Tücken des geplanten Hausarztmodells

von Redaktion

Interview Dr. Michael Iberer vom ärztlichen Kreisverband über Berliner Gedankenspiele

Rosenheim – Möchte man einen Termin beim Facharzt, ist bei diesem oft erst in ein paar Monaten etwas frei. Auch die Hausarztpraxen sind immer gut belegt. Um das deutsche Gesundheitssystem jetzt zu entlasten, möchte die Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU), dass die Menschen zukünftig immer erst zum Hausarzt gehen. Was das bringt und welche Auswirkungen das auch für die Region haben kann, erklärt Dr. Michael Iberer, Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbands Rosenheim im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen.

Passiert es oft, dass Patienten direkt zum Facharzt gehen? Ohne Rücksprache mit dem Hausarzt?

Es gibt sicher Patienten, die primär den Weg zum Facharzt suchen und die nicht den Umweg über den Hausarzt gehen wollen. Bei jüngeren Patienten hat man den Eindruck, dass sie eher dazu neigen, den Weg direkt zum Facharzt zu gehen, während die Älteren häufig zuerst den Hausarzt aufsuchen.

Wann kommen die Leute zum Hausarzt?

Grundsätzlich natürlich für die hausärztlichen/allgemeinmedizinischen Fragestellungen. Wir erleben aber auch häufig, dass Patienten vom Facharzt kommen, dort untersucht wurden und uns Hausärzten dann den Befund hinlegen und ihn erklärt haben wollen. Entweder trauen sie sich nicht, den Facharzt zu fragen, verstehen es nicht oder der Facharzt sieht sich nicht in der Lage, häufig aus Zeitgründen, den Befund nicht so zu erklären, dass der Patient ihn versteht. 

Darüber hinaus kommt es häufig vor, dass beispielsweise der Facharzt einen Eingriff (z.B. eine Herzkatheteruntersuchung oder Operation) empfiehlt und dann kommt der Patient zum Hausarzt und fragt, ob dies überhaupt notwendig ist. Dies spiegelt das extrem hohe Vertrauen wider, dass die Patienten dem Hausarzt entgegenbringen.

Dann würde das Hausarztsystem den Patienten entgegenkommen?

Eine primärärztliche Versorgung stellt die erste Anlaufstelle für den Patienten im immer komplexer werdenden Gesundheitssystem dar und ermöglicht eine kontinuierliche, vertrauensvolle Betreuung. Dadurch können Krankheiten frühzeitig erkannt, behandelt und chronische Verläufe besser gemanagt werden. Zudem koordiniert der Hausarzt weitere Facharztbesuche und sorgt so für eine effiziente und abgestimmte medizinische Versorgung. Patienten wollen in hohem Maße die Vertrauensperson zurate ziehen. Die hausärztliche Versorgung ist heute im großen Stil primäre Versorgung: eine präventionsorientierte, früherkennungsorientierte Medizin. Das bieten zwar die Fachärzte auch an. Dadurch leisten wir uns in Deutschland jedoch ein System mit doppelten Strukturen. Wir haben häufig Doppeluntersuchungen.

Was bedeutet das für unser System?

Grundsätzlich haben wir ein sehr aufgeblähtes Gesundheitssystem, mit vielen Arzt-Patienten-Kontakten im fachärztlichen wie im hausärztlichen Bereich. Hier irgendeine Steuerung anzusetzen, macht schon Sinn. Wenn das primärärztlich laufen würde, wäre sicherlich Zeit gespart. Es wäre alles in strukturierten, kanalisierten Bahnen. Das würde das Gesundheitssystem entlasten.  Die primärärztliche Versorgung gibt es in anderen Ländern und die fahren gut damit.

Haben Sie ein Beispiel?

In Holland darf keine Facharztbehandlung erfolgen, ohne dass der Hausarzt das zugewiesen hat. Im Vereinigten Königreich ist es auch so. Da hat jeder einen zugewiesenen Hausarzt und der überweist dann zur Not zum Facharzt. Genau dieses System wäre bei uns schwierig. Wenn der Patient mir zugewiesen wird, mich aber aus irgendeinen Grund nicht mag, ist das schwierig. Ärztliche Versorgung hat immer was mit Sympathie zu tun. Wenn der Patient sich bei mir unwohl fühlt, dann ist es keine optimale Versorgung.

