„War klar, dass es niemand geschafft hat“

von Redaktion

Interview Titanic-Experte Günter Bäbler nennt Details zum Unglück der „Titan“

Rosenheim – Seit 1982 interessiert sich Günter Bäbler für die Titanic. Er hat über 3500 Bücher, sammelt Postkarten, Fotos und zigtausende Zeitungsartikel.  1996 und 1998 nahm er an Expeditionen zur Titanic teil, von 1997 bis 2000 betreute er als historischer Berater die Titanic-Ausstellungen in Hamburg, Zürich und München und war seither in zahlreiche weitere Ausstellungen als Leihgeber involviert. Unter anderem in Rosenheim. Jetzt spricht der Experte über den U-Boot-Unfall der „Titan“, der sich am heutigen Mittwoch, zum zweiten Mal jährt. Wieso er selbst wohl eher nicht an Bord gegangen wäre, erklärt er im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen.

2023 implodierte das Tauchboot „Titan“ bei einem Tauchgang zum Wrack der Titanic. Alle fünf Menschen an Bord kamen ums Leben. Der Vorfall hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt.

Auch ich habe den Fall intensiv verfolgt. Ich kannte zwei Leute, die an Bord waren und gestorben sind. Mit dem französischen Forscher Paul-Henri Nargeolet war ich 1998 gemeinsam auf einer Expedition. Wir haben lange Zeit zusammengearbeitet. Zwei Monate vor seinem Tod haben wir uns noch in New York getroffen. Er war nicht nur ein Kollege, sondern ein guter Freund.

Wie haben Sie von dem Unfall erfahren?

Ich hatte frei und habe das komplette Ereignis also von Anfang bis Ende mitverfolgt – gemeinsam mit meiner Kollegin Brigitte Saar. Sie ist eine der wenigen Frauen, die das Wrack der Titanic von ganz nahe gesehen hat. Sie ist in einer Kapsel 3800 Meter in die Tiefe gereist und beschäftigt sich schon alleine deshalb sehr intensiv mit dem Thema.

Nehmen Sie uns kurz mit zurück ins Jahr 2023.

Am Sonntag, 18. Juni 2023, befanden sich fünf Menschen am Bord der Titan und haben sich auf dem Weg zum Wrack der Titanic gemacht. In mehr als 3300 Meter Tiefe ist der Kontakt zur Oberfläche abgebrochen. Nur wenige Sekunden später implodierte das Tauchboot, was damals aber noch nicht bekannt war.

Einen Tag später, am 19. Juni 2023, wurde die Nachricht von dem Unglück publik gemacht. Wir wussten, dass etwas Großes passiert ist und haben kurzerhand beschlossen, unser komplettes Vereinsheft, das eigentlich einen Tag nach dem Unglück erscheinen sollte, noch einmal komplett zu überarbeiten.

Heißt was konkret?

Wir haben die komplette Chronologie aufgeschrieben: An welcher Stelle das Tauchboot implodiert ist, welche Schiffe wo involviert waren, welche Suchflüge es gab und welche Maßnahmen die Küstenwache eingeleitet hat. Das Protokoll wurde zu einem 24-seitigen Sonderheft und erschien weniger als eine Woche nach dem Unglück.

Das ist eine sehr nüchterne Vorgehensweise. Gerade mit Blick darauf, dass Sie einige Leute an Bord kannten.

Nur wenige Minuten, nachdem ich von dem Fall gehört habe, war mir klar,
dass es keine Überlebende geben wird. Ich habe 20 Minuten lang mit Brigitte telefoniert, wir sind jedes Szenario durchgegangen. Aber in jedem dieser Szenarien war klar, dass es niemand  überleben würde.

Während also die ganze Welt gebangt hat, haben wir uns daran gemacht, alles aufzuschreiben. Wir wollten die Erinnerung festhalten, haben alles mechanisch dokumentiert und so auch verarbeitet. Wir waren rund um die Uhr im Einsatz.

Können Sie nachvollziehen, dass jemand in ein U-Boot steigt, um sich das Wrack der Titanic anzuschauen?

Zum Teil. In den 1990er-Jahren stand das tatsächlich auch auf meiner Wunschliste. Hätte ich damals die Möglichkeit gehabt, hätte ich es sofort gemacht. Auch Anfang der Nuller-Jahre wäre ich von der Idee sicherlich nicht abgeneigt gewesen. Aber mittlerweile ist das für mich keine Option mehr.

Wieso?

2022 gab es eine Expedition, bei der  ein  Fotogrammetrie-Modell erstellt wurde. Heißt  vereinfacht: Tauchroboter haben das Wrack der Titanic fotografiert und anschließend wurden die Bilder zu einem virtuellen Modell zusammengesetzt. Die Resultate sind fünf Wochen vor dem Unglück publiziert worden. 

Selbst runterzutauchen, um das Wrack mit eigenen Augen zu sehen, bringt in der Forschung kaum einen Mehrwert. Die Aufnahmen von den Robotern sind deutlich besser, als all das, was man selbst unter Wasser sehen würde.

Also wären Sie selbst nicht in die Titan eingestiegen?

Nein. Ich  arbeitete früher  als Konstrukteur und hatte von Anfang an meine Zweifel daran, wie gut das Boot wirklich ist. Das hört sich im Nachgang natürlich blöd an, aber das Unterfangen war mir nie ganz geheuer. Zumal mir das komplette Konzept einfach nicht zugesagt hätte.

Wie meinen Sie das?

Naja, man ist zu fünft in diesem U-Boot, es gibt aber nur ein Bullauge, wo maximal zwei Köpfe reinpassen. Heißt im Umkehrschluss: Ich habe drei Leute, die nichts sehen. Die schauen sich die Aufnahmen dann auf einem iPad an. Und naja, ich will nicht der sein, der auf den Bildschirm schaut, weil der Platz am Fenster schon vergeben ist. Dann hätte ich nämlich auch einfach oben bleiben können. Das wäre für mich absolut nicht erstrebenswert gewesen. Warum sollte man diese Reise auf sich nehmen, um dann in der zweiten Reihe zu sitzen. Aber: Wenn mich jemand eingeladen und mir einen kostenlosen Platz in dem Tauchboot angeboten hätte, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, dass ich ihn abgelehnt hätte.

Spannend.

Der Mehrwert für die Titanic-Szene wäre aber vergleichsweise klein gewesen. Die Roboter, die für uns in die Tiefe tauchen, bringen ein Vielfaches an Informationen zurück. Das könnte ein Mensch überhaupt nicht. Für viele, die zum Wrack der Titanic reisen, ist es also eher ein Ego-Projekt. Es ist ein riesiger Aufwand, für wenig Gewinn. Aber immerhin können sie sagen, dass sie das Wrack der Titanic mit eigenen Augen gesehen haben.Interview: Anna Heise

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