Rosenheim – Seit 80 Jahren bietet das Bildungswerk Rosenheim Bildung „rund ums Leben“ an. Es gibt Workshops und Seminare zu quasi allen Themen in den Räumen des Bildungswerks, online oder draußen in der Natur.
„Was wächst denn da“? Eine Frage, die viele Eltern heutzutage nicht beantworten können, wenn sie mit ihren Kindern draußen unterwegs sind. Aber da gibt es ja die App auf dem Handy, schnell drauf gehalten und schon weiß man, wie die Blume oder der Baum heißt. Wie lange dieses Wissen vorhält, ist fraglich, meistens ist es nach wenigen Minuten vergessen.
Schweigender
Start in die Natur
Die Natur bietet eine Fülle an Wildpflanzen, die Sinne wecken und uns lehren. Eine App kann das nicht leisten. Die Kräuter, Bäume und Sträucher im Wald und auf der Wiese haben zahlreiche Eigenschaften, die das Bildungswerk als Kurs mit der Überschrift „Kindern die faszinierende Welt der Pflanzen nahebringen“ anbietet. Kursleiterin ist Evi Hajek, ihre Kräuterkurse und Natur-Fortbildungen im Bildungswerk sind sowohl für Erzieherinnen im NaturPädagogik-Bereich als auch für Eltern konzipiert. Treffpunkt ist der Parkplatz auf der Ratzinger Höhe bei Rimsting. Der Kuckuck ruft, die Grillen zirpen. Evi Hajek lädt ihre Gruppe erst einmal ein, die kurze Strecke durch den Wald schweigend zu gehen und so die Sinne zu schärfen, sozusagen ein kurzes „Waldbad“ zu nehmen. Angekommen auf der Wiese an der kleinen Kapelle setzen sich die Teilnehmerinnen im Kreis auf ihr Sitzkissen, es gibt eine kurze Vorstellungsrunde. Alle Frauen sind in naturpädagogischen Einrichtungen beschäftigt und auch Mütter, die ihren Schützlingen oder eigenen Kindern ein naturnahes Leben nahebringen wollen. Kräuter- und Waldpädagogin Evi Hajek meint: „Eigentlich bräuchte man drei Tage, um ein fundiertes Wissen zu vermitteln.“ Sie legt auf einem bunten Tuch Karten von Bäumen und Kräutern aus. Jede Teilnehmerin sucht sich eine aus und erzählt, was die ausgewählte Pflanze für sie bedeutet und was sie darüber weiß. Miriam, Mama und selbstständige Tagesmutter kommt zwei- bis dreimal im Jahr zu solchen Fortbildungen, hat sich das Gänseblümchen ausgesucht. „Gänseblümchen ist so etwas wie die Blume der Kinder“, meint sie. Es sei völlig ungiftig und man könne es wunderbar in Quark oder Frischkäse verarbeiten, ein öliger Auszug hilft gegen kleine Wunden oder blaue Flecken. Sie bezeichnet das Gänseblümchen, lateinisch Bellis perennis (ganzjährig schön) oder „Maßliebchen“ als fröhliche Pflanze, die die Kinder lieben, auch wenn der sogenannte Korbblütler eher langweilig schmeckt. So geht es reihum, schon um 10 Uhr vormittags haben die Teilnehmerinnen jede Menge über den Holunder, die Rosskastanie, den Löwenzahn, den Gundermann und die Buche erfahren, was sie vorher nicht wussten. Evi Hajek holt eine kleine Fingerpuppe aus Filz heraus, das ist Kathi, die Kräuterfee. Sie begleitet die Gruppe nun auf ihren Streifzügen durch Wald und Wiese und erklärt wichtige Regeln, wie zum Beispiel, „nimm nur, was Du kennst“, denn es gebe auch viele sehr giftige Kräuter und Bäume, die schwere Schäden an der Haut oder sogar Vergiftungen verursachen können.
Dazu gehört zum Beispiel der Hahnenfuß, der bei empfindlichen Kindern zu Hautreizungen führen kann. Nie nehmen heißt es bei den sogenannten Doldenblütlern, zu denen auch der hochgiftige Schierling gehört, mit dem unter anderem der griechische Philosoph Sokrates vergiftet wurde. Natürlich gebe es unter den weißblütigen Doldenblütlern auch ungiftige und sogar essbare Kräuter wie den Giersch, dessen junge Blätter als Salat oder Gemüse verwendet werden könnten, aber immer gelte: „Du musst Dir hundertprozentig sicher sein.“
„Grundsätzlich geht es in meinen Kursen darum, das Positive in der Natur zu erkennen und nicht darum, Angst zu schüren“, sagt Kursleiterin Evi Hajek und erklärt beim Spaziergang entlang eines Baches die Sumpfnelkenwurz, das weiße Labkraut, die Brennnessel und den Schachtelhalm. Zu jeder Pflanze kennt sie die Bedeutung als Heilpflanze und fordert die Teilnehmerinnen auf, selbst auf Streifzug zu gehen. Natürlich nur am Wiesenrand, da der Bauer keine zertrampelte Wiese will. Evi Hajek hat rechteckige Kartons mit Löchern und bunten Aufklebern versehen, die an die Teilnehmerinnen für ihre Wald- und Wiesen-Detektiv-Arbeit verteilt werden. Sie finden weiße und gelbe Kräuter, rosa Blüten und natürlich viel Grünes. Jede kommt stolz mit einem „Wiesenbild“ von ihrem Streifzug zurück.
Kniebeuge
vor dem Holler
Evi Hajek hält keinen Frontal-Unterricht, sondern lädt die Teilnehmerinnen zur selbstständigen Arbeit ein. Sie erarbeiten zu zweit Aufgaben wie „was weißt Du über die Fichte“ und ergänzt die kleinen Vorträge mit ihrem enormen breit gefächerten Wissen, das weit über die reine Botanik hinausgeht.
Sie gibt Tipps, was man aus den „Maiwipferln“, den frischen Trieben der Fichte alles machen kann. Gerade um den zurzeit überall blühenden Holunder gebe es jede Menge Mythen und Geschichten. Er galt schon bei den Kelten als heiliger Baum und gehört auch heute noch in den Garten vor jedem Bauernhof. „Vor dem Holler sollst Du eine Kniebeuge machen.“
Am Ende geht es wieder schweigend zurück zum Parkplatz, den Kopf voll mit Wissen und begeistert über neue Geheimnisse aus der Natur. Tagesmutter Miriam beschreibt es in ihrem Fazit als „inneres und äußeres Blumen pflücken“. Alle sind sich einig. Wir werden wieder kommen. Denn, auch das ist ein Motto des Bildungswerks: Etwas Neues zu erfahren, lohnt sich immer!