Rosenheim – Eigentlich schien alles klar zu sein. Vier Jahre Haft für Siegfried H. und drei Jahre für Jessica K. So lautete das Urteil gegen die beiden Angeklagten im FlexiCamper-Prozess am Landgericht München II, welches vor gut einer Woche, am 12. August, fiel. Jetzt ist aber offen, wie es weitergeht – zumindest für Jessica K. Ihre Verteidiger haben in den vergangenen Tagen Revision gegen das Urteil eingelegt.
Jessica K.
soll freikommen
Damit will sich die Verteidigung Zeit erkaufen. Das eigentliche Ziel ist, K. so schnell wie möglich aus dem Gefängnis zu bekommen. Denn die Rechtsanwälte von Jessica K. haben nicht nur Revision eingelegt, sondern wollen auch eine Haftbeschwerde beantragen. Mit dieser wird geprüft, ob die Gründe für den Gefängnisaufenthalt immer noch vorliegen. Ist das nicht der Fall, könnte der Haftbefehl gegen K. aufgehoben oder zumindest außer Vollzug gesetzt werden, sagt Peter Wagner, Verteidiger von Jessica K., auf OVB-Anfrage.
Die Verteidigung
hat ein Problem
Das „Problem“ für die Verteidigung: Eine Haftbeschwerde ist nur solange möglich, solange das Verfahren noch läuft. Sobald das Urteil rechtskräftig wird, ist nichts mehr zu machen. Denn dann werde die Haft aufgrund des Urteils und nicht aufgrund des Haftbefehls vollstreckt, sagt Wagner. Oder anders gesagt: Mit dem Urteil muss die Verurteilte die „normale“ Haftstrafe antreten und die Untersuchungshaft endet. Eine Haftbeschwerde ist aber nur gegen den Haftbefehl für die Untersuchungshaft möglich.
Deshalb haben Wagner und seine Kollegin in Absprache mit Jessica K. sich für die Revision entschieden. „Wenn wir das nicht gemacht hätten, wäre das Urteil jetzt rechtskräftig geworden und wir könnten uns nicht mehr gegen die Haft wehren“, erklärt der Rechtsanwalt. Er macht aber auch klar: Sinn und Zweck dabei ist nicht, dass Jessica K. sich vor ihrer Haftstrafe drückt. Sie müsse auf jeden Fall noch einmal einrücken.
Selbst wenn die Haftbeschwerde Erfolg hätte, bleibe die Freiheitsstrafe immer noch bei drei Jahren. „Das wäre mehr wie ein Hafturlaub. Wenn sie jetzt aus dem Gefängnis käme, wird die Haftstrafe dadurch nicht kürzer“, macht der Verteidiger klar. Jessica K. werde ihre Strafe auf jeden Fall komplett absitzen, versichert er. Das sei ihm mit Blick auf die Geschädigten wichtig zu erwähnen.
Der Grund, warum die Verteidiger versuchen, K. jetzt aus dem Gefängnis zu holen, sei sowieso ein anderer. „Wenn unsere Mandantin in Freiheit ist, dann ist die Kommunikation einfacher“, sagt Wagner. Und diese sei wichtig, da man so besser den nächsten Schritt gemeinsam vorbereiten kann. „Für Jessica K. kommt ein ‚Zweidrittel-Erlass‘ in Betracht“, betont der Rechtsanwalt. Heißt: Wenn jemand Zweidrittel seiner Freiheitsstrafe abgesessen hat, kann das letzte Drittel unter Umständen zur Bewährung ausgesetzt werden.
Erlass der Reststrafe
auf Bewährung?
Und darauf gebe es auch bei Jessica K. eine realistische Chance. „Meine Mandantin war vollumfänglich geständig, sie ist schuldeinsichtig und der Sachverhalt ist aufgeklärt“, sagt Wagner. Für den „Zweidrittel-Erlass“ müsse allerdings wieder ein Antrag gestellt werden. Zudem auch die Zeit drängt. Da K. bereits seit November 2023 in Haft ist und die U-Haft angerechnet wird, ist der Zweidrittel-Zeitpunkt der dreijährigen Haftstrafe im November erreicht. „Bis Oktober sollte der Antrag fertig sein“, sagt Wagner.
Zudem das Ganze juristisch ein wenig kompliziert sei, sagt selbst der Anwalt. Denn um einen Antrag auf einen „Zweidrittel-Erlass“ stellen zu können, braucht es ein rechtskräftiges Urteil – genau das, welches die Verteidigung mit der Revision gerade vorerst verhindert hat. Heißt auch: Um den „Zweidrittel-Erlass“ zu bekommen, müsste die Verteidigung die Revision zurücknehmen. Die Folge: In diesem Fall wird das Urteil gegen Jessica K. rechtskräftig und sie müsste – für den Fall, dass sie jetzt aufgrund der Haftbeschwerde freikommt – wieder zurück ins Gefängnis.
Zunächst müsste K. aber erstmal überhaupt aus dem Gefängnis kommen. Alles Weitere sei dann eine „strategische Entscheidung“, sagt Wagner. Er hoffe, dass das Landgericht München II – jene Kammer, die auch das Urteil gefällt hat – in spätestens zwei bis drei Wochen über die Haftbeschwerde entscheidet. Wenn die Beschwerde dort keinen Erfolg hat, muss sich das Oberlandesgericht damit auseinandersetzen, erklärt der Rechtsanwalt. Das koste aber zusätzlich Zeit. Zudem die Erfolgsaussichten immer schwer abzusehen seien.
Gericht überprüft
im Einzelfall
Wenn der Haftbefehl nicht aufgehoben wird, wolle sich die Verteidigung aber trotzdem für den „Zweidrittel-Erlass“ einsetzen. Über diesen entscheidet in aller Regel eine Strafvollstreckungskammer, teilt eine Sprecherin des Oberlandesgerichts München auf OVB-Anfrage mit. Voraussetzung sei neben dem Absitzen eines Großteils der Strafe, dass „die Strafaussetzung zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann“, betont die Juristin. In jedem Fall handle es sich aber immer um Einzelfallentscheidungen. Noch stelle sich in diesem Fall die Frage nach einem Straferlass aber nicht – solange bis über die Revision entschieden ist.