„Früher oder später bekommt es jeder“

von Redaktion

Interview Professor Dr. Gunnar Tepe über neue Methoden gegen Gelenkschmerzen

Rosenheim – Gehen, laufen, Fahrrad fahren. Mit Gelenkschmerzen kann das zur Qual werden oder ist am Ende gar nicht mehr möglich. Am Romed-Klinikum in Rosenheim gibt es jetzt eine neue, bislang noch recht unbekannte Behandlungsmethode, die diese Schmerzen schnell lindern soll: die transarterielle periartikuläre Embolisation (TAPE). Wie sie funktioniert und warum sie so vielen Menschen helfen könnte, weiß Chefarzt Professor Dr. Gunnar Tepe von der Interventionsradiologie am Romed-Klinikum.

Wie viele Menschen sind von Gelenkschmerzen betroffen?

Sehr viele. Früher oder später bekommt es wahrscheinlich jeder. Das hat unterschiedliche Gründe: Menschen, die sehr viel Sport treiben, können das Gelenk irgendwann überbeanspruchen. Das kann aber auch durch zu viel Gewicht oder eine Fehlstellung passieren. Ein Gelenk ist nur begrenzt belastbar. Die letzte große Gruppe, die betroffen ist, besteht aus älteren Patienten. Gerade im Alter machen sich bei fast jedem die Schmerzen bemerkbar. Es ist eine Volkskrankheit. Vor allem in unserer Region, die auch für die Freizeit viel anbietet, wollen alle – ob jung oder alt – fit und aktiv bleiben können.

Wie entstehen die Schmerzen?

Bei der Arthrose kommt es zu einer voranschreitenden Zerstörung des Knorpelgewebes. Für die Entstehung sind mehrere Faktoren verantwortlich: Der Knorpel wird abgebaut und in die Gelenkhaut wachsen Gefäße ein, die dort eigentlich nicht hingehören. Es kommt zu einer vermehrten Durchblutung und einer chronischen Entzündungsreaktion. In diesem Rahmen werden auch Nerven gebildet, die den Schmerzreiz auslösen.

Wie funktioniert die selten bekannte Behandlungsmethode TAPE?

TAPE bedeutet transarterielle periartikuläre Embolisation. Damit sollen gezielt krankhaft neugebildete Blutgefäße in der Nähe des Gelenks verschlossen werden. Das nennt man embolisieren. Wir benutzen zur Embolisation sehr kleine Partikel (100 bis 300 Mikrometer), die sich nach einiger Zeit in den gesunden Gefäßen wieder auflösen. Die krankhaften Gefäße bleiben verschlossen, da deren Gefäßwand anders aufgebaut ist.

Wie wird das umgesetzt?

Durch die Punktion einer Arterie werden Katheter eingebracht, mit denen die winzig kleinen Gefäße ausfindig gemacht werden können, die für den Schmerz mitverantwortlich sind. Wenn diese Gefäße geschlossen sind, unterbricht man die Blutzufuhr, was zwei positive Effekte zur Folge hat: Zum einen wird der sich selbst aufrechterhaltende Entzündungskreislauf durchbrochen, zum anderen wird die Bildung übersensibler Nervenverbindungen reduziert beziehungsweise unterbunden. Diese Therapie stellt eine vielversprechende Alternative für Patienten dar, denen die herkömmlichen Behandlungsmethoden nicht ausreichend helfen.

Wie lange gibt es diese Methode schon?

Ich habe erst vor etwa einem halben Jahr auf einem Kongress davon erfahren. Ein japanischer Arzt hatte per Zufall entdeckt, dass durch das Verschließen der Gefäße nicht nur die Blutzufuhr gestoppt wird, sondern auch der Schmerz verschwindet und die Beweglichkeit wieder hergestellt werden kann.

Ist der Eingriff schwierig?

Er erfordert auf jeden Fall viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Die TAPE dauert deshalb schon anderthalb bis zwei Stunden. Es ist unsere Aufgabe, mit viel Geduld auch die kleinsten Gefäße aufzusuchen und zu verschließen, um am Ende dem Patienten bestmöglich zu helfen. Wir Interventionsradiologen haben gelernt, mit Kathetern und Embolisaten umzugehen. Wir wenden diese Technik beispielsweise auch bei akuten lebensgefährlichen Blutungen oder im Rahmen der lokalen Chemotherapie bei Leberkrebs an. Gelenkschmerzen bei Arthrose oder auch bei rheumatoider Arthritis sind ein neues Anwendungsgebiet.

Was ist an der TAPE besonders?

Sie hat eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 80 Prozent. Das ist für eine medizinische Therapie etwas ganz Seltenes. Manche leiden schon jahrelang unter den Schmerzen und haben daher einen langen Leidensweg hinter sich. Eine der ersten Patientinnen, die ich im Romed-Klinikum mit einer TAPE behandelt habe, hatte seit sechs Jahren stärkste Kniegelenkschmerzen, sodass sie unter einer Dauermedikation stand. Selbst diese Medikamente konnten nicht helfen. Daher hat sie sich vor einem Jahr zu einem operativen Kniegelenkersatz entschieden. Leider konnte das ihre Schmerzen ebenfalls nicht lindern. Einen Tag nach der TAPE Behandlung konnte sie nahezu schmerzfrei das Krankenhaus wieder verlassen.

Gibt es Risiken?

Da wir den Katheter über die Leiste einführen, kann dort ein Bluterguss entstehen. Das ist aber schon fast das einzige Risiko. Die Patienten müssen natürlich eine Nacht im Krankenhaus bleiben, manche auch zwei. Aber im Normalfall können sie sich bereits am Tag darauf problemlos und vor allem schmerzlos bewegen.

Welche anderen Möglichkeiten gibt es, gegen Gelenkschmerzen vorzugehen?

Natürlich kann man sie mit Medikamenten oder Spritzen direkt ins Gelenk behandeln. Und wenn es ganz schlimm wird, gibt es noch den Gelenkersatz. Doch Medikamente und Spritzen helfen oft nur für einen gewissen Zeitraum, eine Gelenkprothese ist mit einem aufwendigen Eingriff verbunden. Das möchte man deshalb eher vermeiden. Die TAPE schließt jetzt eine riesige Lücke in der Behandlung. Studien zufolge wirkt der Eingriff noch vier Jahre danach – und wenn nicht, kann man es einfach noch mal machen.

Seit wann wird der Eingriff in Rosenheim durchgeführt?

Erst seit wenigen Wochen. Er ist wirklich noch sehr neu, auch insgesamt in der Medizin. Ich habe erst einmal damit begonnen, ihn am Kniegelenk durchzuführen. Aber das funktioniert auch für die Schulter, den Ellenbogen, die Fingergelenke. Am Dienstag, 24. Juni, hatten wir bei Romed die erste Informationsveranstaltung zu dem Thema angeboten. Das Interesse war riesig. Am Klinikum wurden bisher zehn Betroffene behandelt. Ich gehe aber davon aus, dass die Zahlen bald stark ansteigen werden.

Warum gehen Sie davon aus?

Das liegt an vielen Dingen: Zum einen sind chronische Gelenkschmerzen weit verbreitet und zum anderen gibt es nun mit der TAPE eine Methode, die ohne Gelenkersatz auskommt und bei geringen Risiken eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit hat.

Interview: Magdalena Aberle

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