Wasserburg – Zwei Mafiosi hätten seinen Vater getötet und ihn dann gezwungen, die Leiche nach Italien zu fahren. Das hat der 32-jährige Raublinger Tobias A. dann auch getan – und wurde deshalb nun vom Landgericht Traunstein zur Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie verurteilt. Doch die beiden Männer existierten nur in seinem Kopf. Sie waren das Ergebnis seiner psychischen Erkrankung: der paranoiden Schizophrenie. Was es damit auf sich hat und was Cannabis damit zu tun hat, erklärt Dr. Michael Rentrop, Chefarzt im Zentrum für Psychose-Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen am kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg.
Was versteht man unter einer paranoiden Schizophrenie?
Die paranoide Schizophrenie ist eine Unterform der Schizophrenien, bei der die Symptome des wahnhaften Erlebens und akustische Halluzinationen im Vordergrund stehen. Dabei versteht man unter einem Wahn eine objektiv falsche Annahme, an der von den Betroffenen entgegen aller Argumente, Meinungen Anderer oder früherer eigener Erfahrungen festgehalten wird. Meist sind ein Beziehungs-, Verfolgungs- oder Beeinträchtigungswahn zu beobachten.
Was heißt das?
Die Betroffenen glauben beispielsweise, dass sie ausspioniert, verfolgt oder beeinflusst werden. Oft erscheinen die Gedanken für Außenstehende bizarr, für die Betroffenen selbst sind sie aber absolut real. Unter Halluzinationen versteht man Trugwahrnehmungen, bei diesem Störungsbild meist in Form von Stimmenhören. Diese Stimmen sprechen über den Betroffenen, dialogisieren oder geben Anweisungen. Meist sind die Trugwahrnehmungen für betroffene Menschen von realen Sinneseindrücken nicht zu unterscheiden.
Kann man paranoide Schizophrenie anhand von Symptomen erkennen, oder sind die Anzeichen dafür individuell?
Es gibt typische Leitsymptome, wie eben paranoide Wahnideen, Stimmenhören oder das Gefühl, Gedanken würden von außen beeinflusst. Allerdings sind der Verlauf und das Erleben sehr individuell. Einige zeigen eine plötzliche Veränderung im Verhalten, bei anderen entwickelt sich die Erkrankung schleichend. Frühwarnzeichen wie Rückzug, Schlaflosigkeit oder zunehmendes, unangebrachtes Misstrauen können Hinweise geben, sind aber nicht zwingend eindeutig. Wichtig zu wissen ist, dass die Symptome nie beweisend für eine bestimmte Erkrankung sind, daher muss vor allem bei einer ersten Erkrankung eine umfangreiche diagnostische Abklärung erfolgen.
Gibt es typische Situationen oder Stressfaktoren, die das Auftreten paranoider Episoden begünstigen können?
Stress spielt eine zentrale Rolle – insbesondere psychosozialer Stress, Konflikte, Überforderung, aber auch Drogenkonsum. Auch Veränderungen im Lebensumfeld oder Schlafmangel können Auslöser sein. Die individuelle Vulnerabilität, also die psychische Verletzlichkeit, entscheidet darüber, ob und wie jemand auf solche Belastungen reagiert.
Wie erleben Betroffene paranoide Episoden?
Viele Betroffene beschreiben, dass sie in einem Zustand permanenter Bedrohung leben – sie hören Stimmen, die sie beschimpfen, bedrohen, manipulieren oder kontrollieren. Sie erleben ihre Umwelt als feindlich und glauben, dass andere ihre Gedanken lesen oder gegen sie arbeiten. Diese Wahrnehmungen sind für die Betroffenen absolut real und gehen mit enormer Angst und innerer Anspannung einher. Das Erleben ist hochgradig subjektiv, aber in sich stimmig und logisch – wenn auch aus Sicht der Realität nicht nachvollziehbar.
Gibt es eine spezifische Personengruppe, die häufiger betroffen ist?
Die Erkrankung tritt meist im jungen Erwachsenenalter auf, typischerweise zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr. Männer erkranken tendenziell etwas früher als Frauen. Auch wenn die Geschlechterverteilung insgesamt relativ ausgeglichen ist, zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede im Verlauf und im Ansprechen auf Therapien. Risikofaktoren wie genetische Vorbelastung, frühe Traumatisierungen oder soziale Isolation erhöhen das Erkrankungsrisiko deutlich. Zudem zeigen epidemiologische Studien, dass Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status, instabilen Familienverhältnissen oder Migrationshintergrund häufiger betroffen sind – wobei hier oft auch erschwerte Zugänge zur Versorgung und eine höhere Belastung durch Diskriminierung oder Lebensunsicherheit eine Rolle spielen.
