„Stille Stunde“ im Supermarkt

von Redaktion

Einkaufen soll für sensible Menschen so leichter gemacht werden – Blick auf die Situation in der Stadt

Rosenheim – Grelle Lichter, laute Musik und viele Menschen: Einkaufen kann im Alltag schon stressig werden. Für Menschen mit Beeinträchtigungen wie Autismus oder ADHS wird es aber schnell zur großen Belastung. Das soll jetzt die sogenannte „Stille Stunde“ ändern: keine Musik, keine Durchsagen und gedimmtes Licht im Supermarkt. Und das jede Woche mindestens einmal.

Probleme für Autisten
sind vielfältig

„Die ‚Stille Stunde‘ ist tatsächlich etwas, das vielen Autisten hilft“, erklärt Stefan Kumberger. Er ist Mitglied der Selbsthilfegruppe und des Vereins Autismus Rosenheim. „Überall dort, wo diese Stunde eingeführt wurde, stößt sie auf positive Reaktionen“, betont er.

Denn Einkaufen ist für Menschen mit Autismus oft gar nicht so leicht. „Das häufigste Problem, mit dem sich autistische Menschen dabei konfrontiert sehen, ist die Reizüberflutung“, erklärt Kumberger. Im Supermarkt tummeln sich viele Menschen auf meist engem Raum, es gibt eine schier unendliche Auswahl an Produkten. Ständig ertönen Durchsagen, Musik oder Werbung aus den Lautsprechern. Zudem stört das grelle Licht.

„Manche Autisten haben auch Probleme damit, sich selbst eine Struktur beim Einkaufen zu geben“, sagt Kumberger. Deshalb würden viele auch nur mit sogenannten Noise-Cancelling-Kopfhörern, die Geräusche von außen reduzieren, und Sonnenbrille einkaufen.

Bei Autismus handelt es sich Kumberger zufolge um eine psychische Störung. „Laut Sozialgesetzbuch sind der frühkindliche Autismus und das Asperger-Syndrom allerdings Behinderungen“, erzählt er. Autismus sei aber auf jeden Fall keine Krankheit. „Krankheiten kann man ‚heilen‘. Autist oder Autistin ist man ein Leben lang.“

Außerdem spreche man mittlerweile von einer Autismus-Spektrum-Störung. „Jeder Autist ist anders“, sagt Kumberger. Jeder nehme die Welt anders wahr und werde deshalb mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert. „Wenn man einen Autisten kennt, kennt man genau einen Autisten“, fasst er es zusammen.

Einkaufen fällt aber den meisten schwer. Die „Stille Stunde“ kann es leichter machen. „Auch nicht-autistische – also neurotypische beziehungsweise ‚normale‘ – Kunden wissen oftmals die Ruhe beim Einkaufen zu schätzen“, betont Kumberger. Das sei zumindest die Rückmeldung, die der Verein erhalte.

In Rosenheimer Supermärkten ist die „Stille Stunde“ schon bekannt. „Ich habe schon davon gehört und kenne auch Märkte, die dies bereits umsetzen“, sagt Thomas Hildebrandt vom Edeka Hildebrandt in der Münchener Straße. In seinem Markt gebe es das bisher aber nicht. „Allerdings haben wir uns schon von Anfang an bewusst dafür entschieden, dass bei uns nur sehr leise und dezente, entspannte Musik und weniger Werbung läuft“, erklärt Hildebrandt. Man wisse, dass viele Kunden von der lauten Musik und der Werbung in anderen Supermärkten genervt seien.

Hildebrandt kann sich grundsätzlich vorstellen, bei Bedarf eine „Stille Stunde“ einzuführen. „Für uns wäre das kein großer Aufwand“, sagt er. Bisher habe man aber keine Anfragen in diese Richtung erhalten.

Eigentlich ist die „Stille Stunde“ darauf ausgerichtet, auch Menschen mit ADHS zu helfen. Das schreibt der Verein „gemeinsam zusammen“, der die Initiative ins Leben gerufen hat, auf seiner Homepage. Ein Rosenheimer Psychotherapeut hält allerdings dagegen. „Die Stille Stunde mit gedimmtem Licht und Stille würde durch die reizarme Umgebung vornehmlich Menschen mit Autismus helfen“, sagt Dr. Klaus Wunderlich auf OVB-Anfrage. Er ist Ansprechpartner für Menschen mit ADHS und kennt sich mit der Störung aus.

„Personen mit ADHS ticken anders“, sagt Wunderlich. So benötige das ADHS-Gehirn allgemein mehr Stimulation, um gut zu funktionieren, als das Gehirn von Menschen ohne ADHS. „Deswegen hat gedimmtes Licht bei vielen ADHSlern keinen förderlichen Einfluss auf das Einkaufserlebnis.“

Blick auf die
Öffnungszeiten

Bei Kaufland gibt es derzeit keine „Stille Stunde“. Das teilt eine Sprecherin des Unternehmens auf OVB-Anfrage mit. „Wir verstehen das Interesse an einer stillen Einkaufsstunde“, sagt sie. Bei der Vielzahl an Kunden plane man aber aktuell nicht, eine solche einzuführen. „Aufgrund unserer langen Öffnungszeiten haben wir aber durchaus Zeiten, in denen unsere Filialen nicht so stark frequentiert sind.“

Auch in den Rosenheimer Rewe-Märkten bleiben Licht und Musik wohl vorerst an. „Die ‚Stille Stunde‘ ist kein Konzept von Rewe“, betont eine Sprecherin. Es handele sich dabei um individuelles Engagement einzelner selbstständiger Kaufleute. Einige Filialen hätten das Konzept schon eingeführt. „Von einem Rewe-Markt mit ‚Stiller Stunde‘ in Rosenheim ist uns aber nichts bekannt.“

Magdalena Abele

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