Vom Käserei-Pionier zur Kultmarke

von Redaktion

Blick in die Städtischen Sammlungen – Das Rosenheimer Gervais-Werk im Fokus

Rosenheim – Im Jahr 1850 gründete der französische Käsemeister Charles Gervais (1826-1893) in der Normandie eine Käserei, die Rahm- und Frischkäse herstellte. Seine damals neuartigen Käsesorten kamen nicht nur in Frankreich gut an, auch in Deutschland stieg der Umsatz kontinuierlich.

Deshalb wurde 1920 die deutsche Gervais AG mit Sitz in Köln gegründet, die den Käse aus Frankreich importierte und in Deutschland vermarktete. Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise wurden 1930 jedoch alle Importe ins Deutsche Reich gestoppt.

Weil auch der Frischkäse aus Frankreich nicht mehr ankam, suchte die Gervais AG Köln nach einer geeigneten Molkerei in Deutschland, um dort den Gervais-Frischkäse nach dem französischen Originalrezept herzustellen.

Molkerei in der
Schönfeldstraße
rückt in den Fokus

Die Wahl fiel auf eine kleine, 1927 gegründete, nun aber verschuldete Bezirksgenossenschaftsmolkerei in der Schönfeldstraße in Rosenheim. Der Vorteil des Standorts Rosenheim lag vor allem im großen Milcheinzugsgebiet. Nachdem 1930 die Gervais AG Köln diese Molkerei aufgekauft und auch deren Geschäftsführer Dr. Otto Belli von Pino übernommen hatte, ging es schnell aufwärts.

Immer mehr Höfe im Umland Rosenheims lieferten immer mehr Milch an Gervais: 1931 waren es circa 500 Milchbauern mit etwa 6000 Litern, 1949 bereits 68000 Liter.

Im frühen Sortiment von Gervais fanden sich neben Frischkäse bald auch Butter, Milch, Sahne und Kakao. Für Bäckereien wurde Topfen in Kunststofffolie abgepackt. Die Kapazitäten des Betriebs stießen bald an ihre Grenzen, sodass eine kontinuierliche Erweiterung und Modernisierung der Einrichtung notwendig wurden. In Rosenheim entwickelte sich daraus nach und nach einer der leistungsfähigsten und modernsten Molkerei- und Käsereibetriebe Deutschlands. Aus der einst kleinen Molkerei wurde ein erfolgreicher Markenartikelhersteller.

Der Zweite Weltkrieg brachte Einschränkungen, Verknappungen und Zerstörung. Facharbeiter wurden eingezogen, Fahrzeuge beschlagnahmt, für viele Maschinen waren keine Ersatzteile mehr zu bekommen. Die Gervais-Zentrale in Köln sowie die Verkaufsniederlassungen in Berlin, Mannheim und Saarbrücken wurden im Laufe des Krieges völlig zerstört.

Das Werk in Rosenheim blieb unbeschädigt, wurde aber nach Kriegsende kurzzeitig besetzt und stillgelegt, jedoch einige Wochen später wieder freigegeben. Belli organisierte zusammen mit Roger Bouhet, dem späteren Generaldirektor der deutschen Gervais AG, den Wiederaufbau der Produktion und eine erneute Erweiterung der Fabrikgebäude. Am 1. Januar 1948 wurde das Rosenheimer Werk wieder in die Gervais AG mit Firmensitz in München integriert.

In der Nachkriegszeit produzierte Gervais in Rosenheim unter dem Namen „Original Gervais Brennerei und Likörfabrik Rosenheim“ für einige Zeit sogar Alkoholisches. Milchzucker wurde zu Alkohol vergoren und daraus Likör wie „Edelkirsch“, „Blackberry“ oder „Original Old Bobby dry“ hergestellt.

Die Einführung des neuen Artikels „Hüttenkäse“ 1964 bedeutete eine Sternstunde für das Unternehmen.

Mit der Fusion der Firmen Gervais und Danone 1967 konnten weitere neue Märkte gewonnen werden. 1973 übernahm der französische Lebensmittelkonzern BSN Holding, Paris, das Unternehmen und erweiterte die Produktpalette (seit 1973 „Obstgarten“, bald danach „Fruchtzwerge“). 1995 waren im Werk Rosenheim 250 Mitarbeiter beschäftigt. Ab 1996 hieß das Unternehmen Danone GmbH.

Kurz bevor im Sommer 2021 der Betrieb in Rosenheim eingestellt wurde, konnten noch Gegenstände und Unterlagen aus dem Rosenheimer Werk in die Bestände des Stadtarchives und des Städtischen Museums Rosenheim übernommen und damit dauerhaft bewahrt werden.

Einige davon sind aktuell im Schaufenster des Städtischen Museums im Mittertor zu sehen.

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