Gibt es andere Nachteile?

Sicherlich ist das System ein Nachteil in ländlichen Regionen, da haben sie auf viele Kilometer keinen Hausarzt oder neue Patienten finden keinen Hausarzt, der sie aufnehmen kann. Kollegen finden keinen Nachfolger. Da müssen Praxen geschlossen werden und das wird dann ein Problem. Im letzten Jahr haben sogar in Rosenheim mehrere Hausarztpraxen ohne Nachfolger aufgehört. Die Patienten müssen irgendwie verteilt werden. Das ist selbst in einer Stadt wie Rosenheim schwierig. Wenn man in die ländlichen Bereiche schaut, da werden ganze Gebiete nicht mehr nachbesetzt und da muss endlich eine Lösung gefunden werden.

Was ist bei dringenden Fällen?

Es gibt auch Erkrankungen, die sind relativ zeitkritisch. Wenn jemand dringend eine CT-Untersuchung braucht, dann kann es beim streng primärärztlichen System in manchen Fällen zu Verzögerungen kommen. Es dauert, bis der Patient beim Hausarzt einen Termin hat und von dort dann beim Facharzt einen Termin kriegt. Da wäre er vielleicht schneller dran, wenn er direkt zum Facharzt gehen könnte.

Wann würde der Besuch beim Hausarzt reichen?

Bei einer klassischen Infektionserkrankung, zum Beispiel bei einer Mandelentzündung oder einem Harnwegsinfekt, das sind Fälle für die hausärztliche Medizin. Das braucht keinen Facharzt, das kann der Hausarzt problemlos behandeln. So würde die primärärztliche Versorgung in diesem Fall Ressourcen und Zeit beim Hals-Nasen-OhrenArzt öffnen, die er vielleicht für etwas wichtigeres braucht.

Werden so bei Fachärzten mehr Termine frei?

Wenn sich wirklich ein strenges primärärztliches System durchsetzen würde, bei dem die Hausärzte filtern, wer zum Facharzt muss und wer nicht, dann haben die Fachärzte keine unnötigen, vermeidbaren Kontakte. Dann würden dort auf jeden Fall Termine frei werden. 

Was müsste bei der Einführung des Systems beachtet werden?

Dass man es klar mit der Bevölkerung kommuniziert. Es dürfen keine falschen Erwartungen oder Befürchtungen vorhanden sein. So können unnötige Diskussionen vermieden werden. Es muss klar kommuniziert werden, dass die Hausärzte keine Verteilstationen sind, sondern in einem primärärztlichen Versorgungssystem der Hausarzt entscheiden muss, ob ein Facharztbesuch notwendig ist oder nicht.

Wie ist die aktuelle Auslastung der Hausärzte in der Region?

Die ist hoch. Wir sind alle gut beschäftigt. Ich glaube, es gibt keinen Hausarzt, der über zu wenig Arbeit klagt. Manche Kollegen sind dem neuen System gegenüber sehr aufgeschlossen und andere Kollegen sehen jetzt schon kaum Land. Die wissen jetzt schon nicht wohin mit ihren Terminen. Für die hausärztlichen Praxen ist es vermutlich eine Herausforderung, dem Ansturm gerecht zu werden. Wenn in Zukunft alle Patienten zunächst zum Hausarzt müssen, würde das zu einer erhöhten Konsultation bei den Hausärzten führen. Man müsste das hausärztliche System stärken, also mehr Kollegen dazu bringen, Hausarzt zu werden. 

Was muss sich dafür ändern?

Die Arbeitsbedingungen: Da geht es um Teilzeitmodelle, Jobsharing-Modelle, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber auch die unnötige Bürokratie, die einem das Leben schwer macht. Natürlich spielt auch der finanzielle Aspekt eine Rolle: Als Hausarzt verdient man weniger gut als in vielen Facharztgruppen. Das sind alles solche Dinge. Am Ende des Tages ergänzt nur ein Miteinander die Strukturen gut. Wir als Ärzte sollten gemeinsame Lösungen, Strukturen und Wege finden, da wäre den Patienten am besten geholfen. 

Interview: Sophie Mischner

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