Rosenheim – Sei es die brenzlige finanzielle Lage mancher Gemeinden, die Hoffnung auf Verbesserungen für die Region beim Brenner-Nordzulauf oder die Unterbringung von Geflüchteten im Landkreis: Rosenheims Landrat Otto Lederer hat nach wie vor einige anspruchsvolle Themen vor der Brust. Im exklusiven OVB-Sommerinterview verrät er unter anderem, was der Region beim Thema Asylunterkünfte noch bevorsteht, wie er mit Seitenhieben von Politiker-Kollegen umgeht und worauf es bei den Brenner-Nordzulauf-Planungen jetzt ankommt.
Seit dem 15. August bestehen die Durchfahrtsverbote, um den Ausweichverkehr bei Stau auf der A8 einzubremsen. Für die Umsetzung hat es einen Wink aus Berlin gebraucht. Wieso ging es nun doch so schnell?
Zunächst war der Tenor vonseiten des Bundes und des Landes ja so, dass diese Sperrungen mit dem bestehenden Gesetz nicht so einfach umsetzbar seien. Nun gab es diesen – wie es so passend beschrieben wurde – Paradigmenwechsel. Wenn der Bund als Gesetzgeber also Gesetze anders auslegt, können wir uns als Behörde anschließen. Das ist der Grund, warum wir das jetzt umsetzen.
Die Polizei muss das Verbot kontrollieren. Sind dafür überhaupt die entsprechenden Kapazitäten vorhanden?
Es ist sicherlich eine gewisse Herausforderung für die Polizei, das zu überwachen. Doch die Beamtinnen und Beamten werden nicht durchgängig von Freitag bis Sonntag gebraucht, sondern sollen nur tätig werden, wenn tatsächlich Stau auf der Autobahn ist. Wenn sie informiert werden, können sie situativ reagieren.
Beim Durchfahrtsverbot hat die Zusammenarbeit mit Berlin – insbesondere mit dem Verkehrs-Staatssekretär Ulrich Lange (CSU) – gut funktioniert. Wie sieht das beim Thema Brenner-Nordzulauf aus?
Als es um das Thema Autobahn ging, war innerhalb kürzester Zeit der parlamentarische Staatssekretär Ulrich Lange in der Region und hat sich den Fragen der Medien und der Bevölkerung gestellt. Das ist genau das, was wir die vergangenen drei Jahre vermisst haben. Ich habe ein gutes Gefühl, dass die jetzige Bundesregierung durchaus Interesse hat, die Forderungen aus der Region anzuhören und aufzunehmen.
Gegen Herbst soll das parlamentarische Verfahren zum Brenner-Nordzulauf starten. Wie blickt man dem in den einzelnen Gemeinden entgegen?
Das ist ganz unterschiedlich. Kommunen, die statt des derzeitigen Zugverkehrs durch die Ortschaft einen Tunnel erhalten würden, sind begeistert. Bei denen, die bisher nicht belastet sind, was den Zugverkehr betrifft, sieht es natürlich ganz anders aus. Genauso wenig begeistert sind die, die sogar unmittelbar mit eigenen Flächen betroffen sind. Das kann ich gut nachvollziehen. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, dass wir in der Region weiterhin an einem Strang ziehen.
Ist es dann vor diesem Hintergrund nicht eher ungut, wenn die Bürgerinitiativen sich komplett gegen eine Neubaustrecke aussprechen?
Wenn wir uns verzetteln und jeder sich etwas anderes wünscht, riskieren wir den Eindruck mangelnder Einigkeit. Dann laufen wir auf Bundesebene Gefahr, dass man in Berlin denkt, wir wüssten nicht, was wir genau wollen. Letztlich wird dann das gemacht, was die Bahn vorschlägt. Da würden dann alle verlieren. Zudem werden meines Wissens im parlamentarischen Prozess ohnehin nur Forderungen zu den bestehenden Planungen berücksichtigt.
Dennoch bleibt die finanzielle Frage. Tunnel sind ja nicht wirklich günstig und die Haushaltslage ist weiterhin angespannt …
Dass es unsere Forderungen nicht zum Nullkostentarif gibt, ist vollkommen klar. Wir müssen aber langfristig denken. Dieses Projekt ist für die nächsten 100 bis 200 Jahre gedacht. Da relativiert sich, denke ich, die ein oder andere Investitionssumme.
Apropos Kosten und Investitionen: Wie sieht es in den Kommunen des Landkreises mit dem Haushalt aus?
Die Lage bei den Kommunen ist höchst angespannt – und zwar in ganz Deutschland. Die Verschuldung der bayerischen Kommunen ist in den vergangenen vier Jahren um etwa ein Drittel gestiegen. Sie haben allein im vergangenen Jahr ein Defizit von über fünf Milliarden Euro erwirtschaftet. Das haben wir so noch nie gehabt.
Kann man da als Landkreis den Kommunen nicht mit der Kreisumlage entgegenkommen?
Genau das haben wir gemacht. Wir haben mittlerweile den niedrigsten Hebesatz aller Landkreise in Oberbayern. Das gab es noch nie. Für den Landkreis Rosenheim bedeutet das auf der anderen Seite, dass die Verschuldung in diesem Jahr massiv steigen wird und wir uns das nicht jedes Jahr leisten können.
Der Haushalt ist ja auch bei Romed immer wieder Thema. Wie sieht es derzeit aus?
