Rosenheim – Die Januar-Sitzung des Rosenheimer Stadtrats sorgt auch Monate später noch für Gesprächsstoff. Damals wurde Stefan Bauer vereidigt. Er folgte auf AfD-Politiker Hans Raß, der am 24. November im Alter von 85 Jahren gestorben war. Bauer trat bei den Kommunalwahlen im März 2020 für die AfD für den Stadtrat an und landete auf dem Nachrücker-Platz. Seitdem hat er immer wieder mit Negativ-Schlagzeilen auf sich aufmerksam gemacht.
AfD distanziert
sich von Bauer
So lud er beispielsweise 2021 auf Telegram einen Clip hoch, in dem er – vor den Toren der KZ-Gedenkstätte Mauthausen stehend – Parallelen zwischen Impfgegnern und Opfern des NS-Regimes zog. Die AfD äußerte sich damals ungehalten über die Äußerungen und distanzierte sich von Bauer. Später wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Seitdem tritt Bauer als Parteiloser auf und zog als solcher auch in den Rosenheimer Stadtrat ein.
Doch wirklich haben will ihn dort niemand. Das machten – neben Grünen und SPD – knapp zwei Dutzend Demonstranten bei der Vereidigung im Januar deutlich – unter anderem mit „Nazi raus“-Rufen. Weil Bemühungen vonseiten der Verwaltung fehlschlugen, die Demonstranten zum Gehen zu bewegen, wurde die Polizei hinzugerufen. Die Aktivisten wurden aus dem Rathaus geführt und zur Dienststelle gebracht.
Im Anschluss an die Demonstration erhielten die Aktivisten nicht nur ein Hausverbot für das Rosenheimer Rathaus, sondern auch Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs. Mit den Fällen beschäftigt sich mittlerweile das Amtsgericht. Das bestätigt Pressesprecher Stefan Tillmann. „Neun Verfahren sind insgesamt beim Amtsgericht Rosenheim anhängig“, sagt er auf OVB-Anfrage.
Zwei Strafbefehle
abgelehnt
Bei vier stehen die Verhandlungstermine bereits fest, in drei Verfahren ist über den Erlass der Strafbefehle noch nicht entschieden worden. In zwei Verfahren wurde der Erlass der Strafbefehle abgelehnt. „Voraussetzung für den Erlass eines Strafbefehls ist ein sogenannter hinreichender Tatverdacht“, erklärt Tillmann. In den beiden Ablehnungen sah das Gericht dem Pressesprecher zufolge diesen Tatverdacht nicht als gegeben an.
„Dabei ging das Gericht davon aus, dass den Angeklagten nicht nachgewiesen werden kann, ob und in welcher Form sie sich an den Vorkommnissen im Stadtrat beteiligt haben – vor und insbesondere auch nach der Aufforderung zum Verlassen“, ergänzt Tillmann. In diesem Zusammenhang erinnert er daran, dass die Beschuldigten den Hausfriedensbruch begangen haben sollen, indem sie trotz Aufforderung den Sitzungssaal nicht verließen.
„Die ablehnenden Gerichtsbeschlüsse nehmen an, dass ausreichend erhebliche, störende Handlungen nach dieser Aufforderung gerade den jeweiligen Angeklagten nicht zugeordnet werden können“, fügt Tillmann hinzu.
Entscheidung vor
Landgericht steht aus
Zumindest die Staatsanwaltschaft Traunstein vertritt hier eine andere Meinung. „In beiden Fällen haben wir gegen diese gerichtlichen Entscheidungen jeweils sofortige Beschwerde eingelegt“, sagt Oberstaatsanwalt Dr. Rainer Vietze.
Ziel der sofortigen Beschwerden – über die das Landgericht Traunstein entscheiden wird – sei, dass die beiden Strafbefehle antragsmäßig erlassen werden. „Aus Sicht der Staatsanwaltschaft sind die vorhandenen Indizien ausreichend, um einen hinreichenden Tatverdacht gegen die Angeschuldigten zu begründen“, erklärt Vietze.
Laut der Staatsanwaltschaft liegt eine gezielte Störungsaktion einer ganzen Gruppe vor. „Von den Mitgliedern dieser Gruppe sollen – so auch die Zeugen – von verschiedener Seite die Veranstaltung gestört worden sein“, sagt der Oberstaatsanwalt. Ob das Landgericht dieser Argumentation folgt, wird sich zeigen.
Erste Prozesse
beginnen im Herbst
Die Aktivisten feiern zumindest schon jetzt ihren Sieg. „Wir freuen uns, dass der Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft gegenüber friedlichem und zivilgesellschaftlichem Protest zumindest in diesen Fällen ausgebremst wurde“, teilt Julian Müller, Mitglied der Initiative „Stadtrat Nazifrei“ mit.
Feststeht, dass im Herbst die Prozesse gegen vier Aktivisten beginnen. „Wir gehen selbstbewusst in die juristische Auseinandersetzung. Unser Protest war legitim und richtig“, heißt es vonseiten der Initiative. Die Aktivisten hätten – laut eigener Aussage – viel Zuspruch und Solidarität erfahren. „Über 30 Gruppen aus Rosenheim und der Region haben sich mit uns solidarisiert. Über 1700 Menschen haben eine OnlinePetition unterschrieben“, heißt es in einer Mitteilung. Das Ziel der Petition: die Rücknahme der Strafanträge und Hausverbote.