Rosenheim – Notfälle hat Thomas Greiner schon viele gesehen. Vor allem gegen Ende August und Anfang September. Da ist für den Mann aus Vogtareuth Hochsaison. „In der Zeit bekommen wir am Tag zum Teil fünf Stück rein“, sagt Greiner. Er und seine Frau Manuela reinigen Lederhosen – von der Hirschledernen bis zu den günstigeren Varianten. Und während des Rosenheimer Herbstfestes bekommen sie mehr Hilferufe als sonst. „Da passiert immer einiges, Verschmutzungen von außen, aber auch von innen“, sagt Greiner. Von Essensresten, über Bier bis zu Körperflüssigkeiten.
Eine Mass Bier
macht nichts
Mit am „gefährlichsten“ für die Lederhosen seien aber Unfälle mit Prosecco oder Weißwein. „Das entfärbt hochwertige, dunkle Hosen, die werden dann hell an der Stelle“, sagt Greiner. Auch ein Radler sollten sich die Träger nicht über die Tracht schütten lassen, die Zitronensäure aus dem Radler habe denselben Effekt. „Eine Mass Bier macht der Hose erst einmal nichts, das schaut nicht schlimm aus, aber fängt irgendwann brutal zum Stinken an“, erklärt der Mann aus Vogtareuth. Im Bierzelt lauern aber andere Gefahren für die Lederhosen. „Hendl-Fett ist fast der schlimmste Dreck“, sagt Greiner. Das Fett lasse die Hose mit der Zeit verharzen. „Das macht die Oberfläche brüchig, es sieht dann aus wie eine Elefantenhaut“, beschreibt der Lederhosen-Experte den Anblick. Harz, vom Maibaum oder hölzernen Sitzmöglichkeiten, lasse sich grundsätzlich schwer aus der Tracht entfernen. Einer seiner schwierigsten Fälle sei allerdings eine Lederhose gewesen, über die rund ein Liter Cappuccino geschüttet wurde. „Das sah echt schlimm aus.“
Angst um die Hosen und vor dem Hinsetzen auf dem Herbstfest müsse aber niemand haben. Die meisten Flecken, zum Beispiel von der Schweinsbraten-Soße, der ein oder anderen Körperflüssigkeit oder auch Wein, ließen sich gut entfernen. „Aus einer hellen Lederhose haben wir erst neulich Rotwein komplett rausgebracht“, betont er.
Rund 500 Lederhosen oder mehr reinigen er und seine Frau im Jahr. Die Kunden kämen aus der Region, viele aus München und anderen Teilen Deutschlands – aber auch aus der Schweiz und sogar der Niederlande. Das liege auch daran, dass Greiner von keinem anderen wisse, der das Handwerk des Waschens der Lederhosen noch anbietet.
Er selbst habe die „Kunst“ von seinem Papa erlernt. Der habe irgendwann eine Arbeits-Lederhose vom Opa oder Uropa gefunden, die nach all den Jahren aber „bockhart“ war. Da sein Vater wusste, dass die Hose von der Oma immer gewaschen wurde, habe er sich auf einem Flohmarkt mehrere alte Lederhosen gekauft, Tipps von den älteren Generationen geholt und „rumgetüftelt“. „Eigentlich braucht es nicht mehr als gefiltertes Regenwasser und Schmierseife“, sagt Thomas Greiner. Da jede Lederhose aber einzigartig ist, erfolge die Reinigung nicht nach einem Schema F, sondern verlange „Erfahrungswerte und Fingerspitzengefühl“.
Denn bei jeder Hose stellt sich die Frage, wie lang sie im Wasser einweichen, wie viele Tage sie danach im Freien trocknen muss und was es braucht, um die Tracht wieder weich zu bekommen. Zum Beispiel brauche eine Hose zehn Liter Wasser und 200 Milliliter Schmierseife, eine andere hingegen wieder ein ganz anderes Mischverhältnis. „Das muss man sehen und spüren“, sagt Greiner.