Im vergangenen Jahr war unser Ziel, das Defizit von knapp 20 Millionen Euro zu unterschreiten – und das ist uns mit 16,2 Millionen Euro deutlich gelungen. Unser Bestreben ist es natürlich, das Defizit noch weiter abzusenken. Schließlich stellt es auch eine Belastung für die kommunalen Haushalte dar.
Etwaige Standortschließungen stehen also nicht im Raum?
Nein, wir brauchen jeden Standort, um die medizinische Versorgung, so wie wir sie unseren Bürgern bieten möchten, aufrechterhalten zu können. Wir haben tatsächlich so viele Patienten, dass wir derzeit alle Betten brauchen.
Betten brauchen ist ein gutes Stichwort: Thema Asylunterkünfte. Die Zahlen an Asylsuchenden gehen langsam zurück. Macht sich das in der Region bemerkbar?
Ja, in Oberbayern kommen etwa nur halb so viele Geflüchtete an wie im vergangenen Jahr. Tatsache ist aber auch, dass der Landkreis Rosenheim seine Quote bei Weitem noch nicht erfüllt hat. Das bedeutet, dass wir weiterhin Asylbewerber zugewiesen bekommen. Dafür habe ich auch Verständnis.
Das klingt, als würde da noch ein „aber“ folgen …
Es ist ja nicht so, dass wir nicht wollen, sondern dass der Wohnungsmarkt ausgereizt ist. Wir sind verpflichtet, Unterkünfte zu schaffen. Soweit das gelingt, machen wir das gerne gemeinsam mit den Kommunen. Mir ist aber auch bewusst, dass man in den Kommunen nicht gerade begeistert ist, wenn wir mit einer Unterkunft vor den Toren stehen.
Wie weit ist der Landkreis von der Erfüllung seiner Quote entfernt?
Da ist durchaus noch Luft nach oben. Wir sind der Landkreis in Oberbayern mit der niedrigsten Erfüllungsquote.
Beim Thema Asylunterkünfte stehen ja Sie persönlich auch immer wieder in der Kritik – auch von Politiker-Kollegen, besonders aus Reihen der AfD, von Herrn Winhart. Wie geht man damit um?
Da habe ich tatsächlich kein Verständnis, denn Herr Winhart ist Landtagsabgeordneter. Und das staatliche Landratsamt handelt nach Landesrecht. Also eigentlich sitzt er an der Schnittstelle, wo man tatsächlich etwas verändern könnte. Diejenigen anzugreifen, die nach Landesrecht handeln, ergibt für mich überhaupt keinen Sinn. Ganz schwierig wird es, wenn man dann auch noch merkt, dass Halbwahrheiten verbreitet werden. Wie etwa, dass der Landkreis Unterkünfte mit mehreren Millionen Euro pro Jahr finanzieren würde. Er müsste doch wissen, dass das zu 100 Prozent der Freistaat finanziert. Und wenn er das nicht weiß, hat er entweder seine Hausaufgaben nicht gemacht oder es wird bewusst mit Halbwahrheiten hantiert, was aus meiner Sicht das noch größere Übel wäre.
Ihre Amtszeit war bisher geprägt von Krisen: die Corona-Pandemie, direkt danach der Ukraine-Krieg und die Ankunft von weiteren Geflüchteten. Waren Sie mehr Krisenmanager als Landrat?
Ja, so ging es aber vielen gewählten Kommunalpolitikerinnen und -politikern. Man stand mit dem Wahlprogramm in den Startlöchern und dann wurde man die ersten zwei Jahre zunächst durch die Corona-Pandemie ausgebremst und direkt im Anschluss kam die Flüchtlingssituation hinzu. Es hat sicherlich schon positivere Starts für Kommunalpolitiker gegeben als das Jahr 2020. Auf der anderen Seite hatten wir in den vergangenen Jahren dann doch die Möglichkeiten, das eine oder andere zu realisieren und unseren Landkreis weiterzuentwickeln.
Welche Herzensprojekte konnten Sie noch einbringen?
Mir ist das Thema Bildung sehr wichtig. Dafür konnten wir einige Maßnahmen anstoßen. Unter anderem die digitale Bildungsregion, die wir gemeinsam mit der Stadt Rosenheim gemacht haben. Außerdem ist es uns gelungen, zwei neue Einrichtungen in die Region zu holen. Zum einen das Staatsinstitut für die Ausbildung von Fachlehrkräften in Bad Aibling, sodass Fachlehrer bei uns in der Region ausgebildet werden können – die bestenfalls auch hierbleiben. Zum anderen aber auch die Staatliche Berufsfachschule für Kinderpflege am Staatlichen Beruflichen Schulzentrum Rosenheim II, um nur zwei Beispiele aus diesem Bereich zu nennen. Aber auch der MVV-Beitritt war ein bedeutender Meilenstein für die Menschen in unserer Region.
Und was würden Sie gerne in Zukunft anschieben?
Beim Thema Wirtschaft können wir die Betriebe in dieser herausfordernden Zeit noch weiter unterstützen. Egal, ob das das Thema Flächenmanagement oder den Fachkräftemangel betrifft. Wir verfolgen ein Gesamtkonzept, in dem Bildung und Wirtschaftsförderung ineinandergreifen. Da wollen wir natürlich weiterarbeiten.
Interview: Patricia Huber