War die Tötung von Eman E. ein Femizid?

von Redaktion

Interview Frauenhaus-Leiterin Marita Koralewski über gezielte Gewalt gegen Frauen

Rosenheim/Bad Aibling – Noch gibt es zahlreiche offene Fragen: Zwar weiß man, dass es sich beim Tod von Eman E. um eine Gewalttat handelt, doch geklärt ist weder, wer sie getötet hat, noch, ob es sich tatsächlich um einen Femizid handelt. Der Ehemann der 34-Jährigen befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. Ob er tatsächlich für den Tod seiner Frau verantwortlich ist, werden die Ermittlungen zeigen. Dass es immer wieder zu Beziehungstaten kommt, weiß Marita Koralewski. Sie ist die Leiterin des Frauenhauses Rosenheim-Traunstein. Mit den OVB-Heimatzeitungen hat sie über Gewalt und Beratungsstellen gesprochen.

In Bad Aibling wurde die Leiche einer Frau gefunden. Vieles deutet auf ein Gewaltverbrechen hin. Als dringend tatverdächtig gilt der Ehemann der Toten. Haben Sie den Fall verfolgt?

Etwas. Ich habe die Vermisstenanzeige gelesen und da die Frau schon lange verschwunden war, habe ich vermutet, dass sie sich entweder gut versteckt hat oder dass sie Opfer einer Gewalttat geworden ist. Falls sie Opfer von häuslicher Gewalt gewesen ist und vor ihrem Mann in ein Frauenhaus geflohen wäre, hätte die Polizei sie gefunden.

Leider haben wir in Deutschland eine hohe Zahl von Tötungsdelikten an Frauen. Viele der Tötungen sind extreme Formen von häuslicher Gewalt. Wie vergangene Woche bekannt wurde, ist auch eine Frau aus Krailling bei München tot in ihrer Wohnung gefunden worden. Hier gab es im Vorfeld bewiesene häusliche Gewalt.

Wie oft kommt das vor?

Die Statistik sagt, dass jede Woche in Deutschland etwa drei Frauen von ihrem aktuellen oder früheren Partner getötet werden, im Jahr 2023 waren es 155. Mehr als einmal pro Stunde wird in Deutschland eine Frau durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt. Ein besonders hohes Tötungsrisiko besteht für Frauen dann, wenn sie eine Trennung angekündigt oder sich gerade getrennt haben.

Davon liest man auch immer wieder in den Medien.

Ich komme gerade von einer Bundeskonferenz häusliche Gewalt, bei der es unter anderem um das Thema Hochrisikofälle ging – also Frauen, die mit dem Tod bedroht werden. Fest steht, dass jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau von ihrem Mann umgebracht wird.

In diesen Fällen spricht man von einem Femizid, oder?

Ja, als Femizid oder Intim-Femizid. Als Femizide gelten diejenigen Tötungsdelikte, bei denen Frauen aufgrund ihrer Stellung als Frau in der Gesellschaft getötet werden, nicht etwa zufällig oder aufgrund individueller Umstände. Jedoch ist nicht jede – vorsätzliche – Tötung einer Frau zwingend ein Femizid.

Was sind das für Männer, die ihre Frauen umbringen?

Oft handelt es sich um Männer, die ein starkes Kontrollbedürfnis haben. Studien zeigen, dass sie bereits in vorangegangenen Beziehungen Kontrolle und Gewalt ausgeübt haben. Es handelt sich teilweise um depressive/suizidale oder narzisstische Täter mit starken Racheabsichten.

Gibt es einen Auslöser?

Ein Auslöser könnte sein, wenn die Partnerin sich der Kontrolle des Mannes widersetzt und damit droht, ihn zu verlassen. Bei einem Femizid handelt es sich nicht um eine situative Eskalation, sondern häufig um ein geplantes Tötungsdelikt.

Welche Frauen leben bei Ihnen im Frauenhaus?

Frauen, die akut von häuslicher Gewalt betroffen sind und Schutz vor ihren Partnern benötigen. Oft handelt es sich um hochgefährdete Frauen, die sich selbst bei uns melden oder von der Polizei nach einem Einsatz bei häuslicher Gewalt zu uns gebracht werden.

Woher weiß man, wann eine Frau hochgefährdet ist?

Wir nutzen verschiedene Instrumente, um die Gefährdungslage mit den Frauen realistisch einzuschätzen und Schutzmaßnahmen einzuleiten. Ziele sind, die Schwere der Situation zu erkennen und weiter Gewalttaten zu verhindern. Genutzt werden hier standardisierte Fragebögen, die zum Beispiel über Waffenbesitz, Suchterkrankung, die Form der Gewalt sowie Informationen geben.

Und wie geht es dann weiter?

Nach der Gefährdungseinschätzung machen wir mit allen Frauen eine Sicherheitsplanung, um das Risiko zu minimieren, dass der Mann sie findet. Wenn wir zum Beispiel eine Frau aus Rosenheim aufnehmen, deren Mann sie sucht und die eine hohe Gefährdung aufweist, kann sie nicht in Rosenheim bleiben.

Sondern?

Wir suchen dann mit der Frau einen sicheren Platz in einem anderen Frauenhaus in Bayern oder deutschlandweit. Bei einer Hochgefährdung arbeiten wir mit der Polizei und dem Opferschutz zusammen.

Kommt das häufig vor?

Hin und wieder, ja. Es gab in der Vergangenheit zum Beispiel junge Frauen, die zwangsverheiratet werden sollten. In enger Zusammenarbeit mit der Polizei bekamen diese Frauen eine neue Identität und einen neuen Wohnsitz.

Welche Schwierigkeiten gibt es hier?

Wenn eine Frau Kinder hat, ist es häufig schwieriger, sie im Opferschutz unterzubringen. Die Kinder verstehen häufig nicht, dass sie eine neue Identität haben und ihre alte nicht mehr preisgeben dürfen – beziehungsweise mit Menschen aus ihrem alten Leben keinen Kontakt mehr haben dürfen. Das ist häufig sehr schwierig.

Die Frauen, die im Frauenhaus ankommen, haben sich getraut, ihren Mann zu verlassen. Die Dunkelziffer derer, die sich nicht trauen, ist jedoch deutlich höher.

Nicht alle Frauen suchen sich einen Schutzraum im Frauenhaus. Viele werden von ihrer Familie oder Freunden aufgenommen. Die Zahl der Frauen, die unter häuslichen Gewalt leiden, ist viel höher als bekannt. Wir sollten alle Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, ermutigen, sich anderen Menschen anzuvertrauen, sich an Beratungsstellen (MaVia) zu wenden und natürlich uns – das Frauenhaus – in Anspruch zu nehmen.

Der Schritt, den Mann zu verlassen, kann, wie besprochen, sehr gefährlich sein. In der Regel lassen die Frauen mit ihren Kindern, wenn sie ins Frauenhaus gehen, ein Teil ihres Lebens zurück. Diese Entscheidung ist sehr schwierig.

Inwiefern?

Die Frauen verlassen ihr Zuhause. In der Regel flüchten sie mit einem Koffer. Viele Dinge werden in der Wohnung zurückgelassen, die eine hohe Bedeutung für die Frauen haben.

Durch die Gefährdung kann die Frau teilweise ihre Arbeit nicht mehr ausführen, da der Mann die Arbeitsstelle kennt. Oft sind die Frauen von ihren Männern finanziell abhängig und können sich nicht vorstellen, finanziell unabhängig zu sein. Plötzlich finden sie sich in der Rolle der Alleinerziehende wieder.

Interview: Anna Heise

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