„Die nächtliche Bluttat am Küpferling“

von Redaktion

Blick ins OVB-Zeitungsarchiv Ein Verbrechen erschütterte Rosenheim im Jahr 1925

Rosenheim – „Samstag nachts gegen 1.30 Uhr kam es in der Wirtschaft zum ‚Beflügelten Rad‘ am Küpferling zu einer Rauferei, die sich auf der Straße vor der Wirtschaft fortsetzte“, berichtet der Rosenheimer Anzeiger am 30. Juni 1925. Das Gebäude gibt es noch heute. 2022 wurde es die neue Heimat der „Brezn“.

„Im Verlauf der Rauferei erhielt der frühere Gendarmeriewachtmeister Matthias Mann acht Stiche in den Kopf und einen in den Rücken, welch letzterer sein alsbaldiges Ableben herbeiführte. Der herbeigerufene Arzt Dr. Klein vermochte nurmehr den Tod festzustellen. Die Leiche wurde in das städtische Leichenhaus erbracht.“ Vier Männer seien als Tatverdächtige festgenommen worden: Die Brüder Martin und Sebastian Gruber, Josef Staudinger und Albert Stadler. Der Getötete sei Mitglied in mehreren „vaterländischen Verbänden“ gewesen.

An jenem Abend seien er und einige „Gesinnungsgenossen“ von einer Feier kommend im „Rad“ eingekehrt. Dort seien dann „noch Mitglieder linksgerichteter radikaler Organisationen“ erschienen. Es sei zu einem Wortwechsel und anschließend der blutig endenden Schlägerei gekommen. „Als Charakteristikum dieser furchtbaren Tat sei mitgeteilt, dass der Getötete jener Gendarm war, der in Ausführung dienstlichen Befehls beim Maifestzug vor drei Jahren den Kommunisten die rote Fahne wegzunehmen hatte und dass die verhafteten Täter sämtliche linksradikalen Organisationen angehören.“ Die Tat habe in „rechtsstehenden Kreisen“ große Erregung ausgelöst. „Als gestern Nachmittag einer der Täter durch die hiesige Schutzmannschaft zur Leichenöffnung gebracht wurde, wurde er vor dem Gefängnis durch die Freunde des Ermordeten ordentlich durchgebläut.“

An dieser Stelle ein Blick auf die politische Lage in Rosenheim, konkret auf die beiden Parteien an den Enden des rechten und linken politischen Spektrums. „Am 18. April 1920 wurde in Rosenheim die erste Ortsgruppe der NSDAP außerhalb Münchens gegründet. Damit war Rosenheim deutschlandweit die zweite Ortsgruppe der Nazi-Partei. Bereits am 2. Mai fand die erste öffentliche Versammlung statt, auf der unter anderem Hitler zum Thema ‚Deutsche Arbeiter und deutscher Kommunismus‘ sprach“, berichtet das Stadtarchiv Rosenheim, „Nach Hitlers Putschversuch am 9. November 1923 und dem Verbot von NSDAP und SA schien auch in Rosenheim die NSDAP einen erheblichen Rückschlag in der Mitgliederzahl erhalten zu haben. Doch das Auftreten von ‚getarnten‘ Nationalsozialisten im Rosenheimer Stadtrat als ‚Unpolitische Bürgerliste‘ noch vor der Wiederzulassung der Partei im Februar 1925 zeigt, dass der harte Kern der NSDAP weiterhin tätig war.“

„Bis März 1920, also die unmittelbare Zeit nach der Räterepublik, blieb die KPD faktisch in der Illegalität. Aber langsam schienen die Kommunisten wieder vor Ort Fuß zu fassen“, beschreibt wiederum deren Situation Andreas Salomon in einem Beitrag für die „Rosenheimer Miszellen“. Die Partei sei 1920 rege tätig gewesen, was sich auch in Wahlergebnissen mit gut sechs Prozent der Stimmen niederschlug.

Nach dem „Bambeker Aufstand“ erfolgte ein zweites Verbot vom 11. November 1923 bis zum Februar 1925 in Bayern. „Ab 1925 erfolgte eine rasche Ausdehnung der Partei. Waren es bei der Wiederzulassung in Südbayern im Februar rund 1000 Mitglieder gewesen, so waren bereits im Juni in 81 Ortsgruppen gut 2800 organisiert. Für Rosenheim wurden im Frühjahr 1926 21 Mitglieder angegeben“, so Salomon weiter. Die Partei sei in ihren Aktivitäten ständig von den Behörden behindert worden. Hinzu kam noch, dass am 28. Februar 1923 der Gewerkschafter Georg Ott durch Nationalsozialisten und ihre Helfer bei einem Sturm auf das Rosenheimer Gewerkschaftshaus ermordet worden war.

Zur Verhandlung des Falls „Beflügeltes Rad“ gab es dann sowohl im „Rosenheimer Anzeiger“, in dessen Ausgabe vom 7. Oktober, als auch dem „Rosenheimer Tagblatt Wendelstein“ in dessen Ausgabe vom 8. Oktober Sonderseiten. „Kein politischer Racheakt – lediglich eine Wirtshauskeilerei“, betonte dabei der „Wendelstein“. Die Brüder Martin und Sebastian Gruber seien zu jeweils einem Jahr und drei Monaten beziehungsweise acht Monaten Haft „unter Einrechnung der erlittenen Untersuchungshaft und Aufhebung des Haftbefehls“ verurteilt worden. Josef Staudinger musste für sechs Monate und Albert Stadler für zwei Jahre in Haft. „Sämtlichen Angeklagten wird die erlittene Untersuchungshaft angerechnet.“

Das Gericht habe die Anklage auf Körperverletzung fallen gelassen und lediglich „Beteiligung an einer Rauferei“ zugrunde gelegt. „Der Stadler habe zwar sicher ein Messer bei sich gehabt, aber es sei nicht erwiesen, ob mit diesem die Tat verübt wurde. Gruber Martin sei als moralischer Urheber der Rauferei anzusehen. Die Angeklagten, mit Ausnahme des Stadler, der fröhlich lächelte, nahmen den Spruch mit sichtlicher Bewegung auf“, so der Bericht im „Anzeiger“. Der Staatsanwalt habe, auch mit Blick auf den unaufgeklärten Mord am Gewerkschafter Ott, erklärt: „Es sei an der Zeit, dass in Rosenheim und im Chiemgau endlich einmal den Kreisen, die es angeht, die Ehrfurcht und Scheu vor der Heiligkeit des Menschenlebens vor Augen geführt wird.“

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