Viele Ärzte – wenig Termine

von Redaktion

Warum es in einigen Praxen Aufnahmestopps trotz guter Versorgung gibt

Rosenheim/Chiemgau – „Es tut mir leid“ – diese Antwort werden wohl einige gehört haben, wenn sie in letzter Zeit bei einer Arztpraxis angerufen haben. Bei vielen Medizinern gibt es zurzeit lange Wartezeiten oder sogar Aufnahmestopps für Neupatienten. Das betrifft auch Hausärzte in der Region. Und das, obwohl der Landkreis Rosenheim bei den Allgemeinmedizinern zahlenmäßig gut aufgestellt ist. Im Gespräch mit dem OVB erklärt Eva Greipel, Bezirksvorsitzende für Oberbayern beim Bayerischen Hausärztinnen- und Hausärzteverband, warum es trotzdem wenig Termine gibt, ob die Region wirklich so gut versorgt ist und was Patienten machen können.

Wie stressig ist der Arbeitstag eines Hausarztes im Moment?

Die Tage sind sehr unterschiedlich. Aber es ist oft schon sehr stressig, weil man auf unvorhersehbare Dinge schnell reagieren, etwas einschieben oder umplanen muss. Wenn man alles planen könnte, wäre es nicht so wild. Viele Erkrankungen sind akut und manchmal meinen die Patienten auch nur, dass es akut ist. Das macht es schwierig, allen gerecht zu werden, wenn man sowieso schon eine volle Terminsprechstunde hat und dann die akuten Fälle noch einschieben muss.

Haben sich die Anforderungen an Hausärzte in den vergangenen Jahren verändert?

Wir nehmen schon wahr, dass manche Menschen mit kleineren Gesundheitsstörungen nicht mehr zurechtkommen und schneller die Hilfe im medizinischen Sektor suchen. Vor allem bei banalen Dingen wie Erkältungsinfekten oder leichteren Rückenschmerzen. Da gibt es bestimmt auch einen Leidensdruck, das machen die Patienten nicht aus Jux und Tollerei, aber die Kompetenz für Befindlichkeitsstörungen ist nicht mehr ganz so hoch wie früher. Da hat es manchmal auch gereicht, wenn die Oma oder die Mama Tipps gegeben haben, was man bei einer Erkrankung machen kann (lacht).

Gibt es deshalb mittlerweile in vielen Hausarztpraxen lange Wartelisten?

Ja, das kann unter Umständen sein. Für Untersuchungen, die nicht dringlich sind, zum Beispiel Gesundheits-Check-ups oder Impfungen sowie Beratungen zu Patientenverfügungen oder Reisemedizin, sind schon Wartezeiten bis zu acht Wochen möglich.

Auch von Aufnahmestopps hört man immer wieder.

Ja, weil einfach ein Missverhältnis zwischen der anzubietenden Arbeitskraft oder Sprechstundenzeit zum Bedarf daran da ist. Auch in meiner Praxis in Traunstein können wir gerade keine Wechsler aufnehmen, also Patienten, die eigentlich schon einen Hausarzt haben, aber zu uns wechseln wollen.

Wenn jemand noch keinen Arzt hat, kommt derjenige bei uns schon unter. Aber in vielen Fällen müssen wir einfach die Qualität vor der Quantität nehmen. Wir wollen die Patienten ja vernünftig versorgen, und dafür braucht es Zeit. Zudem es auch bei den medizinischen Fachangestellten immer weniger Personal gibt. Das muss man alles stemmen.

Wie kann es aber sein, dass die Region Rosenheim zahlenmäßig als überversorgt bei den Hausärzten zählt – entspricht das nicht der Realität?

Vom Gefühl her entspricht das nicht der Realität. Beim Versorgungsgrad – Verhältnis der benötigten Ärzte gemessen an der Einwohnerzahl – sind 100 Prozent eigentlich zu wenig, obwohl die Region damit als versorgt gilt. Das liegt auch daran, dass dem nicht Rechnung getragen wird, dass die Menschen immer älter und kränker werden.

Früher war es auch so, dass bei der Berechnung des Verhältnisses ein Hausarztsitz mit 60 bis 80 Stunden Arbeitszeit in der Woche einbezogen wurde. Das trifft heute nicht mehr zu, da zwei Drittel der Medizinstudenten weiblich sind und später im Berufsleben auch an die Familienplanung denken und diese Arbeitsleistung weder leisten können noch wollen. Und auch die jungen Kollegen wollen das nicht mehr wie in dem Maße wie vor 20 Jahren.

