Rosenheim – Sabine Hilger hat sich vorbereitet. Die Leiterin des Amtes für frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung erscheint mit einer dicken Mappe zum Interview. Darin befinden sich die wichtigsten Unterlagen, Zahlen und Zeitungsartikel zum Thema Kita, die in den vergangenen Monaten erschienen sind. Gemeinsam mit Oberbürgermeister Andreas März hat sie sich an diesem Vormittag rund eine Stunde Zeit genommen, um mit den OVB-Heimatzeitungen über die aktuelle Situation zu sprechen.
Fangen wir mit einer einfachen Frage an: Wie ist die Kita-Situation in der Stadt Rosenheim?
Hilger: Die Entwicklung ist positiv. In den vergangenen fünf Jahren konnten wir rund 500 neue Kita-Plätze schaffen. Wir können ausreichend Plätze für alle Kinder unter drei Jahren zur Verfügung stellen. Eltern wurden aktiv angeschrieben, um ihnen freie Plätze für ihre Ein- bis Dreijährigen anzubieten. Insgesamt gibt es aktuell aber auch 295 Kinder, die keinen Platz haben. Davon sind 52 Kinder unter drei Jahre alt und 203 Kinder über drei Jahre. Zudem haben wir 21 offene Rechtsansprüche. Und das, obwohl wir pro 1000 Einwohner auf fast zehn Krippenplätze und rund 33 Kindergartenplätze kommen und damit auch im regionalen Schnitt ganz gut dastehen. Aber erfahrungsgemäß gewinnen wir bis zum Start des Kita-Jahres im September noch Personal und können weitere Plätze anbieten.
Bereiten Ihnen diese Zahlen Sorge?
Hilger: Ja natürlich. Aber wir können aufgrund des stetigen Ausbaus im Bereich der Krippen und der Einzeltagespflegen und Großtagespflegestellen den Eltern, die ihren Rechtsanspruch für die unter Dreijährigen geltend gemacht haben, einen Platz anbieten. Aufgrund des Wunsch- und Wahlrechts können Eltern selbstverständlich frei entscheiden, ob ein angebotener Platz auch tatsächlich angenommen wird. Teilweise stellen wir fest, dass Eltern den angebotenen Platz aus verschiedenen Gründen nicht annehmen.
Wie kann das sein?
Hilger: Dann war es eben nicht die „Wunschkita“ oder die „Einrichtung direkt ums Eck“. Tatsächlich stehen wir hier durchaus vor einem Problem. Denn wir haben in der Großtagespflege – auch in den Krippen – noch etliche freie Plätze. Die Tagespflege ist gerade unterfüttert. Die Existenz von einigen Einrichtungen ist sogar bedroht, wenn es nicht zeitnah gelingt, die Plätze zu belegen. Um die Tagespflegen und Großtagespflegestellen zu unterstützen, bieten wir von Amts wegen Eltern von dreijährigen Kindern Plätze in der Kindertagespflege an – mit großem Erfolg.
Heißt im Umkehrschluss: In den Kindergärten fehlen 236 Plätze, in den Großtagespflegen und Krippen sind noch Plätze frei, obwohl noch 59 Kinder unter drei Jahren keinen Platz haben. Diese Plätze will nur niemand?
Hilger: Korrekt. Warum das so ist, kann ich nicht beantworten. Die Großtagespflegestellen und Tagespflegen sind ein gleichwertiges Angebot zur Krippe und sind auch rechtsanspruchserfüllend.
März: Davon konnte ich mich bei einem Besuch erst überzeugen. Zum „Tag der Kinderbetreuung“ habe ich drei Großtagespflegen besucht. Mein Eindruck war durchweg positiv. In den vergangenen Jahren wurde bei allen Neubauprojekten eine Großtagespflegestelle baulich mit eingeplant, das hat jetzt zum Erfolg geführt.
Hilger: Sollten Eltern jetzt also ihren Rechtsanspruch geltend machen, könnten wir die Kinder unter drei Jahren in der Großtagespflege, ebenso in den Krippen unterbringen. Wenn die Eltern dieses Angebot ablehnen, ist der Rechtsanspruch verwirkt.
Wie ist generell die Stimmung bei den Eltern?
Hilger: Teils, teils, würde ich sagen. Vor drei Jahren war die Stimmung bei der Elternschaft wesentlich fordernder und aggressiver. Mittlerweile ist angekommen, dass wir uns sehr anstrengen, wirklich alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Eltern bei der Suche nach einem geeigneten Kita-Platz zu unterstützen. Die nächsten Jahre werden weitere Kita-Plätze und Neubauprojekte realisiert.
Trotzdem fehlen jedes Jahr aufs Neue Kita-Plätze. Warum?
