Rosenheim – Fast die Hälfte seines Lebens verbrachte er im Gefängnis. Nachdem ein 44-jähriger Arbeitsloser 20 Jahre in verschiedenen Justizvollzugsanstalten verbrachte, nahm er sich 2023 nach seiner Entlassung eine Wohnung in einem Obdachlosenasyl in Rosenheim. Der Mann schaffte es allerdings nicht lange, ohne Alkohol auszukommen. Weil er aber im betrunkenen Zustand äußerst aggressiv werden konnte, verübte der 44-Jährige im Zeitraum von Februar bis Juli 2024 wieder – zum Teil heftige – Straftaten. Die Folge: Mitte Juli 2024 steckte ein Ermittlungsrichter den Mann erneut in Untersuchungshaft.
Für diese Taten musste er sich nun vor dem Rosenheimer Amtsgericht verantworten. So hatte der 44-Jährige im April 2024 die EC-Karte eines Mitbewohners, der ihm diese im Vertrauen darauf, dass er sie nur zu einem Einkauf für ihn benutzen würde, missbraucht. Mit dieser hob der Mann schließlich 1000 Euro für sich selbst ab. Im darauffolgenden Juni hatte er dann mit einem Kunststoffstuhl auf eine Mitbewohnerin derart heftig geschlagen, dass dieser zu Bruch ging und die Frau mehrfach verletzt worden war. Weil er in dieser Zeit fast pausenlos betrunken war, geriet er zudem mit seinen Mitbewohnern geradezu regelmäßig in Streit, der über Beleidigungen bis hin zu ernsthaften Bedrohungen führte.
Geradezu zwangsläufig führten ihn dies auch zu regelmäßigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dabei kam es zum Widerstand und unflätigen Beleidigungen. Mit Gewalt musste der 44-Jährige dabei fixiert werden, damit ihm der Arzt Blut für eine Alkoholbestimmung entnehmen konnte. Nicht zu Unrecht. 3,2 Promille enthielt die Probe – sowie den Nachweis für einen THC-Konsum.
Wie der forensisch psychiatrische Gutachter, Professor Michael Soyka, feststellte, würde ein solcher Alkoholgehalt jeden Normalbürger in ein Koma versetzen. Nicht so den Angeklagten, der seit vielen Jahren Alkohol gewöhnt sei. So sei ihm durchaus der Paragraf 21 Strafgesetzbuch zuzubilligen, der eine verminderte Schuldfähigkeit für gegeben halte. Nicht so jedoch bei dem Betrug mit der Bankkarte. Dabei sei er viel zu zielgerichtet vorgegangen, als dass er dabei durch den Alkohol beeinträchtigt gewesen sein konnte.
Vor dem Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richterin Dr. Deborah Fries war der Angeklagte umfassend geständig. Jedoch verwies er darauf, dass er sich wegen seiner damaligen Alkoholisierung an das meiste nicht erinnern könne. Nichtsdestotrotz wollte er die Vorwürfe insgesamt einräumen, weil er in diesen Momenten durchaus zu solchem Verhalten in der Lage sei.
Nach seiner Haftentlassung 2023 sei er zunächst durchaus „trocken“ gewesen. Dann sei aber wieder „abgerutscht“ und daher häufig außer Kontrolle gewesen, betonte der Mann. Nun sei er sich aber endgültig bewusst geworden, dass er so nicht weiterleben könne und wolle. Mit Unterstützung der Anti-Drogen-Beratung in der JVA habe er nun erstmals eine Langzeit-Therapie beantragt. Dabei sei auch eine Kostenübernahme bestätigt worden. Damit könne er dann drogen- und alkoholfrei leben und mit einer normalen Arbeit auch zukünftig straffrei bleiben.
Der Gutachter sprach sich allerdings gegen eine Maßregelvollzugs-Therapie aus. Zwar seien die medizinischen Voraussetzungen gegeben. Jedoch könne er beim besten Willen keine wirkliche Motivation zu einer solchen Therapie erkennen, was jedoch eine bedeutende Voraussetzung für eine solche Entscheidung sei.
So sah das auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft. „Wie viele Chancen will der Angeklagte noch haben?“, fragte der Staatsanwalt. Das Strafregister des 44-Jährigen weise 22 Eintragungen auf. Immer wieder sei er in Haft gewesen – mit der anschließenden Chance zu einem straffreien Leben. Immer wieder seien dessen Bewährungschancen widerrufen worden. Besonders die Abhebung der 1000 Euro wiege schwer. Einem Mitbewohner des Obdachlosenheimes einen solchen Betrag zu entwenden müsse den Angeklagten noch härter treffen als einen Normalverdiener. Und auch die Tat, bei der er auf eine ihm körperlich unterlegene Frau mit solcher Vehemenz und einem Gegenstand einschlug, müsse trotz Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit zu einer deutlichen Strafe führen.
Wegen insgesamt zwölf Straftaten in solch kurzem Zeitraum beantragte der Staatsanwalt eine Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten – wobei sich die Frage nach einer Bewährung gar nicht mehr stelle. Was die Langzeittherapie angehe, so halte er dies für eine rein taktische Strafvermeidung. Viel zu oft hätte der Angeklagte Jahre vorher bereits dazu Gelegenheit gehabt. Es sei eine Sache der Vollstreckungsbehörde diesem, bei entsprechender Führung während der Haft, eine solche neue Chance zu gewähren.
Der Verteidiger Julian Praun wandte ein, dass sein Mandant mit seinem Geständnis dem Gericht nicht nur eine lange Beweisaufnahme erspart habe. Damit sei auch deutlich geworden, dass er wirklich Einsicht und Reue empfinde. Darüber hinaus hätte er noch niemals eine richtige Langzeittherapie erhalten. Ohne eine solche Therapie sei abzusehen, dass sein Mandant wieder in ähnliche Straffälligkeit geraten könnte. Deshalb beantragte er eine Gefängnisstrafe von 18 Monaten, die man zur Bewährung aussetzen möge. Dazu gehöre eine Bewährungsauflage mit der Verpflichtung zur Therapie.
Das Schöffengericht schloss sich im Wesentlichen der Auffassung des Staatsanwaltes an. Zu viele Chancen zur Umkehr in seinem Leben habe der Angeklagte ungenützt verstreichen lassen. So könne man ihm eine echte Bereitschaft zum Wandel nur schwer glauben. Das Gericht verurteilte den 44-Jährigen zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und zwei Monaten.
Theo Auer