Kein Kita-Platz – und was jetzt?

von Redaktion

Interview In Rosenheim fehlen 340 Kita-Plätze – Das rät ein Anwalt betroffenen Eltern

Rosenheim/Berlin – Eltern haben ein Recht auf einen Kita-Platz. Doch wie können sie es durchsetzen, wenn sie von der Stadt eine Absage erhalten? Und mit welchen Kosten muss man rechnen? Das weiß Rechtsanwalt Daniel Grosche, der Rechtswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Humboldt-Universität zu Berlin studiert hat und einige Jahre lang in Rosenheim gelebt hat. Seit 2017 ist er als Anwalt, seit 2021 als Fachanwalt für IT-Recht tätig. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich zudem mit dem Thema Kita und berät Eltern, deren Kind keinen Platz in einer Betreuungseinrichtung bekommen hat – trotz Rechtsanspruch. Worauf Eltern achten sollten – und wieso es sich immer lohnt, vor ein Gericht zu ziehen, erklärt er im OVB-Interview.

Wie kommt man vom IT-Recht zum Kindergartenrecht?

Ich bin da mehr oder weniger durch Zufall hineingestolpert. Am Anfang hatte ich nur einige wenige Fälle, jetzt stellen die Kitaplatz-Klagen den Hauptteil meiner Arbeit dar. Mittlerweile habe ich zahlreiche Mandanten und breite mich auch regional immer weiter aus. Ich habe zwar keine Fälle in Rosenheim, kenne mich aber mit den Sorgen und Nöten der Eltern aus.

In Rosenheim fehlen rund 350 Kita-Plätze. Trotzdem gibt es kaum Eltern, die ihren Platz einklagen.

Das ist tatsächlich ein weit verbreitetes Phänomen. Einige Leute wissen nicht, dass es die Möglichkeit überhaupt gibt. Andere trauen sich nicht, weil sie Angst haben, dass ihr Kind in der Kita benachteiligt wird. Und dann sind da natürlich noch die Kosten, vor denen viele Eltern zurückschrecken.

Warum sollte das Kind benachteiligt werden?

Wenn man seinen Rechtsanspruch geltend macht, entsteht oft der Eindruck, dass man die Kita verklagt. Obwohl sich die Klage ja eigentlich gegen die Kommune oder den Landkreis richtet. Eltern befürchten aber trotzdem, dass ihr Kind in der Kita schlechter behandelt wird. Diese Befürchtung ist nach meiner Erfahrung jedoch unbegründet.

Stimmt die Vermutung, dass viele Familien, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, sich nicht trauen, ihren Rechtsanspruch geltend zu machen?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Ich habe zahlreiche Mandanten mit Migrationshintergrund. Teilweise sogar solche, die überhaupt kein Deutsch sprechen. Die Sprache ist keine Hemmschwelle.

Welche Anforderungen müssen Eltern erfüllen, um ihren Kita-Platz überhaupt einklagen zu können?

Sie müssen vor der Klage einen Antrag an die zuständige Stelle auf Nachweis eines Betreuungsplatzes gestellt haben. Dies ist in der Regel das Jugendamt. Zudem muss das Kind das erste Lebensjahr vollendet haben.

Wie gehe ich vor, wenn ich eine Absage von meiner Kita erhalten habe?

Man muss sich an das zuständige Jugendamt wenden. Sollte hier keine Lösung gefunden werden, kann der Platz eingeklagt werden. Bei unter Dreijährigen muss man in Bayern allerdings eine Wartefrist von drei Monaten beachten, bei über Dreijährigen kann man direkt vors Verwaltungsgericht ziehen und dort eine Klage einreichen.

Wie lange dauert dieses Verfahren?

Es kommt darauf an. Wenn beispielsweise die Elternzeit endet und ich wieder arbeiten gehen muss, wäre ein Eilverfahren vor Gericht möglich. Da fällt die Entscheidung dann üblicherweise innerhalb von vier bis sechs Wochen. Nach Abschluss des Verfahrens wird die Stadt oder der Träger der öffentlichen Jugendhilfe dazu verpflichtet, den Eltern einen Kita-Platz zur Verfügung zu stellen. Das könnte beispielsweise mit Mitteln der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden.

Heißt was konkret?

Es wird ein Zwangsgeld angedroht und im Anschluss festgesetzt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch: Das Zwangsgeld bekommt nicht die Familie, sondern der Staat. Es wandert sozusagen vom rechten Säckel des Staats in den linken. Aber es wird zumindest von einer Stelle weggenommen. Die Kommune muss also so lange eine Strafe bezahlen, bis sie einen Platz nachweisen kann. Das kann bis maximal 10000 Euro gehen.

Wenn ich als Elternteil kein Geld sehe, hab ich eigentlich nicht wirklich etwas davon, oder?

Nein, zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, wo ein Kita-Platz gefunden wurde. Aber: Der Druck auf die Kommune wird erhöht. Spannend wird es erst, wenn wir in den Bereich des Verdienstausfalls kommen. Also dann, wenn ein Elternteil eigentlich wieder arbeiten gehen wollte, bis zum ersten Arbeitstag aber immer noch keinen Betreuungsplatz für das Kind hat. Dann kann ein Verdienstausfall geltend gemacht werden. Und dann kann es für eine Kommune schnell richtig teuer werden. In meinen Augen ist das das ultimative Druckmittel.