Hilger: Das liegt neben den baulichen Gründen vor allem am bestehenden Fachkräftemangel im erzieherischen Bereich. So können wir derzeit 24 Krippenplätze nicht anbieten, weil uns das Personal fehlt. Auch 50 Kindergartenplätze können wir nicht belegen, weil uns dafür kein Personal zur Verfügung steht.
Ein Kritikpunkt in den vergangenen Jahren war auch, dass die Zahlen nicht stimmen. Dadurch hat die Planung nicht gepasst.
März: Wir haben in der Vergangenheit die Zahlen des Bayerischen Landesamts für Statistik als Grundlage für unsere Planungen genommen. Haben dann aber entschieden, auf unsere eigenen Zahlen zurückzugreifen. Dadurch ist es uns gelungen, den Bedarf viel konkreter abzudecken und auch perspektivisch besser planen zu können. Trotzdem bleibt immer eine gewisse Unsicherheit aufgrund Unwägbarkeiten wie beispielsweise Zuzug. Aber: Wir haben wirklich viele Kita-Plätze in den vergangenen fünf Jahren geschaffen. Die Kinderbetreuung in der Stadt Rosenheim ist mir eine Herzensangelegenheit – ich möchte das Beste für unsere Rosenheimer Kinder erreichen.
Fehlt nur noch Personal.
Hilger: Wir sind grundsätzlich zuversichtlich, dass sich in den nächsten Jahren durch verschiedene Anreize wie zum Beispiel die wohnortnahe Fachakademie für Sozialpädagogik und die Staatliche Berufsschule für Kinderpflege in Rosenheim weitere Fachkräfte und interessierte Personen für einen Quereinstieg gewinnen lassen. Auch die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten haben sich in den vergangenen Jahren durch positive Tarifabschlüsse verbessert. Die Stadt Rosenheim als Arbeitgeber darf feststellen, dass es uns gelungen ist neue Kräfte zu gewinnen und an uns zu binden, wir haben eine niedrige Fluktuation bei unserem Personal.
Mit welchen Herausforderungen haben die Fachkräfte zu kämpfen?
Hilger: Die wesentliche Frage jeden Morgen ist: „Ist das Personal vollständig im Dienst und kann der Kita-Betrieb laufen?“ Wenn eine Kollegin schwanger wird, dann hat sie meist von einem Tag auf den anderen ein sofortiges vollständiges Beschäftigungsverbot. Natürlich freuen sich alle mit der Kollegin. Aber das stellt die gesamte Einrichtung vor Herausforderungen, da der Regelbetrieb weiterlaufen muss. Wenn keine Lösung gefunden werden kann, müssen wir eine Gruppe aufgrund von fehlendem Personal schließen. Dies führt natürlich zum Verdruss bei den Eltern.
Stimmt.
Hilger: Die Stadt hat für die Kitas in städtischer Trägerschaft für solche Fälle Vorsorge getroffen. Wir haben in unseren städtischen Kitas sogenannte „Flexikräfte“. Also pädagogische Fachkräfte, die zusätzlich zum Regelpersonal eingestellt wurden, um eben diese Ausfallzeiten abzufedern. Aber das handhabt jeder Träger anders.
Reden wir kurz über das Thema Sprache: In Rosenheim leben viele Menschen mit Migrationshintergrund. Sind fehlende Deutschkenntnisse ein Problem?
Hilger: Fehlende Deutschkenntnisse sind tatsächlich eine Herausforderung. Allerdings vor allem deshalb, weil die Eltern die Aushänge und Elternbriefe nicht verstehen. Man muss mit Blick auf die Zahlen aber auch sagen: So viele Kinder, bei denen beide Eltern einen Migrationshintergrund haben, gibt es bei uns gar nicht. In den Krippen sind es 25 Prozent, im Kindergarten 37,7 Prozent, aber in unserer städtischen Regenbogengruppe hatten wir zu Betriebsbeginn 100 Prozent.
100 Prozent?
Hilger: Die Kinder und deren Eltern sprachen zu Beginn kaum bis gar kein Deutsch. Meine Kollegen konnten dort keinen Ausflug unternehmen, weil die Kinder die Anweisungen der Erzieher nicht verstanden haben, beispielsweise wenn es darum ging, an einer roten Ampel stehenzubleiben.
Aber: Durch die großartige Arbeit des Personals funktioniert auch das mittlerweile ganz wunderbar. Die Kinder sprechen immer besser Deutsch und die Eltern werden über verschiedene Übersetzer-Apps informiert. Und daran sieht man auch, was für alle unsere Kitas gilt: Wir haben hervorragend ausgebildetes Personal mit hoher Fachkompetenz, dem die Eltern vertrauen können. Interivew: Anna Heise