Rosenheim – Man sollte es probieren: Im schnöden Alltag das Besondere zu sehen, hält jung. Das ist eine steile These, zugegeben, aber eines ist ja wissenschaftlich erwiesen: Dass mit zunehmendem Alter die Zeit deshalb immer schneller zu vergehen zu scheint, weil das Leben immer mehr aus Routine besteht, während man als Kind fast täglich mit gänzlich Neuem konfrontiert wird.
Und das „Besondere“ lässt sich bei etwas gutem Willen selbst in den scheinbar banalsten Dingen erkennen. Sogar in Straßennamen. Die sind nämlich nur selten „einfach so“ verteilt worden, sie stecken vielmehr voller Geschichte – die wird beim bloßen Vorübergehen nur nicht mehr wahrgenommen.
„Doppelbödiges“
in Rosenheim?
Und genau um diese „versteckte“ Geschichte der Straßennamen geht es am kommenden Donnerstag, 11. September, in einem Vortrag des Historischen Vereins. Und vorweggenommen schon ein Beispiel: Salzburger Weg, Kärntner Weg, Steiermark Weg – das sind nicht Namen, die vergeben wurden, weil man in der Stadtverwaltung dachte, „uns fällt nichts Besseres ein, nennen wir die Straßen einfach nach österreichischen Bundesländern“.
Sondern diese Straßen wurden 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs so benannt – und zwar nach den gleichnamigen Reichsgauen, die als nationalsozialistische Verwaltungseinheiten in annektierten Gebieten geschaffen wurden. Das wird besonders deutlich beim „Niederdonauweg“ und „Oberdonauweg“. Damit sind die heutigen Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich gemeint – damals aber sollte der Wortanhang „-österreich“ vermieden werden, denn die Erinnerung an Österreich als eigenständiges Land war nicht mehr zeitgemäß.
Klar wird dabei, dass es offenbar hie und da Straßennamen gibt, die viel weniger harmlos sind, als man heute vermuten würde. Weshalb der Rosenheimer Stadtrat vor zwei Jahren einmal wissen wollte, was es mit den Straßennamen in der Stadt auf sich hat und wie viele solcher möglicherweise „doppelbödigen“ Straßennamen es in Rosenheim eigentlich gibt.
Eine Untersuchung des Stadtarchivs stieß daraufhin auf 34 von den insgesamt rund 600 Straßennamen, die in einem Kontext stehen, den man sich näher anschauen sollte. Eine Arbeitsgruppe des Stadtrates wird damit noch in diesem September beginnen. Und sich natürlich auch mit der Frage beschäftigen, was man denn mit jenen Namen, die eine eindeutige Verbindung zum Dritten Reich haben, eigentlich machen sollte.
Karl-Heinz Brauner, der als Vorsitzender des Historischen Vereins den Vortrag am kommenden Donnerstag halten wird, ist für die Grünen auch Mitglied des Stadtrates. Und als Stadtratsmitglied betont er ausdrücklich, dass diese Untersuchung nicht automatisch auf eine Umbenennung irgendwelcher Straßen hinauslaufen wird.
Denn die Arbeitsgruppe – und in der Folge wohl auch der Stadtrat, dem die Ergebnisse dann vorgelegt werden – haben, so die Überzeugung von Karl-Heinz Brauner, keinerlei vorab vorgegebene Handlungsrichtung. „Man will sich vielmehr einfach objektiv und völlig ergebnisoffen ein Bild machen“.
Klar wird aber zumindest eines: Straßennamen stecken voller Geschichte. Und der Umgang mit ihnen ist deshalb immer auch Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Dass es dafür kein eindeutiges Handlungsschema gibt, nach dem Motto: So muss man es machen“ – das soll, so Karl-Heinz Brauner auch bei dem Vortrag deutlich werden. Und durchaus auch zu Diskussionen einladen.
Denn wie zum Beispiel soll man die Tatsache bewerten, dass da eine Straße nach Bismarck benannt wurde. Soll man es in dessen Beurteilung dabei belassen, dass es sich hier um den ersten Reichskanzler handelt, der zum Beispiel auch in der Sozialgesetzgebung Positives bewirkt hat? Oder soll man die Rolle miteinbeziehen, die auch er im damals üblichen Kolonialismus gespielt hat?
Vortrag am
11. September
Der Historische Verein hofft, am Donnerstag, 11. September, abends um 19 Uhr im Gemeindesaal der Erlöserkirche in der Königstraße, einen Vortragsabend anbieten zu können, der Alltägliches in neuem Licht erscheinen lässt.