Aber dort, wo keine KitaPlätze sind, können auch nicht plötzlich welche aus dem Hut gezaubert werden.

Das ist ein guter Punkt. Tatsächlich ist es häufig so, dass Jugendämter einige Plätze horten – genau für solche Fälle. Aber natürlich gibt es auch Kommunen, die einfach keinen Platz zur Verfügung stellen können. Dann haben Eltern zwar keine Lösung, bekommen aber zumindest ihren Verdienst erstattet. Wer allerdings keinen Betreuungsplatz einklagt, verwirkt im Regelfall auch seinen Anspruch auf Schadensersatz.

Wenn Eltern vors Verwaltungsgericht ziehen, um ihren Kita-Platz einzuklagen: Mit welchen Kosten müssten sie rechnen?

In der Regel liegen die Anwaltskosten zwischen 500 und 950 Euro. Im Erfolgsfall bekommt man diese Kosten von der Kommune erstattet. Die Erfolgsquote bei Fällen wie diesen ist ziemlich hoch. Aus diesem Grund bin ich beispielsweise auch bereit, Ratenzahlungen zu akzeptieren, wenn der Bedarf besteht. Rechtsschutzversicherungen übernehmen bei derartigen Fällen üblicherweise die Verfahrenskosten.

Braucht man zwingend einen Anwalt, um seinen Kita-Platz einzuklagen?

Nein, es geht auch ohne Anwalt. Vor dem Verwaltungsgericht kann man die Klage auch selbst einreichen. Es gibt auch fertige Musterschreiben für die Klage, die es auszufüllen gilt. Spätestens wenn es jedoch darum geht, seinen Verdienstausfall geltend zu machen, sollte man sich einen Anwalt ins Boot holen, da man vors Landgericht ziehen muss, wenn die Kommune den Schaden nicht freiwillig erstattet.

Was mache ich, wenn mir ein Kita-Platz zugewiesen wird, der weiter entfernt ist, als meine Wunsch-Kita?

Den Rechtsanspruch hat man auf einen wohnortnahen Platz. In der Regel sollte der Platz nicht weiter als eine 30-minütige Wegstrecke von meinem Zuhause entfernt sein, entweder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder – wenn vorhanden – dem Auto.

Und was ist, wenn ich den Platz nicht will?

Nehmen wir also an, dass man im Rahmen des Klageverfahrens ein Platzangebot bekommt. Um den Kita-Platz zu erreichen, müsste ich aber immer rund 29 Minuten fahren. Dann hätte man als Elternteil die Möglichkeit, zu sagen, dass man das Platzangebot nicht annehmen möchte. Heißt im Umkehrschluss aber auch, dass das Klageverfahren auch beendet ist. Die Klage ist unbegründet geworden, da der Anspruch erfüllt wurde. Sollte der Platz also – aus welchen Gründen auch immer – abgelehnt werden, müsste man sich wieder in die normale Warteschlange einreihen.

Heißt: Wenn ich einen Platz angeboten bekomme, bleibt mir eigentlich fast nichts anderes übrig, als ihn anzunehmen?

Es gibt immer ein paar Kniffe. Beispielsweise dann, wenn es um Geschwisterkinder geht. Wenn die Kitas der beiden Kinder also sehr weit auseinanderliegen, hat man noch einmal ein gutes Argument, warum man den zugewiesenen Platz nicht in Anspruch nehmen möchte. Das hängt aber immer vom Einzelfall ab. Liegt die Kita beispielsweise auf dem Arbeitsweg der Eltern, könnte sie rein theoretisch auch weiter als 30 Minuten entfernt sein.

Wie würden Sie generell die Kita-Situation in Deutschland beschreiben?

Durch die zahlreichen geflüchteten Menschen, die vor einigen Jahren zu uns nach Deutschland gekommen sind, war der Mangel an Kita-Plätzen natürlich erst einmal groß. Dann kam die Corona-Krise. Die Zahl der Kinder, die plötzlich einen besonderen Förder- oder Integrationsbedarf hatten, ist angestiegen. Dieser Bedarf muss gedeckt werden. Dann kann es schon einmal sein, dass in Gebieten, in denen die Kita-Situation eigentlich gut ist, Probleme entstehen, weil es ihnen nicht gelingt, den Integrationsbedarf zu decken.

Würden Sie Eltern raten, ihren Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz durchzusetzen?

Ja, unbedingt. Das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass man keinen Platz bekommt. Dann bekommt man aber wenigstens seinen finanziellen Schaden erstattet – also beispielsweise dann, wenn man nicht arbeiten gehen kann. Es kann ja schnell böse enden. Ich hatte schon Fälle, wo ein Elternteil zu Hause bleiben musste. Das hat dazu geführt, dass ein Verdienst weggefallen ist, da ein Betreuungsplatz nicht rechtzeitig eingeklagt wurde. Plötzlich war man nicht mehr in der Lage, seine Kredite abzubezahlen. Interview: Anna Heise

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