Professor Münkler warnt vor geopolitischer Krise Europas

von Redaktion

Experte warnt: Deutschland muss Führungsrolle übernehmen – Bürger brauchen politische Vernunft und Augenmaß

Rosenheim – „Ich werde nicht aus dem Buch lesen“, erklärte Herfried Münkler bei seiner Begrüßung in der ausverkauften Rosenheimer Buchhandlung Rupprecht. Vielmehr wolle er einen Überblick über zentrale Bereiche geben, mit denen er sich in seinem neuesten Buch „Macht im Umbruch“ beschäftigt hat. Hintergrund für seine Überlegungen sei ebenso sein Buch „Welt in Aufruhr“. Der renommierte Politikwissenschaftler hat bereits zahlreiche Sachbücher verfasst, darunter über den Dreißigjährigen Krieg und den Ersten Weltkrieg, die alle zu Bestsellern wurden.

Trump und Putin im
Fokus des Vortrags

Münkler gliederte seinen Vortrag in drei Bereiche: die geopolitische Lage, die Herausforderungen für die Europäische Union und die deutschen Aufgaben innerhalb Europas.

Der Begriff Geopolitik gehöre eigentlich der Vergangenheit an, habe aber heute wieder eine eigene Aura bekommen, so Münkler. Europa befinde sich in einer Sandwichposition zwischen den USA und Russland, bedroht von Putin und erpresst von Trump. „Die Angst durch den nuklearen Säbel Putins zeigt Wirkung“, erklärte der Politikwissenschaftler. Deutschland sei in Europa sozialpsychologisch das schwächste Glied. Die Hoffnung auf eine Welt ohne Bedrohung habe sich nicht erfüllt.

Putin habe laut Münkler zwar Angst vor der Nato, wolle aber das verloren gegangene russische Imperium wieder herstellen. Seine erfolgreichen kleineren Kriege in Georgien und Tschetschenien hätten seine Zustimmungswerte bei der russischen Bevölkerung gesteigert. Wohlstandstransfers über die Kapitalisierung von Bodenschätzen Russlands, etwa Gas- und Öllieferungen, hätten nur Oligarchen reicher gemacht und Deutschland in eine Abhängigkeit gebracht. „Putin ist ein irrationaler Akteur, kein Homo oeconomicus“, erklärte Münkler. Bewirtschaftungen von Ressentiments seien ihm wichtiger als Kosten-Nutzen-Relationen.

„Wir reden uns die Dinge schön“, so Münklers Vorwurf. Habe früher eine regelbasierte Ordnung gegolten, in der wirtschaftliche Macht und Rechtsmaßstäbe wichtiger gewesen seien, sei durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ein Regelbruch und damit eine machtbasierte Ordnung entstanden. Mit Donald Trump hätten sich die USA als Garant der Regelstruktur geopolitisch und wertepolitisch verabschiedet. „Die amerikanische Dominanz ist vorbei, eine gemeinsame politische Ordnung nicht mehr vorhanden“, stellte Münkler fest. Vielmehr zerstörten Trumps Zölle den Wirtschaftskreislauf und transatlantische Werte. Europa könne nur dann wieder ein ernst zu nehmender politischer Akteur sein, wenn es das Einstimmigkeitsprinzip abschaffe, das Münkler als „politikstrategische Schlampigkeit“ bezeichnete. Erforderlich sei eine „Koalition der Willigen“, bestehend aus dem sogenannten „Weimarer Dreieck“ Deutschland, Frankreich, Polen, dazu Italien oder Spanien und Großbritannien, schließlich ein rotierendes System mit einem Generalsekretär aus den fünf Ländern und einem europäischen Generalstab. Deutschland als größte Wirtschaftsmacht, einwohnerstärkstes Land und größter Nettozahler der EU müsse nicht durch eine lautstarke, sondern eine kluge Politik das Auseinanderfallen Europas verhindern. Nato und EU seien für Deutschland eine zentrale Lebensversicherung. Eine Führung von hinten durch langwierige Kompromisssuche reiche nicht mehr aus, vielmehr sei nun eine Führung von vorne notwendig mit klaren Entscheidungen, aber unvollkommener Information.

„Die Bürger müssen eine solche Politik unterstützen“, forderte Münkler. Voraussetzung dafür aber sei eine große Mehrheit von Wählern mit politischer Urteilsfähigkeit, seien Bildung, Vernunft und Augenmaß.

Georg Füchtner

Artikel 10 von 11