Die vielen Welten des Lokschuppens

von Redaktion

Der Lokschuppen Rosenheim gehört zu den zehn größten Ausstellungshäusern in Deutschland. Hinter den Ausstellungen steht ein kleines Team um die Leiterin Jennifer Morscheiser. In jedes Thema steckt die 47-Jährige viel Wissen und Leidenschaft. Woher die Ideen kommen – und was als Nächstes geplant ist.

Rosenheim – Jennifer Morscheiser bahnt sich ihren Weg durch die Besucher. Es ist voll im Lokschuppen in Rosenheim. Über 700 Menschen reisen gerade zurück auf die Titanic. Einige drängen sich um eine Vitrine, in der ein kleines Stück Holz zu sehen ist. Es stammt vom Original-Treppengeländer der Titanic. Morscheiser ist stolz, dass sie diese Leihgabe ergattern konnte. Nicht der einzige Schatz aus der Vergangenheit, der in Rosenheim zu sehen ist.

Eine originale
Rettungsweste

Ein paar Meter weiter steht das Piano, das auf der Olympic, dem baugleichen Schwesternschiff, erklungen ist. Und nach viel Bangen hat es auch eine Original-Rettungsweste in die Ausstellung geschafft. Wenn Jennifer Morscheiser wie an diesem Tag im Museum kaum durchkommt und überall staunende Besucher sieht, lächelt sie, wenn sie in ihrem Büro ankommt. Dort, wo die Ideen für die Zeitreisen geboren werden.

Zu Morscheisers Beruf gehört es, dass sie der Zeit immer voraus ist. Wenn sie die Treppe vom Museum zu ihrem Schreibtisch hinaufsteigt, kommt sie von der Vergangenheit direkt in die Zukunft. Und die gehört den Römern. An der Wand in ihrem Büro hat sie bereits das Plakat hängen, das die nächste Ausstellung ankündigt. Nicht der erste Entwurf, verrät sie. Jedes Detail soll stimmen. Lange bevor die ersten Familien mit dem Staunen beginnen können, wandert Morscheiser schon virtuell durch eine neue Ausstellung. Moderne Technik macht das möglich. Am Computer plant sie Blickwinkel, Farben, Beleuchtung. „Das ist jedes Mal ein tolles Gefühl, wenn daraus Wirklichkeit geworden ist.“

Hinter den Ausstellungen des Lokschuppens in Rosenheim steht ein kleines Team. Neben der Leiterin gehören dazu zwölf Mitarbeiter – vom Hausmeister bis zum Besucherservice alle mitgezählt. Die Ausstellungen werden vier bis fünf Jahre im Voraus geplant. Deshalb wird Morscheiser die Römerzeit gedanklich bald verlassen und sich dem Weltall widmen – dem übernächsten Thema. Vor ein paar Tagen hatte sie eine japanische Delegation zu Gast, um über Leihgaben für die überübernächste Ausstellung zum Thema Japan zu sprechen.

Mit der Titanic war es anders, berichtet sie. Das war eine Notlösung. Die geplante Ausstellung war geplatzt, Morscheiser und ihr Team mussten schnell etwas Neues auf die Beine stellen. „Titanic geht immer“, sagte ihr ein befreundeter Kurator. Sie stürzte sich in die Planung – und ahnte nicht, dass es zeitgleich in München eine Titanic-Ausstellung geben würde. Noch weiß sie nicht, ob ihr durch München Besucher verloren gegangen sind – denn hinter beiden Ausstellungen steht ein anderes Konzept. Der Lokschuppen hat die Titanic in ihr Zeitalter eingebettet und Ausstellungsstücke aus der ganzen Welt zusammengetragen. Etliche Lebensgeschichten von Passagieren werden in Rosenheim nacherzählt. In München setzen die Kuratoren auf ein Erlebnis mit 3D-Kino und Virtual-Reality-Brille.

Morscheiser hatte gehofft, dass bis Anfang Januar 200000 Menschen in ihre Ausstellung kommen. Inzwischen ist sie guter Dinge, dass der Lokschuppen diese Zahl noch knacken kann. Schon jetzt waren über 113000 Besucher dort. Am
1. September fand „Die lange Nacht des Wracks“ mit hochkarätigen Gästen statt. Auch davon versprach sie sich ein volles Haus. Schon jetzt kann sie sagen: „Die Titanic ist die beste Ausstellung seit der Corona-Zeit.“

Die 47-Jährige ist seit gut drei Jahren Ausstellungsleiterin im Lokschuppen. „Wir wollen abwechslungsreiche Themen“, sagt sie. Nicht nur Historisches. Viele Ideen entstehen bei Gesprächen im Team – oder in den Freundeskreisen der Mitarbeiter, verrät sie. Die Besucher dürfen mit abstimmen. Zuletzt muss dann der Aufsichtsrat noch grünes Licht geben. Der Lokschuppen ist eine GmbH der Stadt Rosenheim.

Eine besondere
Herausforderung

Die Römer sind für Jennifer Morscheiser eine besondere Herausforderung. Die letzte Römer-Ausstellung vor 25 Jahren war ein riesiger Erfolg – das sind große Fußstapfen. „Wir wollen etwas schaffen, über das geredet wird.“ Der Lokschuppen hat eine Million Legoteile erworben, die Besucher dürfen selbst Baumeister einer römischen Idealstadt werden. „Die Lego-Stadt soll insgesamt 45 Quadratmeter groß werden.“ Auch der Lokschuppen nutzt moderne Technik, betont sie. Bei der Helden-Ausstellung habe das gut gepasst. „Aber bei den Römern wollen wir genau das Gegenteil.“ Sie konnte einige Originale aus der Römerzeit ergattern: Scherben und Münzen, die die Besucher sogar in die Hand nehmen dürfen.

Ihr Budget pro Ausstellung: 3,5 Millionen Euro. Sie holt sich viel Wissen von Experten, arbeitet mit einem Gestaltungsbüro zusammen. Und sie ringt mit Privatsammlern um Ausstellungsstücke. Dass ihr die Ideen irgendwann ausgehen, muss sie nicht befürchten. Sie würde gerne einmal eine Märchenausstellung in den Lokschuppen bringen, erzählt sie. In der Fantasy-Szene hat sie sich bereits vernetzt. „Jede Ausstellung ist anders aufregend.“ Sie freut sich schon auf die Astrophysiker, die bald in ihrem Büro sitzen werden und ihr die Wunder des Weltalls erklären.

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