Besonders die Nachbehandlung sei entscheidend. „Die Hose muss immer in Bewegung sein, man muss sich eigentlich wie um ein Kind darum kümmern“, erklärt Greiner und lacht. Auch die Tracht wieder in die ursprüngliche Form zu ziehen, sei eine Kunst für sich. Ziehe man zu wenig, sei die Form nicht richtig, ziehe man zu weit, stimme das Ergebnis genauso wenig. „Das herauszufinden, war die Schwierigkeit für den Papa“, erzählt der Mann aus Vogtareuth. Während sein Vater die Reinigung über die Jahre perfektionierte, schaute Thomas Greiner ihm immer fasziniert über die Schulter und merkte sich die Tricks.
Mit dem Tod des Papas vor fünf Jahren stand das Handwerk in der Familie allerdings vor dem Aus. Erst 2023, als ein Unwetter über das Herbstfest fegte und unzählige Lederhosen durchweichte, entschied sich Thomas Greiner, die Arbeit wieder aufzunehmen. Seither führt der Vogtareuther, der eigentlich im Straßenbau arbeitet, die Lederhosenreinigung mit seiner Frau nebenberuflich. „Bei dem Handwerk geht es weniger darum Geld zu verdienen, sondern wenn man damit aufhört, dann stirbt es aus“, sagt er.
Ob das Waschen früher mal ein „richtiger“ Beruf oder Handwerk war, glaubt Thomas Greiner nicht. Dafür gab es immer die Gerber. „Allerdings gibt es bei uns ja zum Beispiel den Nachnamen ‚Lederwascher‘, auszuschließen ist es deshalb auch nicht“, betont Greiner. Bei der Handwerkskammer Bayern (HWK) gebe es jedoch keine klaren Hinweise darauf, dass es tatsächlich mal den Beruf des „Lederwaschers“ gab, der sich beruflich mit Lederhosen beschäftigte, sagt ein HWK-Sprecher auf OVB-Anfrage. Thomas Greiner selbst wolle das „alte Handwerk“ dennoch so lange wie möglich „am Leben erhalten“. Schließlich denke er bei jeder gereinigten Lederhose an seinen Vater. Irgendwann soll Greiners kleiner Sohn die Arbeit fortführen. „Er zeigt jetzt auch schon Interesse“, sagt Greiner und lacht. Bis es so weit ist, wird aber noch Thomas Greiner unzählige Lederhosen retten – der Preis dafür bewegt sich zwischen 69 und 90 Euro.
Vorsicht bei
Reinigungsmitteln
Für alle, die während des Herbstfestes, doch kleinere Flecken auf die Lederhose bekommen haben, hat Thomas Greiner noch ein paar Tipps. Bei Wildbock-Lederhosen soll man an der Stelle einfach mit Leder auf Leder reiben – am besten mit einer anderen Stelle der Hose. „Oder mit einer weichen Bürste“, sagt Greiner. Bei Hirschledernen dürfe hingegen auf gar keinen Fall eine Bürste ran. „Das macht die Oberfläche kaputt“, betont der Mann aus Vogtareuth. Und fast noch wichtiger: „Nicht selbst mit irgendwelchen – im Internet vorgeschlagenen Reinigungsmitteln – waschen.“
Wenn auch die Reinigung nicht mehr weiterhilft, bleibt oft nur der Kauf einer neuen Lederhose. Ein kurzer Blick in die Trachtengeschäfte in Rosenheim aber zeigt: Die Rosenheimer scheinen sorgsam mit ihrer Tracht umzugehen. Zum Herbstfest werden zwar viele Lederhosen verkauft, aber nicht, weil die Alten verschmutzt oder kaputt sind, heißt es fast einstimmig von den Geschäftsinhabern. Die Gründe seien eher, dass die Träger aus der Alten herausgewachsen sind oder noch keine hatten. Zudem ein paar Flecken irgendwie auch dazugehörten. Und im Notfall bleibt auch immer noch Thomas Greiner.