Rosenheim – „Ich glaub, wir hätten damals alle gelogen, als Nazis.“ Diesen Satz sagt eine junge Schülerin der Otfried-Preußler-Mittelschule in Stephanskirchen. Und sie meint damit: nicht nur nach Ende des Krieges gelogen über die eigene Verstrickung in den Nationalsozialismus, sondern während der unsäglichen zwölf Jahre auch mitgemacht, nicht notwendigerweise aktiv, aber dennoch als eines von Millionen Rädchen in der Unterdrückungs- und Vernichtungsmaschinerie.
App #ROmember –
Erinnern in Rosenheim
Zu hören ist dieser Satz in der App „#ROmember – Erinnern in Rosenheim“, die seit 1. April freigeschaltet ist. Und in ihm ist viel von dem auf den Punkt gebracht, worauf die Stadt, die hinter dieser App steht, hinweisen möchte. Dass bei der schleichenden Radikalisierung einer Gesellschaft ebenso schleichend die Möglichkeit schwindet, diese Entwicklung zu verurteilen oder auch nur zu kritisieren. Bis ein Punkt erreicht ist, ab dem aus Angst jedes Empören schweigt. Und man allein schon durch diese Resignation zwangsläufig zum Mitläufer wird.
„Wehret den Anfängen, indem ihr euch daran erinnert, wie Deutschland schon einmal in einen Abgrund marschierte.“ So könnte man deshalb das Ziel der Macher der App zusammenfassen, bei denen es sich federführend um das Stadtarchiv und das Städtische Museum handelt, mit einer Projektleitung durch das Kulturamt. Doch natürlich mag mancher gegenüber dieser Erinnerungsaufforderung sagen: „Erinnern? Immer noch? Was hat das Damals denn mit mir zu tun?“
Die Antwort darauf geben in der App wieder Schülerinnen, diesmal von der Städtischen Mädchenrealschule. Das Intro-Lied, das sie für die App getextet und aufgenommen haben, greift genau diesen Satz auf: „Was hat das mit mir zu tun?“ Um in der Folge dann die Gefühle der damaligen Verfolgten – Juden, Sinti, Roma, Gewerkschafter, Kommunisten – zu schildern, die buchstäblich nicht wussten, wie ihnen geschieht. Weil sie sozusagen von jetzt auf gleich ausgesondert, ausgestoßen, jeder Zugehörigkeit und ihrer Heimat beraubt wurden. Die zu Anfang noch der Überzeugung waren, dass spätestens jetzt ihr Umfeld doch einschreiten, Stopp rufen müsste, nur um wieder ebendiesen kalten Satz zu hören: „Was hat das mit mir zu tun?“ Für die Schülerinnen die daraus resultierende Botschaft: Durch die eigene Haltung verhindern zu helfen, dass es je wieder so weit kommt – „das hat das mit dir zu tun“.
Elf Stationen führen
durch dunkle Jahre
Dass bei den elf Erinnerungsstationen, die die App derzeit umfasst, immer wieder junge Leute zu hören sind, kommt nicht von ungefähr. „Wir vom Entwicklungsteam“, so Dr. Christian Höschler vom Stadtarchiv, „hatten das Ziel, dass die App nicht nur ein vorübergehendes Zeichen setzt, sondern Wirkung auch in die Zukunft hinein hat“.
Und dafür, so ergänzt Christiane Huber, die die Entwicklung künstlerisch begleitete, gibt es keine bessere Möglichkeit, als die Jugend anzusprechen. Auch deshalb sind an den Stationen nicht einfach nur verlesene Informationstexte zu hören, sondern die App versucht den Hörer jeden Alters direkt in die Zeit hineinzuziehen: mit einem bunten Mix, zu dem nicht nur Interviews und Erläuterungen gehören, sondern auch Atmosphärengeräusche. Dieses Ziel, ein breites Erinnerungsangebot zu erstellen, hatte der Rosenheimer Stadtrat schon 2022, als man sich dort für den sogenannten Rosenheimer Weg der Erinnerung entschied. Nicht nur Erinnerungszeichen, die Möbiusschleifen, sollte es geben, sondern diese sollten auch begleitet werden durch ein digitales Zusatzangebot.
Direkte Verknüpfung
von Orten und Infos
Auf eine App setzte das Entwicklerteam, so erklärt Christian Höschler, weil diese – anders als etwa Informationen auf einer Homepage – direkt mit den Erinnerungsorten verknüpft sein kann. An den einzelnen Stationen werden sich unter den Möbiusschleifen in Kürze QR-Codes finden, mit denen man über sein Mobiltelefon direkt auf die dazugehörigen Inhalte der App zugreifen kann. Ebenso ist es möglich, sich über die App von Erinnerungsstation zu Erinnerungsstation führen zu lassen.
Entscheidend ist für die Macher der App auch, dass alle in der Stadt, die sich in irgendeiner Form der Erinnerungskultur verschrieben haben, beteiligt sind und Vertreter von ihnen auch zu Wort kommen. Christian Höschler dazu: „Sich an das Damals zu erinnern und eine Wiederholung durch dieses Erinnern vermeiden zu suchen – dafür gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Für die Erinnerungskultur ist in Rosenheim deshalb glücklicherweise auch eine breite Basis der verschiedensten Player vorhanden, eine Tatsache, die in der App ihren Niederschlag findet.“