Gibt es aus Ihrer Sicht genügend Hausärzte in der Region?

Eine durchschnittliche Praxis in Bayern hat im Quartal ungefähr 900 bis 1000 Patienten. Bei rund 65000 Einwohnern, von denen ja bei weitem nicht alle im Quartal zum Arzt gehen, und den 56 bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) in der Stadt gemeldeten Hausärzten, ist Rosenheim aber sehr gut versorgt. Aber da gibt es auch regionale Unterschiede, vor allem, weil sich die Versorgung auf die Zentren konzentriert. Zum Beispiel bei uns im Landkreis Traunstein kommt in manchen Orten ein Hausarzt auf 700 oder 800 Einwohner. Ein Dorf weiter sind es zum Beispiel schon 1800 Patienten pro Hausarzt. Das ist eine andere Hausnummer.

Heißt aber auch: Die Wartelisten oder Aufnahmestopps sind auch in einer überversorgten Gegend möglich?

Wenn es nicht deutlich mehr Hausärzte geben würde, dann ja. Die Anzahl der Ärzte ist zwar gemessen an der Einwohnerzahl ausreichend, wenn die Zahl der Patienten aber grundsätzlich steigt, ist das möglich. Ein einzelner Arzt kann bei der gleichen Arbeitszeit ja nicht mehr Patienten aufnehmen. Zudem wir fast ein Drittel des Tages mit bürokratischen Dingen beschäftigt sind, in denen wir keine Patienten vor uns sitzen haben. Das mindert Arbeitskraft und Sprechstundenzeit.

Haben Sie ein Beispiel?

Ein Problem ist, dass in Deutschland nur Leistungen honoriert werden, die ein Arzt erbringt. Heißt, wenn ich ein Pflaster aufklebe, dann wird es abgerechnet, wenn es eine medizinische Fachangestellte macht, dann nicht.

Das muss alles dokumentiert werden. Es wird dabei nicht die Teamleistung bewertet. Solche Dinge und die Versorgung von Menschen, die nicht wirklich eine Behandlung nötig haben, binden uns sehr. So haben wir weniger Zeit, um uns um kranke Menschen zu kümmern.

Was raten Sie Menschen, die aufgrund von Aufnahmestopps keinen Hausarzt finden?

Man sollte in der Umgebung alle Praxen anfragen. Ansonsten kann auch die Vermittlungsnummer der Kassenärztlichen Vereinigung 116117 weiterhelfen, die Praxis kann dann aber auch etwas weiter entfernt sein. Und Notfälle werden sowieso behandelt.

Notfälle könnte es auch bei Hausärzten geben, wenn in paar Jahren viele in den Ruhestand gehen.

Ja, viele Kollegen sind 60plus. Wenn da auf verschiedenen Ebenen nichts unternommen wird, wird es in ein paar Jahren echt problematisch.

Fehlt es nur am Nachwuchs oder was sind die Gründe?

Wir haben zu wenig Abschlüsse in der Allgemeinmedizin. Die Fachrichtung spielt im Studium immer noch nicht die Rolle, die sie in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung spielt. Das hat die Politik ein wenig verschleppt, schließlich gibt es seit zehn Jahren den Plan, das Medizinstudium zu reformieren. Das sollte eigentlich schon vor fünf Jahren passiert sein. Aber einige Bundesländer, auch Bayern, haben dies wegen der Kosten bis jetzt blockiert.

Und eine Reform könnte helfen?

Es braucht ein Gesamtpaket. Auch die Kommunen müssen mithelfen, die jungen Kollegen aufs Land zu bringen. Zum Beispiel sind in vielen Gegenden die Mieten sehr hoch. Das macht Praktika und Ähnliches während des Studiums schwierig. Wenn Gemeinden Wohnmöglichkeiten anbieten könnten, würde das helfen. Oder auch die Kinderbetreuung so zu gestalten, dass auch junge Kolleginnen den Beruf problemlos ausüben können.

Weitere Berichte zum Themenschwerpunkt Gesundheit finden Sie unter ovb-online.de.

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