Rosenheim – Es soll ein heißer Tag gewesen sein, der 2. August 1944, Temperaturen teilweise um die 30 Grad. Bedingungen, die die sowieso schon unmenschlichen Lebensumstände in den Holzbaracken des Konzentrationslagers Auschwitz nochmal ein Stück unerträglicher machten. Doch rund 4000 Menschen sollten den nächsten Tag gar nicht mehr erleben. Sie wurden in dieser einen Nacht in die Gaskammern getrieben.
Auschwitz war ab 1943 die zentrale Sammelstelle für Sinti und Roma aus ganz Europa. Von dort aus wurden alle, die noch als „arbeitsfähig“ galten, in andere Lager überführt. Die, die nicht dazugehörten, Kinder, Frauen, Alte und Kranke, sollten nun, an jenem 2. August 44, auf Befehl aus Berlin „liquidiert“ werden.
Die Geschichte
der kleinen Rosa
Grund genug für die Initiative Erinnerungskultur und das Stadtarchiv, kürzlich eine gemeinsame Gedenkveranstaltung auszurufen, die im Pfarrsaal der Erlöserkirche stattfand. Denn selbst das hässliche Wort „liquidiert“ ist viel zu harmlos, viel zu neutral, um auch nur annähernd zu erfassen, was den Menschen von Menschen damals angetan wurde. Um davon eine Ahnung zu bekommen, braucht es den Blick auf individuelle Schicksale, auf das Unsagbare, das Menschen widerfuhr.
Deshalb wurde durch Dr. Thomas Nowotny von der Initiative Erinnerungskultur auch das Schicksal der kleinen Rosa Reinhardt nachgezeichnet, die gerade einmal drei Jahre alt wurde und doch die Häftlingsnummer Z 4728 eintätowiert hatte.
Wie Kinder die Mordnacht erlebten, ist kaum vorstellbar: Ihre ganze Umgebung voller Panik, voller Angst und voller Schreien, denn die Menschen wussten was mit ihnen passieren würde: Die SS-Wachmannschaft hatte die „Liquidierung“ schon einmal in Angriff genommen, im Mai 1944, war damals aber am verzweifelten Widerstand der Lagerinsassen gescheitert.
Wenigstens ein Schlaglicht aber auf das, was den Kindern widerfuhr, wirft der Satz einer damaligen jüdischen Lagerärztin, die im Rahmen des Berichts über das Schicksal von Rosa Reinhardt zitiert wurde: „Die Kinder hatten schon lange jegliches Kindliche im Gesicht verloren, es waren Greise, die einen aus toten Augen anblickten.“
Und doch mag es manche geben, die fragen, warum uns die Ereignisse von damals heute immer noch beschäftigen sollten? Es ist doch so lange her und auch überwunden. Der Erinnerungsabend aber machte klar, dass eben genau das nicht der Fall ist. Im Falle der Sinti und Roma setzte sich Ablehnung und Ausgrenzung auch nach dem Krieg fort. Diese Menschen wurden auch nach 1945 nicht akzeptiert. Anhand des Nachkriegslebens des Musikers Franz Gory Kaufmann und vor allem auch von Peter Höllenreiner wurde dies deutlich.
Das Schulradio Simsseewelle der Otfried-Preussler- Schule hat nachgezeichnet, wie die Zeit im Konzentrationslager das weitere Leben von Gory Kaufmann bestimmte, trotz aller musikalischen Erfolge auch immer wieder überschattete. Michaela Hoff, die das Schulradio betreut, berichtete am Erinnerungsabend über die Recherchen.
Kulturwissenschaftlerin Dr. Anna Maria Willer wiederum ist die Biografin Peter Höllenreiners, der als Kleinkind nach Auschwitz deportiert wurde, dort aber überlebte. Sie hat seinen lebenslangen Kampf gegen die hartnäckig weiterbestehenden Vorurteile nachgezeichnet und stellte ihn an diesem Abend vor.
Und auch hier wieder waren es einzelne Schlaglichter, die das Gesagte besonders erhellten. Da war nach den Vorträgen die Frage aus dem Publikum, wie viele Sinti und Roma denn heute in Stadt und Landkreis Rosenheim lebten? Die Antwort wusste niemand, die Angehörigen von Peter Höllenreiner erklärten das schlicht damit, dass sich Sinti und Roma auch heute noch scheuten, offen von ihrer Zugehörigkeit zu der Bevölkerungsgruppe zu sprechen, die bis in die 1970er-Jahre auch behördlicherseits als „Landfahrer“ bezeichnet wurde.
Ein Chor tritt
aus der Isolation
Ein Höhepunkt in doppeltem Sinn war deshalb der Auftritt einer Gruppe junger Romnja aus der Ukraine, die nach ihrer Flucht in Bad Aibling untergebracht wurden und sich dort 2023 zu einem Chor zusammengeschlossen haben. Ein Höhepunkt nicht nur wegen ihrer Lieder, sondern weil sie mit ihrem Chor den Schritt aus der Isolation gewagt haben: Die aus der Ukraine geflüchteten Sinti und Roma haben ein Land verlassen, in dem sie teilweise auch heute noch massiv ausgegrenzt werden, um in ein neues zu kommen, bei dem sie nicht sicher sind, ob es dort wirklich anders ist.
Der Erinnerungsabend war deshalb auch ein weiterer Schritt auf dem langen Weg, Sinti und Roma nicht mehr als „andere“ sondern als normale Menschen zu begreifen.