwachsenenbildungsfördergesetz (BayEbFöG) verzichtet ausdrücklich auf eine Differenzierung zwischen Freizeit und Bildung und sieht die Förderung lebenslangen Lernens in unterschiedlichen Bereichen vor.

Der neue Gesetzesentwurf scheint das anders zu sehen.

Stein-Steffan: Korrekt. In Zukunft sind nur noch Kurse von der Steuer befreit, die beruflich unmittelbar verwertbar sind. Kurse, welche die Finanzbehörden als reine Freizeitgestaltung einstufen, wie dies jetzt schon in Teilen bei Sport- und Gesundheitsangeboten ist, müssten dagegen besteuert werden.

Was heißt das konkret für Rosenheim?

Stein-Steffan: 80 bis 90 Prozent unserer Kurse könnten als reine Freizeitgestaltung eingestuft werden und wären damit steuerpflichtig.

Wie soll das kontrolliert werden?

Stein-Steffan: Das ist die Frage. Für die Zuordnung zu der einen oder anderen Kategorie stehen vom Gesetzgeber keine objektiven Kriterien zur Verfügung. Wir müssten also selbstständige Überlegungen anstellen, um umsatzsteuerpflichtige von umsatzsteuerfreien Angeboten abzugrenzen.

Bedeutet im Umkehrschluss, dass beispielsweise angrenzende Volkshochschulen wie in Bad Aibling oder in Bruckmühl andere Einstufungen vornehmen werden.

Gibt es ein Beispiel?

Stein-Steffan: Naja, nehmen wir zum Beispiel einen Teilnehmer, der einen Englischkurs bei uns im Haus besucht. Jetzt weiß ich natürlich nicht, ob er den Kurs besucht, um sich mit seinen Geschäftspartnern besser auf Englisch austauschen zu können oder weil er einmal in Jahr privat nach Großbritannien fliegt. Es gibt keine spezifische Matrix, an der wir uns orientieren können. Das bringt eine große Unsicherheit und eine unterschiedliche Bewertung der Angebote mit sich.

Und das bereitet Ihnen Bauchschmerzen?

Stein-Steffan: Nicht nur das. Wir als Volkshochschule sind dafür bekannt, dass wir Bildungsangebote zu vertretbaren Preisen anbieten. Und genau diesen Weg würden wir mit einer Steuererhöhung verlassen.

Wolfgang Hauck: In unserer Volkshochschule Rosenheim-Inntal wird ein modernes Bildungskonzept angeboten und gelebt. Allgemeinbildende und berufsbildende Inhalte sind eng verzahnt. Unser Spektrum innerhalb des Kursangebotes beinhaltet direkt oder auch mittelbar die Förderung zur Demokratiebildung oder Begleitung in einem zunehmend digitalisierten Umfeld. Das sind alles Dinge, die man in der heutigen Berufswelt durchaus benötigt.

Die Sorge ist jetzt, dass die Kosten für die Kursgebühren aufgrund der Mehrwertsteuer deutlich ansteigen, oder?

Hauck: Wenn die Umsatzsteuer von bis zu 19 Prozent anfallen würde, müssten wir das zwangsläufig auf die Kursgebühren umlegen. In diesem Zusammenhang darf man auch nicht vergessen, dass wir ja auch sonst mit Preissteigerungen zu kämpfen haben. Wir müssen die Gebühren also ohnehin immer mal wieder anpassen, um beispielsweise Steigerungen bei den laufenden Betriebskosten abzufedern oder qualifiziertes Personal zu gewinnen und dieses auch halten zu können.

Stein-Steffan: Der niederschwellige Zugang in unserer Kurse, ein wichtiges soziales Element in den Volkshochschulen, rückt damit immer mehr in die Ferne. Und genau dieses Element gehört zur Philosophie der Volkshochschulen. Wir sind kein Wirtschaftsunternehmen, sondern eine Bildungseinrichtung. Es geht darum, dass jeder Erwachsene in der Lage sein sollte, bei uns ein Bildungsangebot zu finden, welches es anderswo so nicht gibt oder das ihn persönlich in seiner individuellen Bildung weiterbringt. Auch mit Blick auf die Kosten würden wir genau diese Niederschwelligkeit verlassen.

Mit teils gravierenden Folgen.

Stein-Steffan: Man würde eine sehr große Zielgruppe diskriminieren. Nämlich all diejenigen, die nicht mehr im Beruf stehen. Wir haben zahlreiche Senioren bei uns im Haus, die Kurse belegen, um sich fortzubilden oder den Anschluss an gesellschaftliche Veränderungen nicht zu verlieren, beispielsweise mit Blick auf die Digitalisierung und andere Transformationsprozesse. Diese Gruppe – die durchaus nennenswert ist – müsste Steuern auf ihre Kurse zahlen. Das ist in meinen Augen eine vollkommen verengte Darstellung davon, was der Bildungsbegriff umfasst.

Hauck: Die Bildungsarbeit, die an den Volkshochschulen und an anderen Erwachsenenbildungseinrichtungen geleistet wird, ermöglicht eine breite Teilhabe an der Gesellschaft und stärkt jeden Einzelnen in seiner persönlichen Entfaltung.

Stein-Steffan: Es ist ein Schlag ins Kontor, den Bildungsbegriff auf den Kopf zu stellen – für alle Akteure der VHS. Wir setzen uns tagtäglich dafür ein, dass die Menschen ein Leben lang alles, was sie brauchen und lernen möchten, auch lernen können. Ich kann diese ministerielle Entscheidung deshalb einfach nicht nachvollziehen.

Noch gibt es ein wenig Hoffnung, die Entscheidung ist noch nicht offiziell.

Stein-Steffan: Das stimmt. Es stellen sich gerade deutschlandweit viele Akteure der VHS-Landschaft „auf die Hinterbeine“, in der Hoffnung, dass das geplante Gesetz durch weitere Gespräche noch einmal überdacht wird. Mir ist es wichtig, alle Bürger von dem Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Sollte das Gesetz tatsächlich kommen, wird es bei den VHS-Teilnehmern – da bin ich mir sicher – auf großes Unverständnis stoßen. Aber wir können an der Basis als Bildungsträger nichts ändern. Es ist ein Gesetz, das von uns umgesetzt werden müsste.

Wenn das neue Gesetz kommt, wird es Menschen geben, die sich VHS-Kurse nicht mehr leisten können.

Hauck: Sicherlich in Teilen. Mit der Erhebung und Umlage der Umsatzsteuer verengt sich das finanzielle Haushaltsbudget jedes einzelnen bildungsaktiven Mitbürgers. Wobei ich dazu sagen möchte, dass wir in Rosenheim mit dem „Grünen Pass“ einem bestimmten Personenkreis eine Ermäßigung gewähren können.

Stein-Steffan: Volkshochschulen sind als Bildungsanbieter für lebenslanges Lernen unerlässlich und wichtig. Man würde wahrscheinlich erst merken, was man verloren hat, wenn es unsere Einrichtung nicht mehr gäbe.

Interview: Anna Heise

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