Rosenheim – „Fifty Shades of Grey“ war nur der Anfang – jetzt gibt es die Dark Romance-Bücher. Die neuen Geschichten sind noch verruchter und beinhalten jede Menge Erotik. Sie behandeln Themen wie Mord, Menschenhandel, Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe. Die Beziehung zwischen den Protagonisten der Bücher ist toxisch, oft auf Kosten der Frau. Sie verfällt zum Beispiel ihrem Stalker, Entführer, Mobber oder Besitzer, der sie missbraucht, vergewaltigt und foltert. Trotzdem enden die Bücher mit einem Happy End. Genau darin, so befürchten es die Kritiker, lauert die Gefahr. Die Inhalte werden durch den glücklichen Ausgang romantisiert. Diese Meinung teilen auch Martina Schmidt und Rebekka Lechner von der Rosenheimer Buchhandlung Beer.
Bestellung nur
auf Anfrage
Die Dark Romance-Bücher waren auch dort schon Thema. „Wir haben sie nicht auf Lager, bestellen sie nur auf Anfrage und schauen aufs Alter“, sagt Schmidt. Insbesondere, wenn Minderjährige Interesse an den Büchern zeigen.
Sind die Eltern dabei, klären die Buchhändlerinnen diese über die Inhalte auf und erklären, dass die Bücher erst ab 18 Jahren gelesen werden sollten. Es gehe darum, die Jugend zu schützen. „Das sind Hardcore-Pornos. Und es soll nicht normal sein, dass man sich in einen Stalker verliebt. So etwas sollte nicht so verklärt werden“, betont Schmidt. Etwas weniger streng sehen es die Buchhändlerinnen in der Buchhandlung Bensegger. „Verbieten ist oft der falsche Weg”, sagt Steffi Wild. Sie und ihre Kollegin Sylvia Weber sind sich einig: Wenn man die Jugendlichen damit zum Lesen bringe, könnten Dark-Romance-Romane ab 16 Jahren gelesen werden. „Die Mädels wissen, worauf sie sich einlassen“, sagt Sylvia Weber. Bei Jugendlichen unter 16 Jahren jedoch würde die Buchhändlerin aber auch nachhaken.
Vor Ort haben sie in der Buchhandlung Bensegger derzeit keine Dark-Romance-Bücher. Die Nachfrage sei auch eher gering. Meist erkundigten sich Mädchen über 16 Jahren nach den Romanen. Falls es die Bücher doch irgendwann in der Buchhandlung zu kaufen gebe, dann allerdings nur in einem separaten Regal, betonen die Buchhändlerinnen.
So wird es in der Filiale der Thalia Buchhandlungen in Rosenheim gehandhabt. Neben dem Regal mit den New-Adult-Liebesromanen stehen die Dark-Romance-Bücher in einem extra Regal. Auch sonst achten die Mitarbeiter in der Filiale darauf, sehr junge Kunden auf die Altersempfehlung aufmerksam zu machen.
Die Nachfrage nach den Büchern sei bei Thalia groß, vor allem bei jungen Kundinnen. „Wir haben überlegt, Ausweiskontrollen zu machen”, sagt Katharina Stöber. Mehr könne man im Moment nicht machen. „Denn jeder kann lesen, was er möchte”, so die Buchhändlerin.
Unter den Rosenheimer Buchhandlungen hat Thalia derzeit die meisten Bücher im Angebot. Die Filiale der Buchhandlung Rupprecht hat ein eher geringes Sortiment. Doch auch dort werde darauf geachtet, wer die Bücher kaufen möchte. „Wir sprechen mit den Jugendlichen darüber, was sie schon gelesen haben und welche Erfahrungen sie mit diesen Büchern gemacht haben“, erklärt Jule Lange. Außerdem weisen sie auf die Triggerwarnungen hin, die in den Büchern vor dem Inhalt warnen sollen, und fragen, ob die Eltern einverstanden sind, dass sie so etwas lesen. Wird Gewalt verherrlicht, bestehe das Risiko, Jugendliche könnten sie als „normal” akzeptieren, erklärt die Rosenheimer Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Dr. Gertraud Fridgen. „Das ist sicher ein Problem“, sagt sie. Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren seien sehr beeinflussbar. „Das ist eine empfindsame Zeit”, sagt Fridgen. In diesem Alter machen die meisten Jugendlichen erste Erfahrungen mit Liebe und Sexualität.
Welchen Einfluss Dark Romance auf Jugendliche in diesem Lebensabschnitt hat, hänge stark davon ab, wie viel Erfahrung sie bereits mitbringen, bevor sie solche Romane lesen. „Sie können ihre eigenen Erfahrungen hernehmen, um sie mit den Fiktiven zu vergleichen”, erläutert Fridgen. „Wenn sie noch gar keine Erfahrung haben, schätzen sie das Fiktive eher als Maßstab oder Standard ein.“
Ist jemand nur mit diesen Romanen allein und hat sonst wenig Kontakte oder Austausch über diese Themen, fehle der Realitätsabgleich, erklärt die Psychotherapeutin. Es komme aber auch auf das Alter, die Persönlichkeit und das Umfeld des Lesers an. Jüngere und unsichere Jugendliche seien zum Beispiel beeinflussbarer und manipulierbarer.
Einfluss auf das
Selbstwertgefühl
Zur Debatte steht außerdem, welchen Einfluss die Dark-Romance-Bücher auf das Selbstwertgefühl der Jugendlichen haben. Sehr viele Jugendliche seien selbstkritisch und vergleichen sich – auch mit fiktiven Inhalten. „Gefallen ihnen die Inhalte nicht, dann haben sie das Gefühl, sie entsprechen dem Standard nicht“, sagt Fridgen. Das sei aber einfach ein Thema in dem Alter. „Das ist bei Jungs, die sich Pornos anschauen, das Gleiche”, betont sie.
Allerdings könnten die Bücher auch positive Effekte haben: Sie erlauben es den Lesern, Grenzen und Tabuthemen zu erkunden, sagt Fridgen. Jugendliche müssten Dinge ausprobieren, um sich eine eigene Meinung zu bilden. „Wenn man ein Buch darüber liest, hat man eine Welt, in der die Fantasie einfach existieren darf.“ Hannah Mayer