Was kann eine solche Krankheit auslösen?
Wir sprechen von einem sogenannten multifaktoriellen Entstehungsmodell: Genetische Veranlagung, neurobiologische Besonderheiten, Umweltfaktoren, psychosozialer Stress und eben auch Substanzen wie Cannabis wirken zusammen. Es gibt nicht den einen Auslöser, sondern es ist das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, das letztlich zur Erkrankung führt.
Kann Cannabis-Konsum in jungen Jahren also Auslöser für eine paranoide Schizophrenie sein?
Ja, und das ist in den letzten Jahren auch gut belegt. Vor allem bei Menschen mit einer genetischen Vorbelastung oder erhöhter psychischer Vulnerabilität kann regelmäßiger Cannabis-Konsum, insbesondere in der Jugend, das Risiko deutlich erhöhen. Besonders riskant ist hochpotentes Cannabis mit hohem THC-Gehalt. Es gibt Studien, die zeigen, dass sich das Erkrankungsrisiko dadurch um das Zwei- bis Vierfache erhöht.
Wenn Betroffene in ihrem „Wahn“ handeln, können sie sich anschließend noch an ihre Taten erinnern?
Das ist sehr unterschiedlich. Manche erinnern sich nur bruchstückhaft oder gar nicht, andere können ihre Handlungen im Nachhinein durchaus rekonstruieren – und sind dann oft erschüttert darüber, was sie getan oder gedacht haben. Entscheidend ist, wie weit der Realitätsverlust in der akuten Phase ging.
Wie behandelt man diese Krankheit?
Die Behandlung stützt sich auf mehrere Säulen: In der Akutphase ist eine medikamentöse Therapie mit Antipsychotika notwendig, um Wahn und Halluzinationen zu reduzieren. Für den Verlauf ist entscheidend, dass die Erkrankung frühzeitig erkannt und behandelt wird, etwa 20 Prozent der betroffenen Patienten entwickeln eine chronische Form der Störung.
Wie kommt es dazu?
Dabei spielt oft eine Rolle, dass die notwendige medikamentöse Behandlung zu früh beendet wird. Um nicht jeden Tag an Medikamente denken zu müssen, gibt es die Möglichkeit, sich das Medikament als Depotinjektion geben zu lassen. Diese Depotform sichert einen konstanten Medikamentenspiegel über vier Wochen, bei manchen Präparaten sogar bis zu drei Monaten, und ist dabei besser verträglich. Parallel dazu sind psychotherapeutische Maßnahmen, Psychoedukation, also eine Aufklärung über das Störungsbild, Angehörigenarbeit und soziale Unterstützung wichtig. Ziel ist es, Rückfälle zu verhindern und den Betroffenen langfristig ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Sind Betroffene immer eine Gefahr für sich selbst oder andere Personen?
Nein, das ist ein häufiges Vorurteil. Die Mehrheit der Betroffenen ist nicht gewalttätig. In bestimmten akuten Ausnahmefällen kann es jedoch durch die Angst, den Wahn oder unter dem Einfluss von Halluzinationen zu gefährlichen Handlungen kommen – entweder gegen sich selbst oder in seltenen Fällen auch gegen andere. Hier sind frühe Erkennung und konsequente Behandlung entscheidend.
Wie ist Ihr Empfinden: Hat die Zahl der Betroffenen in den vergangenen Jahren zugenommen?
Wir sehen insgesamt eine Zunahme der Behandlungszahlen – das liegt allerdings nicht zwingend daran, dass mehr Menschen erkranken, sondern auch daran, dass wir sensibler geworden sind und besser diagnostizieren. Bei der paranoiden Schizophrenie ist nicht klar, wie sich die Erkrankungszahlen entwickeln werden. Es steht zu befürchten, dass nach Freigabe von Cannabis und einer deutlichen Zunahme des Cannabiskonsums in der Altersgruppe der unter 25-Jährigen die Zahl psychotischer Erkrankungen steigen wird. Der bisherige Beobachtungszeitraum ist aber noch zu kurz, um hier eine belastbare Aussage machen zu können. Positiv für unser Fachgebiet ist die größere Akzeptanz und Aufmerksamkeit, die psychische Belastungen und psychische Erkrankungen in der Gesellschaft finden. Das kann dazu beitragen, Störungsbilder rechtzeitiger zu erkennen und zu behandeln, um damit der Entwicklung chronischer Erkrankungen vorzubeugen.
Interview: Patricia Huber