Rosenheim – Josef Maurer (26) war noch ein Kleinkind, als es ihm gesundheitlich immer schlechter ging. Wochenlang konnte er den Kindergarten nicht besuchen. Bis ein Arzt feststellte, dass etwas mit seinem Herz nicht stimmt. Es war doppelt so groß, wie es sein sollte, und konnte nur etwa 40 Prozent von dem leisten, was ein gesundes Herz leistet. Nach der Diagnose am 13. Juli 2005 musste er sofort ins Krankenhaus. Zuerst versuchten die Ärzte, seine Krankheit mit Medikamenten in den Griff zu bekommen. „Aber es war schon zu spät“, sagt Maurer.
Ein paar Wochen nach der Diagnose wurde er deshalb auf die Warteliste für ein Spenderherz gesetzt. Noch am selben Tag versetzten ihn die Ärzte ins künstliche Koma. „So wurde meinem Herz Arbeit abgenommen und die Körperfunktionen auf ein Minimum reduziert“, erklärt Maurer.
Not-OP, Schlaganfall, dann die Rettung
Zwei Notoperationen und einen Schlaganfall später kam dann endlich die gute Nachricht: Es gab ein passendes Spenderherz. Die Transplantation verlief erfolgreich, die Ärzte holten Maurer aus dem Koma. Er musste alles neu lernen: sitzen, gehen, stehen, sprechen. Doch er schaffte es, machte eine Ausbildung, fand eine eigene Wohnung. Mittlerweile lebt er schon seit 19 Jahren mit dem Spenderherz und engagiert sich ehrenamtlich bei dem Verein „Junge Helden“.
Die Geschichte von Maurer ist eine von vielen. Ende 2023 standen laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) über 8300 Menschen, die als transplantabel gemeldet waren, auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Gespendet wurden allerdings nur etwas mehr als 2800 Organe. Oft scheitert es daran, dass über das Thema Organspende nicht gesprochen wird.
Das will Franziska Gartzen ändern. Sie ist Biolehrerin an der Johann-Rieder-Realschule in Rosenheim und sagt: „Die Schüler müssen informiert werden. Für den Moment, wenn es sie ganz spontan trifft.“ Denn das könne bedeuten, dass sie plötzlich eine Entscheidung treffen müssen. „Wenn dann jemand verstirbt oder ein Organ braucht, wissen sie schon, was zu tun ist.“
Über die Organspende denken ihre Schüler sehr unterschiedlich. „Es gibt welche, die bei dem Thema sofort dabei sind, mit denen man gut diskutieren kann“, erzählt sie. Aber es gebe auch andere, die gewisse Ängste hätten und sich mit dem Thema nicht beschäftigen wollen. „Es hat ja ein Stück weit mit dem Tod zu tun“, betont Gartzen. Denn als Spender kommen nur Menschen infrage, bei denen eindeutig der Hirntod diagnostiziert werden kann.
„Junge Helden“
halten Vortrag
Um ihre Schüler aufzuklären, nahm Gartzen Kontakt mit den „Jungen Helden“ auf. Der Verein will Jugendliche und junge Erwachsene über die Organspende aufklären und anregen, eine Entscheidung zu treffen. Deshalb ist an diesem Vormittag nicht nur Josef Maurer, sondern auch Marie-Luise Beirer für einen Vortrag zu Gast an der Rosenheimer Realschule.
Beirer ist ebenfalls ehrenamtlich bei den „Jungen Helden“ tätig und Angehörige von gleich zwei Transplantierten. Neben ihrer Cousine brauchte auch ihr Vater ganz plötzlich eine neue Lunge. „Die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst mit dem Thema in Berührung kommt, ist sehr groß“, sagt Beirer. Deshalb möchte sie aufklären.
Im Rahmen des Vortrags erzählt Josef Maurer seine Geschichte. Als er damit fertig ist, haben die Schüler etliche Fragen. „Konntest du die Spenderfamilie kennenlernen?“, fragt einer von ihnen. „Die Organspende läuft grundsätzlich anonym“, erklärt Marie-Luise Beirer von den „Jungen Helden“. Beide Seiten müssen zustimmen, damit ein Kontakt hergestellt werden kann. „Manchmal denke ich schon darüber nach“, sagt Josef Maurer.
Eine Lehrerin fragt Maurer nach der Prognose für die Zukunft. „Das kommt stark darauf an, wie man mit dem Herz umgeht“, sagt der 26-Jährige. Es sei ungewiss. Auch Beirer erklärt: „Es kommt aufs Organ an. Jedes hat eine andere Lebensdauer.“ Auch die Frage nach den Kosten kommt auf. „Das kann schon eine Million kosten“, sagt Beirer. Je nachdem, wie lange man auf ein Spenderorgan wartet und lebenserhaltende Maßnahmen braucht. Das bezahle jedoch die Krankenkasse.
Wunsch nach der Widerspruchslösung
Biolehrerin Franziska Gartzen hat auch eine Frage: „Woran scheitert die Widerspruchslösung in Deutschland?“ „An der Politik“, sagt Beirer. In Deutschland gilt derzeit die sogenannte Entscheidungslösung. Das bedeutet, dass Organe nur entnommen werden dürfen, wenn die verstorbene Person vor ihrem Tod aktiv zugestimmt hat.
Die „Jungen Helden“ fordern Beirer zufolge allerdings die angesprochene Widerspruchslösung. Dabei dürfen Organe nach dem Tod entnommen werden, solange die Person vor ihrem Tod nicht aktiv widersprochen hat. Andere Länder in Europa hätten diese Variante schon lange eingeführt. „In Deutschland kommt es bei dem Versuch jedes Mal zu einer ethischen Diskussion. Das bricht dem Gesetz das Genick“, so Beirer.
Zum Schluss legen die „Jungen Helden“ noch Organspendeausweise zum Mitnehmen aus. Der Ansturm ist groß. Beim Rausgehen nehmen sich viele der Jugendlichen einen Ausweis. „Das war für mich jetzt der entscheidende Punkt, mir einen Organspendeausweis zu holen“, sagt einer der Schüler. Zum Schluss ist die Box mit den Ausweisen fast leer. „Ein gutes Zeichen“, da sind sich Lehrerin Franziska Gartzen, Josef Maurer und Marie-Luise Beirer von den „Jungen Helden“ einig.